Das Prinzip klingt einleuchtend: Unternehmen, die von der Pandemie profitieren, sollen einen größeren Beitrag zur finanziellen Überwindung der Krise leisten. Der Vorschlag von Dan Kersch für eine „Corona-Steuer“ ist jedoch noch unausgereift, wie selbst der Vizepremier einräumt.
27 Millionen Euro. Das ist der Betrag, den Sven Clement als potenzielle Einnahme bei der Einführung einer Corona-Steuer errechnet hat. Die Berechnung des Piraten-Abgeordneten fußt auf der Idee einer sogenannten Corona-Steuer, die Arbeitsminister und Vizepremier Dan Kersch (LSAP) in die politische Debatte einbrachte. Demnach sollen jene Unternehmen zusätzlich besteuert werden, die 2020 und 2021 im Schnitt mindestens zehn Prozent mehr Gewinn erwirtschafteten als in den fünf Jahren zuvor.
Die errechnete Summe würde nur einen Bruchteil des Defizits von fünf Milliarden Euro tilgen, das der Zentralstaat allein für das vergangene Jahr verbuchte. Dennoch hält Dan Kersch an seiner Idee fest. „Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie eine solche Steuer aussehen könnte“, verteidigt sich der Minister im Interview mit Reporter.lu. Von der Steuer erwartet er sich innerhalb von zwei Jahren zusätzliche Einnahmen zwischen 100 und 120 Millionen Euro. Eine eigene Rechnung legte der Minister bisher nicht vor. Es gehe laut Kersch auch nicht nur um zusätzliche Einnahmen im Staatshaushalt, sondern um das Prinzip.
Unabhängig von der genauen Gestaltung der steuerlichen Maßnahme bleibt ihre Umsetzbarkeit aber zweifelhaft. Dabei stellt sich vor allem die Frage, welche Unternehmen wirklich von der Steuer betroffen wären, und nicht zuletzt, ob die fiskalische Maßnahme vor einem Gericht standhalten könnte.
Wer sind die Krisengewinner?
„Die Berechnung einer solchen Steuer ist eigentlich nichts Komplexes“, sagt der ehemalige Direktor der Steuerverwaltung, Guy Heintz, im Gespräch mit Reporter.lu. Bereits Anfang September 2020 – also ein halbes Jahr vor Dan Kersch – machte Guy Heintz den Vorschlag, eine Corona-Steuer einzuführen. Er bezieht sich auf die historische Kriegsgewinnlersteuer, die nach dem Zweiten Weltkrieg für natürliche Personen und Unternehmen eingeführt wurde. Damals wurden die zusätzlichen Einnahmen während der Besatzungszeit mit einem Steuersatz von bis zu 80 Prozent besteuert. Demnach sei es kein neues Konzept, die Gewinner einer Krise verstärkt zur Kasse zu bitten, betont Guy Heintz.
Je länger man mit der Einführung einer solchen Steuer wartet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie juristisch standhält.“Guy Heintz, Ex-Direktor der Steuerverwaltung
In den Besatzungsjahren galt die Steuer allerdings für jeden, der sein eigenes oder das Vermögen des Unternehmens vergrößerte. Ob dies nun tatsächlich auf Begünstigungen der Besatzungsmacht zurückzuführen war, spielte keine Rolle. Die genaue Verortung der Gewinngrundlage gestaltet sich auch heute schwierig. Um zu verhindern, dass Unternehmen, die etwa nur durch den Verkauf ihres Firmensitzes während der Pandemie mehr Geld erwirtschaftet haben, der Steuer unterliegen, schlägt Guy Heintz vor, dass diese in ihrer Steuererklärung angeben müssen, ob die zusätzlichen Profite tatsächlich auf die Krise zurückzuführen sind.
„Möbelunternehmen machten vielleicht während der Krise durch das Homeoffice einen größeren Umsatz. Doch das sind nur vorgezogene Investitionen“, gibt hingegen Jean-Paul Olinger zu bedenken. „Umgekehrt haben Reiseveranstalter stark gelitten, könnten aber in zwei oder drei Jahren mehr Geld verdienen, weil teure Reisen nur aufgeschoben wurden“, so der Direktor der „Union des Entreprises Luxembourgeoises“ (UEL) im Gespräch mit Reporter.lu.
Auch Sven Clement äußert Bedenken zur Umsetzbarkeit einer Erklärung von pandemiebedingten Gewinnen. „Die Steuerverwaltung müsste dann überprüfen, ob ein nicht erklärter Gewinn auch tatsächlich nichts mit der Pandemie zu tun hat. Das eröffnet den Weg zu einer Klagewelle“, sagt der Parlamentarier. Dabei wäre dies für Unternehmen womöglich nicht der einzige Klagegrund.
Rechtlich auf wackeligen Beinen
Hinzu kommt eine ganz formale Hürde bei der Umsetzung. Die Steuergesetzgebung wird nämlich jährlich zusammen mit dem Haushaltsgesetz verabschiedet. Eine rückwirkende Besteuerung für das Jahr 2020 ist demnach kaum noch möglich. Das erkennt auch Guy Heintz an. „Die Frage ist, ob eine Corona-Steuer mit der Verfassung vereinbar ist. Der Staatsrat wird sicherlich seine Bedenken äußern. Das Parlament kann diese aber natürlich übergehen“, so der ehemalige Direktor der Steuerverwaltung.
Allerdings drängt die Zeit. „Je länger man mit der Einführung einer solchen Steuer wartet, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie juristisch standhält“, so die Einschätzung von Guy Heintz. Das Argument der Verfassungsmäßigkeit will der Vizepremier allerdings nicht gelten lassen. „Wenn es nicht umsetzbar ist, dann haben wir ein Problem mit unserem politischen System“, so Dan Kersch. Er bleibt überzeugt: Wenn es den politischen Willen dafür gäbe, wäre es auch möglich, diese Steuer einzuführen.
Ein Unternehmen, das während der Krise mehr erwirtschaftete, zahlt ohnehin mehr Steuern.“Jean-Paul Olinger, UEL-Direktor
Eine rückwirkende Steuer ist in der Gesetzgebung allerdings selten. Neben der Spezialsteuer auf den Gewinn während des Zweiten Weltkriegs besteht ein entsprechender Text etwa für den Agrar- und Weinbausektor, erklärt Yves Cruchten. Für die Berechnung des Steuersatzes wird der durchschnittliche Gewinn der letzten fünf Jahre ermittelt. Überdurchschnittliche Einnahmen können anschließend mit bis zu 27 Prozent besteuert werden.
Doch der Vergleich hinkt. Winzer und Bauern konnten diese Gegebenheit des Steuergesetzes vor der Tätigung von neuen Investitionen berücksichtigen. Bei der Corona-Steuer wäre dies nicht der Fall. „Man kann nicht einfach während eines Spiels die Spielregeln ändern“, sagt Jean-Paul Olinger. Die Unternehmen benötigten Rechtssicherheit, deshalb könne eine Steuer auch stets erst auf die kommenden Jahre angewendet werden, so der frühere Steuerexperte der Beratungsfirma KPMG.
Prinzipiell stellt Jean-Paul Olinger infrage, ob eine Steuer überhaupt das richtige Mittel zur Überwindung der Krise sei. „Die Wirtschaft erholt sich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen und wird so zusätzliche Arbeitsplätze und Steuereinnahmen schaffen, welche uns helfen, das Defizit über mehrere Jahre zu begleichen“, schätzt der UEL-Direktor.
Konzept soll nachgereicht werden
„Ein Unternehmen, das während der Krise mehr erwirtschaftete, zahlt ohnehin mehr Steuern. Der absolute Betrag, den es zahlt, steigt auch mit dem Gewinn“, betont Jean-Paul Olinger zudem. Für Dan Kersch ist es allerdings eine Frage des Prinzips – und das lautet: Krisengewinner sollen auch prozentual mehr zum Staatshaushalt beitragen. Ausgenommen sind allerdings Privatpersonen. Dan Kersch begründet dies mit der ausbleibenden Steuerreform. „Da es nicht wie eigentlich geplant zu einer Entlastung kommt, zahlt die Bevölkerung bereits jetzt mehr als vorgesehen war“, so der Vizepremier.
Wir werden in der anstehenden Steuerdebatte im Parlament ein klares Konzept für mehr Gerechtigkeit vorlegen.“Yves Cruchten, LSAP-Parteivorsitzender
„Wenn das Ziel Steuergerechtigkeit sein soll, gibt es effizientere Mittel, wie etwa eine Vermögensteuer oder Spekulationssteuer“, sagt Guy Heintz. In seinen Augen sei die Corona-Steuer immerhin ein „kleiner Beitrag für mehr Gerechtigkeit.“ Auch die LSAP teilt diese Analyse. „Es muss eine Steuer werden, die auch die Richtigen trifft“, sagt der LSAP-Parteichef Yves Cruchten im Gespräch mit Reporter.lu. Mit den „Richtigen“ meint Cruchten etwa Privatbanken, Immobilienunternehmen, Onlinehändler oder Supermärkte.
„Wir werden in der anstehenden Steuerdebatte im Parlament ein klares Konzept für mehr Gerechtigkeit vorlegen“, so Yves Cruchten weiter. Die LSAP forderte etwa bereits die Wiedereinführung der Vermögensteuer für Privatpersonen ab einem Wert von über zwei Millionen Euro. Auch Dan Kersch kündigt an, dass die LSAP dafür sorgen werde, dass die Debatte nicht im Sand verläuft.
Bis dahin bleibt es allerdings bei einer Forderung ohne klares Konzept. Für den Vizepremier ist dies allerdings zweitrangig. „Ich habe meinen Vorschlag vorgelegt, jetzt ist es an den anderen Parteien, Position zu beziehen oder Alternativen aufzuzeigen“, sagt Dan Kersch. Wenn man sich auf das Prinzip einer Steuer einigen kann, könnte anschließend ein Konzept ausgearbeitet werden, so der Minister.
Alleingang mit geringer Erfolgsaussicht
Bis jetzt habe er kaum Stimmen gehört, die sich kategorisch gegen die Idee ausgesprochen haben, dass Krisengewinner auch einen größeren Beitrag leisten sollen, sagt Dan Kersch. Eine Ausnahme ist allerdings ausgerechnet der Koalitionspartner.
„In der jetzigen Situation würden Steuererhöhungen der konjunkturellen Belebung schlicht und einfach den Wind aus den Segeln nehmen“, schrieb der Vorsitzende der Finanzkommission im Parlament, André Bauler (DP), in einem Meinungsbeitrag im „Luxemburger Wort“. Auch die DP-Vorsitzende Corinne Cahen erteilte der Idee eine klare Absage. Vertreter von Déi Gréng haben sich in der Debatte noch nicht klar geäußert.
Die Menschen sollen wissen, für was die Parteien stehen. Das gilt auch, wenn sie gemeinsam in einer Regierung sind.“Dan Kersch, Vize-Premierminister
Doch Dan Kersch hält an seiner Idee fest. „Ich bin noch immer der Überzeugung, dass die Steuer kommen wird“, so der Vizepremierminister. Mit welcher politischen Mehrheit er ein solches Projekt durchbringen möchte, lässt er allerdings offen. „Ich war mit meiner Meinung schon öfters allein, das hat mich nicht dabei gestört, sie zu äußern“, so Dan Kersch. Das könne er auch als Regierungsmitglied tun. „Die Menschen sollen wissen, für was die Parteien stehen. Das gilt auch, wenn sie gemeinsam in einer Regierung sind.“
Hat der Vizepremier damit also schon den Wahlkampf eingeläutet? „Die Wahlen sind erst in zweieinhalb Jahren, bis dahin haben wir noch vieles vor“, sagt Dan Kersch. Dem Minister spielt dabei in die Hände, dass das Koalitionsprogramm ohnehin kaum noch umsetzbar ist. Die Parteien müssen also neu ausloten, welche Prioritäten sie für die Zeit nach der Krise setzen möchten. Dan Kersch hat seine nun in abstrakter Form vorgelegt. Ob er damit bei den Koalitionspartnern durchkommt, bleibt allerdings fraglich.