In einer repräsentativen Studie sollen Teile der Bevölkerung auf Antikörper gegen das Virus Sars-CoV-2 getestet werden. Die Regierung setzt große Hoffnung in diese Tests, auch um eines Tages den „Lockdown“ zu lockern. Doch die Strategie wirft im Detail einige Fragen auf.
„Wir brauchen belastbare Zahlen, wie sich das Virus in der Bevölkerung verbreitet“, sagte Dr. Ulf Nehrbass bei „RTL-Radio“. Laut dem Direktor des „Luxembourg Institute of Health“ beschreiben die täglich veröffentlichten Fallzahlen lediglich, wie viele Menschen mit Symptomen sich mit dem neuen Coronavirus angesteckt haben. Wie viele tatsächlich betroffen sind, geht aus den Zahlen nicht hervor.
Nach Schätzungen von Forschern könnte die Dunkelziffer der Infizierten um ein Zehnfaches höher liegen. Abhilfe zur Bestimmung dieser Zahl sollen nun Antikörpertests leisten. Das Ministerium erhofft sich anhand von diesen Daten festzustellen, wie weit die Immunität in der Bevölkerung fortgeschritten ist. Und damit letztlich Antworten auf die Frage, wie man langsam den Ausnahmezustand verlassen kann, ohne damit eine schnelle Verbreitung des Coronavirus Sars-CoV-2 zu riskieren.
In einer ersten Phase sollen etwa 1.500 zufällig ausgewählte Bürger auf das Virus und Antikörper getestet werden, sagte der Leiter des „Luxembourg Institute of Health“. In einem zweiwöchigen Abstand könnte über mehrere Monate diese Gruppe erneut getestet werden, um festzustellen, wie schnell das Virus sich ausbreitet und vor allem: ob die Immunität anhält. Zurzeit befinde man sich aber noch in der Planungsphase. Laut dem Gesundheitsministerium soll die Studie aber bereits diese Woche anlaufen.
Hoffen auf anhaltende Immunität
Laut dem deutschen Virologen Christian Drosten kann man davon ausgehen, dass zumindest für die Zeit dieser Pandemie ein mit dem Virus infizierter Mensch sich nicht erneut anstecken kann. Belastbare Studien dazu gibt es zurzeit aber nicht. Die nun beginnende Untersuchung in Luxemburg könnte also zum allgemeinen Verständnis des Virus beitragen. Indem die Studienteilnehmer über einen regelmäßigen Zeitraum erneut getestet werden, könnte man feststellen, ob Drostens These sich bestätigt.
Bis aussagekräftige Ergebnisse vorliegen, könnten allerdings mehrere Monate vergehen. Ausgerechnet die anhaltende Ausgangssperre könnte den Verlauf der Studie jedoch ungewollt verlängern. „Das Virus breitet sich zurzeit langsamer aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Mensch also zweimal mit dem Sars-CoV-2 in Berührung kommt, ist gering“, sagt Dr. Trung Nguyen, leitender Virologe beim „Laboratoire national de santé“ (LNS), im Gespräch mit REPORTER.
Bei diesem Virus-Typ gehen Wissenschaftler davon aus, dass eine Immunität entsteht.“Paulette Lenert, Gesundheitsministerin
Trotzdem könne man für eine Studie nicht das Leben der Menschen aufs Spiel setzen, so der Virologe des Staatslaboratoriums. Eine absichtliche Neuinfektion der Studienteilnehmer oder eine verfrühte Aufhebung der Ausgangssperre für Studienzwecke schließt er deshalb aus ethischen Gründen aus.
Die Frage der Immunität könnte allerdings ausschlaggebend sein für die Ausarbeitung einer sogenannten „Exit-Strategie.“ Um schrittweise zurück zur Normalität zu kommen, wäre eine Möglichkeit, den Menschen einen „Immunitätspass“ auszustellen, sagte der Allergologe Prof. Markus Ollert dem „Luxemburger Wort.“ Sollte die Immunität jedoch nicht von Dauer sein, wäre dies sinnlos. Paulette Lenert äußerte sich im Interview mit „Radio 100,7“ dennoch optimistisch: „Bei diesem Virus-Typ gehen Wissenschaftler davon aus, dass eine Immunität entsteht.“
Ausbreitung zurzeit noch unbekannt
Auch wenn die Frage der Immunität in naher Zukunft nicht abschließend geklärt werden kann, kann die Studie bereits nach den ersten Tests entscheidende Daten liefern. Zurzeit ist das Wissen über die Ausbreitung des Virus begrenzt, weil nur Menschen mit Symptomen getestet werden können.
Da in Luxemburg vergleichbar viel getestet wird, geht der Virologe Dr. Trung Nguyen davon aus, dass die Dunkelziffer für Luxemburg nicht um ein Vielfaches höher liegt als die offiziellen Zahlen preisgeben. Ob das stimmt, lässt sich auch anhand der Antikörpertests genauer bestimmen. Im Gegensatz zu den PCR-Tests, soll der neue Test nämlich auch bei genesenen Menschen reagieren.
Was die Hersteller der Tests angeben, ist oft zu schön, um wahr zu sein.“Dr. Stéphane Gidenne, „Laboratoires Ketterthill“
Anhand der Daten können die Forscher Simulationen erstellen, wie weit sich das Virus bereits ausgebreitet hat. Zudem soll durch die regelmäßigen Stichproben auch untersucht werden, wie schnell die Ausbreitung voranschreitet. Sollte sich zum Beispiel bestätigen, dass sich das Virus nur sehr langsam verbreitet, würde das bedeuten, dass der Lockdown seine erhoffte Wirkung erzielt hat.
Qualität der Tests fraglich
Die Tests könnten demnach einen substanziellen Fortschritt für die Erforschung und Modellierung des Virus und der Pandemie leisten. Die Voraussetzung dafür: Die Tests an sich sind zuverlässig. Auf dem Markt sind bereits mehrere Tests erhältlich, darunter auch Schnelltests. Die Regierung Großbritanniens wollte solche Schnelltests der Bevölkerung breit zugänglich machen. Forscher haben aber nun festgestellt, dass der Test bei Infizierten mit geringen Symptomen bei nur etwa 50 bis 60 Prozent positiv ausfällt – also genau jene Gruppe, für die der Test eigentlich bestimmt war.
„Was die Hersteller der Tests angeben ist oft zu schön, um wahr zu sein“, sagt Dr. Stéphane Gidenne im Gespräch mit REPORTER. Der geschäftsführende Direktor der „Laboratoires Ketterthill“ zweifelt auch an der Qualität von Schnelltests. Laut Dr. Stéphane Gidenne wurden in einem ausländischen Labor Blutproben von 2019 mit einem solchen Test analysiert. Das Ergebnis: Ein Viertel der Proben auf Antikörper fiel positiv aus. Das Virus war zu dem Zeitpunkt allerdings noch gar nicht in Europa aufgetreten.
Man kann die Antikörper-Forschung nicht in zwei Wochen neu erfinden.“Dr. Stéphane Gidenne, „Laboratoires Ketterthill“
Doch selbst effiziente Tests, riskieren positiv auf andere Coronaviren zu reagieren. „Wenn jemand gerade eines der normalen Corona-Erkältungsviren hinter sich hat, könnte der Test reagieren“, sagt der Virologe Christian Drosten im NDR-Podcast. Für Dr. Stéphane Gidenne ist es auf jeden Fall noch zu früh, um genaue Testergebnisse zu erwarten: „Man kann die Antikörper-Forschung nicht in zwei Wochen neu erfinden.“ Er rechnet erst Ende des Monats mit zuverlässigen Tests.
Langer Weg aus dem Lockdown
Die Studie soll dennoch bereits diese Woche anlaufen. In den letzten Tagen sollen mehrere Tests überprüft worden sein. Einen ersten Schnelltest aus China habe das Staatslaboratorium bereits Ende März erhalten. Weitere Tests, die demnächst eine Marktzulassung erhalten, waren auch im Gespräch. Darunter ein Testkit aus Deutschland und Frankreich. Die Wissenschaftler haben sich letztlich für den deutschen Test entschieden. Ob es ein Schnelltest oder ein Labortest ist, ist zurzeit jedoch nicht bekannt. Damit steht auch noch im Raum, wie zuverlässig der Test ist.
Bereits klar scheint jedoch, dass die Studie den Weg ebnen soll für das Testen der Gesamtbevölkerung. Diese Testergebnisse könnten dann in einer Art Immunitätspass vermerkt werden, sagte Prof. Markus Ollert. Diese Idee stößt jedoch auf Skepsis beim geschäftsführenden Direktor von „Ketterthill“. Wäre nur ein Bruchteil der Bevölkerung immun, müssten die anderen regelmäßig einen solchen Antikörpertest durchführen. Zwar könnten pro Labor etwa 1.000 solcher Tests pro Tag analysiert werden, aber der Aufwand bliebe enorm, so Dr. Stéphane Gidenne.
Die bereits durchgeführten Tests aus anderen Ländern geben dem Mikrobiologen recht. Sie deuten nicht darauf hin, dass die Zahl der bereits Infizierten überraschend höher ausfällt als bisher bekannt. Sollte sich das in Luxemburg bewahrheiten, ist die nötige Herdenimmunität noch in weiter Ferne. Diese besagt, dass etwa 70 Prozent der Bevölkerung sich infizieren müssten, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Eine allmähliche Rückkehr zur Normalität würde es dann ohne Impfstoff sobald nicht geben.