Die CSV tut nicht viel, um den Eindruck einer alternativarmen Oppositionspartei zu entkräften. Ihr Programm setzt nur wenige Schwerpunkte. Doch letztlich verfolgen die Parteistrategen ohnehin eine diffusere Strategie. Eine Analyse.

„Wir sind der Wechsel“: Nahezu jedes Mal, wenn die CSV in den vergangenen Monaten zu einem offiziellen Anlass zusammenkam, sagte Laurent Zeimet diesen Satz. Bei der Basis wird er mit einer Mischung aus Begeisterung und Gelächter aufgenommen. Selbst die Mitglieder der stolzen Volkspartei scheinen zu wissen, dass der Satz ihres Generalsekretärs eine Prise Ironie beinhaltet.

Denn, dass ausgerechnet die CSV für den politischen Wechsel im Land stehen soll, daran muss man sich erst noch gewöhnen. Nicht nur, dass die Christsozialen jahrzehntelang an der Macht waren. Nicht nur, dass die Parteiführung bei den vergangenen Wahlen den demokratisch legitimierten Regierungswechsel lange nicht akzeptieren wollte. Ja auch das Programm der CSV ist – soweit es denn bekannt ist – nicht unbedingt ein Hinweis darauf, dass sich die Dinge grundsätzlich ändern sollen.

Claude Wiseler war einer der wenigen in der Partei, die sich vor fünf Jahren relativ schnell mit dem Oppositionsschicksal abfanden. Während Jean-Claude Juncker, Michel Wolter und andere noch wochenlang mit dem Wahlresultat haderten und über ihre Interpretation des „Wählerwillens“ dozierten, war Wiseler schon weiter. Der heutige Spitzenkandidat beteiligte sich nicht an der latenten Realitätsverweigerung seiner Parteikollegen. Er hielt sich aber nicht nur aus Überzeugung aus der christlich-sozialen „Motzecke“ fern. Wiseler wusste auch schnell, dass er in der Opposition einer der Gewinner sein konnte. So kam es dann auch.

Die Wiselerisierung der CSV

Heute, fünf Jahre später, ist er auf diesem Weg noch etwas weiter fortgeschritten. Parteiintern, aber auch in Teilen der interessierten Öffentlichkeit, fragt man sich eigentlich nur noch, mit wem der CSV-Fraktionschef nach den Wahlen eine Koalition eingehen will. Wiseler winkt bei dieser Frage zwar immer gewohnt professionell ab. Doch selbst er vergisst in öffentlichen Statements mittlerweile den politisch korrekten Hinweis, dass die Sache noch längst nicht ausgemacht ist. Dass aktuell außer Umfragen und zaghaften Umgarnungen aus anderen Parteien noch nichts darauf hindeutet, dass der nächste Premier unbedingt und zwangsläufig Claude Wiseler heißen muss.

Der CSV geht es weniger um greifbare, bis ins letzte Detail ausgeklügelte Reformpolitik als um die gezielte Bedienung einer unterschwelligen Wechselstimmung im Land.“

Schwerer wiegt jedoch, dass bis heute noch nicht wirklich klar ist, warum und wofür die CSV unbedingt in die Regierung zurückkehren will. Zurück an die Macht, lautet das Ziel, so viel ist klar. Da sind sich nicht zuletzt all jene Parteimitglieder einig, die sich schon als Ministerkandidaten warmlaufen. Doch programmatisch ist eben noch vieles im Trüben.

Wie es aus Parteikreisen heißt, ist dies kein Zufall. Man will den anderen Parteien nicht unnötig viel Angriffsfläche bieten und nicht zuletzt auch inhaltlich alle Machtoptionen für die Zeit nach den Wahlen offenhalten. So weit hat sich die Methode Wiseler in der Partei jedenfalls schon durchgesetzt. Dabei können seine Gegner ihn noch so oft als professoralen Zauderer bezeichnen – die Strategie der CSV ist klar und sie wird bis zu den Wahlen auch nicht mehr grundlegend geändert.

Zu dieser Strategie passt der parteiintern vorgegebene Zeitplan für den Wahlkampf. Das Wahlprogramm steht, soll aber erst Mitte September offiziell verkündet werden. Die Parteistrategen sind dabei auf die gewitzte Idee gekommen, dass man die Schwerpunkte des Programms auch häppchenweise in der Sommerpause der Presse vorstellen könnte. Der erste Akt war in der vorvergangenen Woche, der zweite soll Mitte August folgen, der dritte dann Anfang September. Doch bereits jetzt steht fest: Das Programm der CSV ist kein Projekt für einen inhaltlich nachvollziehbaren Politikwechsel, sondern eine Ansammlung von zumeist nicht allzu konkreten oder mutigen Reformabsichten.

Zwei Konzepte, aber nicht viel mehr

Was erwartet die Wähler, wenn die CSV wieder in die Regierung kommen sollte? Die ersten, kürzlich vorgestellten programmatischen Schwerpunkte geben darauf nur einen ungefähren Hinweis. Der erste Teil des Programms umfasst die Bereiche Gesundheit, Renten, Digitalisierung, Gerechtigkeit, Integration, Wohnungsbau und Gemeinden. Konkrete Forderungen sind darin jedoch die Ausnahme. Das veranschaulicht sich am besten im Vergleich. Während etwa die LSAP in ihrem Programm fordert, den Mindestlohn um 100 Euro netto anzuheben und die Arbeitszeit von 40 auf 38 Stunden zu senken, heißt es bei der CSV zu den gleichen Punkten: Der Mindestlohn müsse „regelmäßig“ und „an die allgemeine Lohnentwicklung“ angepasst werden und das „Arbeitszeitvolumen“ bleibe „in seiner Gesamtheit unverändert.“

Zahlen und messbare Lösungswege, mit der sich die Partei nach den Wahlen unmissverständlich festlegen würde, sind im Programm Mangelware.“

Es ist allerdings nicht so, dass die CSV überhaupt nichts Konkretes vorschlagen würde. So etwa in der Steuerpolitik. Bezieher niedriger Einkommen sollen entlastet werden, dies durch die Erhöhung des Grundfreibetrags von 11.265 auf 12.000 Euro. Eine Vermögensteuer für Privatpersonen und eine Erbschaftsteuer in direkter Linie wird es mit der CSV dagegen nicht geben. Das aktuelle Regime der „Stock options“ soll abgeschafft und durch eine gesetzliche Regelung ersetzt werden, wobei die steuerliche Begünstigung nur noch „für längerfristige Beteiligungen am eigenen Unternehmen“ sowie „vor allem im Bereich der Start-ups“ gelten soll. Die von mehreren CSV-Politikern geforderte Senkung der Unternehmensbesteuerung hat jedoch nicht den Weg ins offizielle Programm gefunden.

Auch beim Thema „Territorialreform“ wartet die Partei mit einem detaillierten Konzept auf. Das Ziel der CSV sind „weniger, aber stärkere Gemeinden“. Um das zu erreichen, will man „gleich zu Beginn der neuen Legislaturperiode“ mit den Kommunen eine neue Gemeindelandkarte ausarbeiten. Kooperationen zwischen Gemeinden sollen geschaffen bzw. verstärkt werden und zu vermehrten Fusionen führen. Gleichzeitig will die CSV die Gemeindekompetenzen neu regeln bzw. klären, Doppelmandate abschaffen (im Fall von gleichzeitiger Ausübung von Abgeordneten- und Bürgermeistermandat), das Amt eines hauptberuflichen Bürgermeisters aufwerten und mit einer Vertretung der „élus locaux“ eine neue Institution schaffen. Über die gesamte Reform soll allerdings nicht vor 2029 per Referendum abgestimmt werden.

Christlich-soziale Abstraktion

Während die CSV in der Steuer- und Territorialpolitik konkrete Konzepte vorlegt, handelt es sich in den anderen Bereichen jedoch meistens um abstrakte, nicht weiter ausgeführte Absichtserklärungen. So etwa im Kapitel zum Gesundheitssektor. Dort heißt es dann ohne Erläuterung etwa: „Wir wollen das Staatslaboratorium besser aufstellen.“ Oder: „Wir werden die Gesundheitsversorgung und den Notdienst im ländlichen Raum verbessern.“ Was heißt „besser aufstellen“ oder „verbessern“? Diese doch entscheidenden Fragen bleiben unbeantwortet.

Gleiches beim ausführlichen Kapitel zum Wohnungsbau. Man könnte meinen, dass die größte Partei des Landes Zeit genug hatte, um hier konkrete, bezifferbare Forderungen zu formulieren. Doch auch hier heißt es zum Beispiel: „Die Schaffung von Sozialen-, Alten-, Behindertengerechten und Studentenwohnungen muss unterstützt werden.“ Oder: „Wir werden die staatliche Unterstützung im Bereich vom Bau von sozialen Mietwohnungen in den kommenden Jahren erhöhen.“ Zahlen und messbare Lösungswege, mit der sich die Partei nach den Wahlen unmissverständlich festlegen würde, sind im Programm Mangelware.

CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler (rechts im Bild) und Parteichef Marc Spautz waren die Garanten für einen geräuschlosen Übergang aus der Juncker-Ära in die Opposition und sollen ihre Partei nach fünf Jahren wieder in Regierungsverantwortung führen. (Foto: Matic Zorman)

Noch deutlicher wird die ausweichende Sprache allerdings beim Thema Rentenpolitik. Dass die CSV eine Reform will, die die Generationengerechtigkeit und langfristige Finanzierbarkeit des Systems sicherstellen soll, ist bekannt. Es ist einer der Kernpunkte in fast jeder Rede von Spitzenkandidat Claude Wiseler. An welchen Stellschrauben man drehen will, sagt man aber auch im neuen Programm nicht. Per Ausschlussverfahren kann man der Sache zwar etwas näher kommen, denn die CSV schreibt: „Die Rentenversprechen der aktuellen Arbeitnehmer bleiben garantiert. Es werden keine Pensionen gekürzt.“ Doch es gibt keine konkrete Ansage, was nicht garantiert bleibt oder wo eventuell doch gekürzt wird.

Zwischen Diagnose und Rezepten

Auch auf Nachfrage der Presse wollte Claude Wiseler in diesem Punkt nicht mit Details herausrücken. Dagegen betont das Programm nochmals den „Handlungsbedarf“ im Rentensystem, belegt dies mit Zahlen der „Inspection générale de la sécurité sociale“ von Ende 2016 und stellt eine „objektive Detailanalyse des Systems“ in Aussicht. Die CSV wird also in den Wahlkampf ziehen mit dem Versprechen einer grundlegenden Rentenreform, ohne den Wählern vorher zu sagen, was sie genau vorhat. Diese Vorgehensweise zieht sich wie ein roter Faden durch das christlich-soziale Programm: stark und wortgewandt in der Diagnose, aber karg und vage bei den Lösungsvorschlägen.

Die CSV war noch nie eine Partei der großen Visionen. Auch in den letzten Wahlkämpfen der Juncker-Ära waren Pragmatismus und elektoraler Opportunismus Trumpf.“

Der Grund für den hohen Abstraktionsgrad des Programms ist laut Wiseler übrigens ganz einfach. Als Oppositionspartei verfüge man nämlich nicht über das nötige Zahlenmaterial und andere Daten, die man für die Abschätzung von Folgen einer bestimmten Reform brauche. Doch dieser Umstand erklärt noch immer nicht, dass man in manchen Bereichen (Steuern, Gemeinden) konkret wird und in anderen (Rentenreform, Wohnungsbau) mit der Wahrheit über die eigenen Vorhaben hinter dem Berg hält.

Damit nährt man natürlich den längst bekannten Vorwurf der Koalitionsparteien, wonach die CSV über kein Konzept oder wenige Alternativen zur Regierungspolitik verfüge. Diese Kritik verkennt allerdings, dass dies schon immer die Strategie der „ewigen Regierungspartei“ war. Die CSV war noch nie eine Partei der großen Visionen. Auch in den letzten Wahlkämpfen der Juncker-Ära waren Pragmatismus und elektoraler Opportunismus Trumpf. An der Macht perfektionierte man geradezu das Bild einer programmatisch flexiblen Volkspartei: wertkonservativ im Kern, aber auch liberal und weltoffen genug, um auf gesellschaftliche Entwicklungen zu reagieren, und prinzipiell sozial, um durch den Ausbau des Wohlfahrtsstaats breite Bevölkerungsschichten anzusprechen.

Sehnsucht nach dem „sicheren Weg“

Genau an diese Grundausrichtung will auch Claude Wiseler wieder anknüpfen. Nach fünf Jahren dynamischer, reformfreudiger, schnelllebiger „Gambia“-Koalition, soll es wieder Zeit sein, um den 2013 verlassenen „sicheren Weg“ einzuschlagen. Der CSV geht es weniger um greifbare, bis ins letzte Detail ausgeklügelte Reformpolitik als um die gezielte Bedienung einer unterschwelligen Wechselstimmung im Land.  Entscheidend war im Fall Juncker eben das kollektiv vermittelte Gefühl, dass das Land in sicheren und kompetenten Händen liegt. Oder um es mit den Worten eines an der Ausarbeitung des Programms beteiligten Parteistrategen auszudrücken: „Nur Journalisten und Politologen lesen Wahlprogramme. Den Bürgern geht es um die Empfindung, dass man weiß, wo es lang geht.“

Claude Wiseler hat aber ein Problem: Er ist kein Juncker. Im Guten wie im Schlechten. Der heutige starke Mann der CSV war zwar fast zehn Jahre lang Minister, doch er kann nicht für die gesamte Regierungsvergangenheit seiner Partei verantwortlich gemacht werden. Das merkt man immer dann, wenn Wiseler sagt, dass auch die CSV nicht alles richtig gemacht habe und man heute bestimmte Dinge eben anders sieht als noch vor 2013. Doch dem Spitzenkandidaten fehlt eben auch das Charisma und die Chuzpe von Juncker. Er will den „sicheren Weg“ zwar beschreiten, doch ob er seine Politik auch gegen Widerstände durchsetzen kann, bezweifeln nicht nur seine Konkurrenten aus anderen Parteien.

Claude Wiseler hat aber auch einen entscheidenden Vorteil: Er verkörpert nicht nur programmatisch, sondern auch machtpolitisch eine neue Offenheit der CSV. Während Juncker mit seiner Arroganz der Macht der eigenen Partei am Ende alle Koalitionsoptionen versperrte, lauern auf den Bettel-Herausforderer in dieser Hinsicht die wenigsten Schwierigkeiten. Falls es zur Rückeroberung der Macht im Land reichen sollte, werden die anderen Parteien wohl ziemlich schnell über die zahlreichen Lücken im CSV-Programm hinwegsehen können.