9.800 Antikörpertests hat die Regierung zur Durchführung der sogenannten Con-Vince-Studie gekauft. Kostenpunkt: 7,35 Millionen Euro. Anhand der Tests wollen die Behörden mehr über die Verbreitung des Coronavirus in der Bevölkerung herausfinden. Das Verfahren ist jedoch umstritten.

In Gangelt arbeitet ein Team von Forschern an einer Studie, die weit über die kleine deutsche Gemeinde hinaus wegweisend sein könnte. Ziel der Studie sind Erkenntnisse über den Anteil der Bevölkerung, der bereits Antikörper gegen das Coronavirus Sars-CoV-2 Virus entwickelt hat. Der Ort in Nordrhein-Westfalen war überdurchschnittlich stark vom Virus betroffen.

Das Ziel der Feldstudie im Kreis Heinsberg ist identisch mit der luxemburgischen Con-Vince-Studie. Ebenso benutzt Luxemburg das gleiche Antikörper-Test-Kit, das in den vergangenen Wochen zunehmend in die Kritik geriet. Die Tests des Herstellers „Euroimmun“ können unter Umständen fälschlicherweise positive Resultate anzeigen. Die Zuverlässigkeit des Tests könnte jedoch laut dem Virologen der Berliner Charité Prof. Christian Drosten in den kommenden Wochen zunehmen.

Bei dem „Heinsberger-Protokoll“ verzichteten die Forscher auf eine Überprüfung des Test-Kits. Prof. Dr. Hendrik Streeck, der Direktor des Instituts für Virologie der Universität Bonn, berief sich auf die Eigenangaben des Herstellers, laut dem nur bei einem Prozent der Analysen ein verfälschtes Ergebnis gemessen wurde. Sprich bei einer Person von hundert konnten Antikörper nachgewiesen werden, obwohl er oder sie nicht infiziert war. Erste Studien zeichnen allerdings ein anderes Bild.

Erkältungsviren verzerren Ergebnisse

Das Sars-CoV-2 Virus ist nur eines von mehreren Coronaviren, die den Menschen infizieren können. In der Erkältungszeit zirkulieren jährlich vier weitere Coronaviren, die für den Menschen jedoch größtenteils harmlos sind. Bei einem Antikörpertest kann es allerdings vorkommen, dass ein Test bei solchen Erkältungsviren kreuzreagiert, also auf andere Stoffe anschlägt.

In zwei ersten Studien konnte genau diese Fehlreaktion aufgezeigt werden. Sowohl die Beta-Version des „Euroimmun“-Tests als auch die beiden kommerziellen Kits des Herstellers erzielten falsch-positive Ergebnisse bei zwei Erkältungsviren. Die Zahl der Teilnehmer ist allerdings bei beiden Studien gering und die Studien wurden noch nicht von Zweitgutachtern überprüft.

In der Zwischenzeit wird der Test auch vermehrt vom Virologen Prof. Christian Drosten angewendet. Drosten schätzt, dass bei etwa drei bis vier Prozent der 2.000 Patienten, die er untersucht hat, der Test kreuzreagierte.

Laut Prof. Markus Ollert des Luxembourg Institute of Health (LIH) ergeben Proben aus Luxemburg ein ähnliches Ergebnis. Die Forscher haben die Testkits zuerst selbst untersucht mit Blutproben sowohl von Covid-19-Patienten als auch von gesunden Personen. Wie REPORTER bereits berichtete, hatte die Regierung Anfang April insgesamt 9.800 Testkits zum Gesamtpreis von rund 7,35 Millionen Euro bestellt. Ein einziger Test kostet demnach knapp 750 Euro.

Zuverlässigkeit der Tests soll steigen

Warum die Wahl trotz bestehender Fehlerquote auf „Euroimmun“ fiel, liegt laut Prof. Markus Ollert an mehreren Gründen. Die Forscher des LIH hätten bereits mit dem Hersteller zusammengearbeitet und Testkits für andere Viren für gut befunden. Im Vergleich zu anderen Herstellern lagen die Kits von „Euroimmun“ stets unter den besten zehn bis 15 Prozent. „Die Firma hat bei den ersten Coronavirus-Epidemien auch schon sehr früh relativ gute Antikörpertests hergestellt“, sagt Prof. Markus Ollert.

Die Fehlerquote des Tests ist zudem gering. In etwa 98 Prozent der Fälle können Antikörper bei Covid-19-Patienten nachgewiesen werden. Um eine Kreuzreaktion auszuschließen, werden die Forscher die positiven Proben erneut untersuchen. Mit einem sogenannten Neutralisationstest können die Studienleiter so eine zuverlässigere Aussage über die Immunität der Probanden abgeben.

Bei diesen Tests wird der Virus zusammen mit dem Serum des Patienten in eine Zellkultur gebracht. Sollte der Patient dann tatsächlich Antikörper gegen den Erreger gebildet haben, kann dieser die Zellkultur nicht mehr angreifen.

Immun heißt nicht unbedingt immun

Das LIH hat nun eine Förderung in Höhe von 50.000 Euro des Nationalen Forschungsfonds für die Herstellung eines solchen Neutralisationstests erhalten. Die Forscher hoffen, das Verfahren in ein bis zwei Wochen an Proben der Con-Vince-Studienteilnehmer durchzuführen. Die Zwischenergebnisse, die rein auf dem „Euroimmun“-Test fußen, werden allerdings bereits an die Politik weitergegeben.

Diese Ergebnisse sind, trotz bestehender Fehlerquote, unabdingbar für die Weiterführung der Exit-Strategie. Denn nur wenn mehr Erkenntnisse über die Immunität in der Bevölkerung vorhanden sind, ließe sich der „Lockdown“ weiter zurückfahren. Allerdings warnt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei einer solchen Strategie vor zu viel Optimismus. „Es gibt im Moment keinen Nachweis, dass Menschen, die sich von Covid-19 erholt und Antikörper haben, vor einer zweiten Infektion geschützt sind“, teilte die WHO vergangene Woche mit.

Unabhängig von dieser Grundsatzfrage könnte die Zuverlässigkeit der Tests ohnehin bald zunehmen. Laut Prof. Christian Drosten spielt nämlich auch der Zeitpunkt der Erkrankung an einem anderen Coronavirus eine große Rolle. Je nach Studie sind diese bei fünf bis 15 Prozent der Auslöser einer Erkältung. Demnach könnte ein beträchtlicher Anteil der Bevölkerung bereits an einem dieser Viren in den Wintermonaten erkrankt gewesen sein.

Da sich die Viren jedes Jahr leicht verändern, ist die Immunität gering. Die Antikörper des Menschen nehmen also mit der Zeit ab. Je länger die Erkrankung zurückliegt, desto unwahrscheinlicher wird eine Kreuzreaktion. Prof. Markus Ollert warnt allerdings, dass dieser Zusammenhang noch nicht eindeutig bewiesen wurde. Langfristig führt also nichts an den Neutralisationstests vorbei.


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