Schon in früheren Pandemien wurden antisemitische Ressentiments bedient. Auch unter den heutigen Impfgegnern sind Vergleiche zwischen der Krisenpolitik und der Judenverfolgung im Dritten Reich keine Seltenheit. Luxemburgs Justiz möchte nun einen Präzedenzfall schaffen.
Ein Facebook-Post, zwei nebeneinander gestellte Fotos. Eines zeigt den Impfbus der Regierung, das andere einen Lastwagen jenes Typs, der von den Nationalsozialisten in den 1940er Jahren als eine Art mobile Gaskammer eingesetzt wurde. „Deutscher Impfbus aus den 40er Jahren und der Luxemburger Impfbus von 2021. Es hat sich nichts geändert“, steht über den Bildern.
Ein weiterer Post auf der Facebook-Seite der Demokratischen Partei (DP), ein Kommentar darunter, in dem die Regierung dazu aufgefordert wird, die Ungeimpften „gegen eine Mauer zu stellen“ oder „mit dem Zug in Arbeitslager“ abzutransportieren und sie „ab durch Kamin 13“ zu jagen. „70 Prozent geimpft, dreißig Prozent ungeimpft, die 30 beseitigen, dann sind wir auf 100. Das nennt man Mathe“, wird das Ganze kommentiert.
Es sind nur zwei Beispiele für die Art und Weise, wie Anlehnungen an das Dritte Reich und den Holocaust Einzug in die Diskussionen rund um die Covid-Pandemie halten. Zu beobachten ist dies auch bei Demonstrationen gegen die sanitären Maßnahmen: Einige Teilnehmer tragen einen gelben Stern am Arm, die Aufschrift „Jude“ haben sie durch „ungeimpft“ oder „nicht geimpft“ ersetzt. Auf ihren Plakaten stehen Sätze wie „Impfung macht frei“, in Anlehnung an den Schriftzug „Arbeit macht frei“ am Eingangstor des Konzentrationslagers Auschwitz. Auf anderen prangen Wortschöpfungen wie „pass nazitaire“ statt „pass sanitaire“.
Anstieg von antijüdischen Äußerungen
Vertreter der jüdischen Gemeinschaft sowie Gedenkvereinigungen betrachten diese Entwicklungen mit großer Sorge. „Le mépris des victimes juives a tendance à se multiplier, que ce soit à travers l’utilisation abusive de l’étoile jaune lors de manifestations publiques en rapport avec la pandémie ou de messages clairement antisémites sur les réseaux sociaux“, betont etwa Laurent Moyse vom „Consistoire Israélite du Luxembourg“.
Ich habe vor, den Strafbestand des Vergleichs zwischen Impfempfehlung und Judenverfolgung im Dritten Reich als Verharmlosung des Holocaust gerichtlich prüfen zu lassen.“Dominique Peters, Staatsanwaltschaft
Auch für Historiker sind die zitierten Vergleiche ein klarer Fall von Antisemitismus: „Das ist schon dadurch sekundärer Antisemitismus, weil damit das Leiden der Juden und Jüdinnen auf obszöne Weise heruntergespielt wird“, sagt etwa der Historiker Mathias Berek von der Technischen Universität Berlin. „Es unterstellt ja letztlich, die Nazis hätten der jüdischen Bevölkerung lediglich das Tragen von Masken und ein paar Kontaktbeschränkungen auferlegt“, so der Forscher in einem Interview über den historischen Zusammenhang von Impfkritik und Antisemitismus.
Es gibt mittlerweile zahlreiche Berichte und Veröffentlichungen, die belegen, dass antijüdische Ressentiments während der Pandemie und besonders in der Impfgegnerschaft weiter zugenommen haben. Aus einer Veröffentlichung der Europäischen Kommission etwa geht hervor, dass sich antisemitische Inhalte im Internet in deutscher Sprache um das 13-fache und in französischer Sprache um das Siebenfache erhöht haben.
Staatsanwaltschaft will durchgreifen
Doch was passiert wirklich? Haben diese offensichtlichen Grenzüberschreitungen Folgen? Wie reagieren Justiz und Politik auf die deutlich wahrnehmbare Zunahme von diskriminierenden, in verstärktem Maße antisemitischen Inhalten sowohl im Internet als auch im öffentlichen Raum?
Der Dienst für Internetsicherheit „Bee Secure“ hat ein Instrument entwickelt, die sogenannte Stopline, das einer breiten Öffentlichkeit erlaubt, verdächtige Inhalte im Internet zu melden. Werden die Meldungen als illegal eingestuft, gibt „Bee Secure“ diese an die Polizei weiter, die sich wiederum mit der Staatsanwaltschaft abstimmt. Meistens spricht die Justiz dann eine Verwarnung aus. Nur in den seltensten Fällen, bei Wiederholungstätern oder klarem Aufruf zu Gewalt etwa, wird ermittelt.
„Anstatt einer Strafverfolgung entgegenzusehen, greife ich vermehrt auf Dienste im Bereich der Täterarbeit zurück und erlaube Ersttätern, eine erzieherische Begleitung in Anspruch zu nehmen“, beschreibt Staatsanwältin Dominique Peters ihre Vorgehensweise. „Gemeinsam mit der Polizei stellen wir jedoch fest, dass immer mehr Meldungen auch tatsächlich den Tatbestand der Aufforderung zum Hass oder zur Gewalt erfüllen könnten“, räumt die Beauftragte für Hate-Speech-Bekämpfung der Luxemburger Staatsanwaltschaft im Gespräch mit Reporter.lu ein.
Wie viele der etwa 20 pro Woche bei der Staatsanwaltschaft eingehenden, mutmaßlichen Aufrufe zu Hass und Gewalt nun tatsächlich antisemitisch sind, ist nicht leicht zu ermitteln. Denn diese werden in den Statistiken zu den Inhalten nicht genauer differenziert. „Gemeinsam mit dem Justizministerium haben wir beschlossen, keine Zahlen bezüglich der Hassbotschaften gegenüber den einzelnen Religionsgemeinschaften aufzustellen“, sagt Dominique Peters. Sie sehe es „nicht als dienlich an, ein Ranking zwischen Zielgruppen aufzustellen“.
Verharmlosung der Shoah ist strafbar
Aus der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom Juli geht hervor, dass im Jahr 2019 eine einzige Person, im Jahr 2020 drei Personen wegen Kommentaren verurteilt wurden, die sich „gegen eine Person, eine Gruppe oder eine Gemeinschaft aufgrund ihrer wirklichen oder angenommenen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion“ richteten. Ob diese nun antijüdisch waren, wurde nicht angegeben. Auch anderen Straftaten, wie Körperverletzungen zum Beispiel, können antisemitische Motive zugrunde liegen, die statistisch nicht erfasst werden.
Antisemitismus war nie weg. In der Impfkritik wie auch in anderen Milieus sind in letzter Zeit offenbar Hemmungen gefallen, sich antisemitisch zu äußern.“Mathias Berek, Antisemitismusforscher
Staatsanwältin Dominique Peters möchte angesichts der verschärften Lage in der Pandemie aber nun einen Präzedenzfall schaffen. „Ich habe vor, den Strafbestand des Vergleichs zwischen Impfempfehlung und Judenverfolgung im Dritten Reich als Verharmlosung des Holocaust gerichtlich prüfen zu lassen“, sagt sie im Gespräch mit Reporter.lu. Kürzlich habe es 15 Meldungen gegeben, von denen neun als potenziell strafbar zurückbehalten worden seien. Alle beträfen in irgendeiner Form den Vergleich „Impfempfehlung und Holocaust“.
Die juristische Grundlage bildet dabei Artikel 457-3 des Strafgesetzbuches, wonach die Leugnung, die Verharmlosung oder die Rechtfertigung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, von Kriegsverbrechen oder von Völkermorden ausdrücklich unter Strafe gestellt wird. Dem Täter drohen bis zu zwei Jahren Freiheitsentzug und eine Geldstrafe bis zu 25.000 Euro. Dominique Peters hofft, dass der erste Fall bereits Anfang 2022 vor Gericht kommen wird.
Mathias Berek aus dem Institut für Antisemitismusforschung in Berlin ist keineswegs überrascht, dass in Zusammenhang mit der Pandemie und nun verstärkt in der Impfkritik wieder antisemitische Töne angeschlagen werden. „Antisemitismus war nie weg. In der Impfkritik wie auch in anderen Milieus sind in letzter Zeit offenbar Hemmungen gefallen, sich antisemitisch zu äußern“, so die Einschätzung des Historikers.
Fehlendes Geschichtsbewusstsein
Dass Juden für die Verbreitung von Epidemien verantwortlich sind, ist dabei eine der ältesten antisemitischen Vorstellungen, die in unterschiedlichen Varianten bereits seit der Antike auftauchen. Zugrunde liegen diesem Gedankengut vor allem antijudaistische Verschwörungstheorien. Im 14. Jahrhundert etwa wurden die Juden beschuldigt, zur Verbreitung der Beulenpest Brunnen zu vergiften, um ihren globalen Einfluss auszuweiten. Und auch heute tauchen mit der Verbreitung des Virus wieder verstärkt antisemitische Stereotype und Schuldzuweisungen auf.
„Bei den meisten Inhalten heutiger Verschwörungstheorien handelt es sich um alte Allegorien, die für eine moderne Pandemie neu verpackt wurden“, schreibt die US-amerikanische ADL (Anti-Defamation League) in einer Auflistung antisemitischer Erscheinungen, die in den USA bereits mit dem Ausbruch der Pandemie im April 2020 aufgetaucht sind.
Nous n’avons pas été capables de transmettre suffisamment ce qu’ont été le nazisme et l’histoire de la Shoah.“Iannis Roder, Historiker
Doch es sind nicht nur Verschwörungstheorien vom geschäftstüchtigen Juden, der das Virus benutze, wenn nicht gar geschaffen habe, um sich selbst zu bereichern, die die antisemitischen Ressentiments in der Impfkritik nähren. Hinzu kommt, dass Impfgegnerschaft und Antisemitismus ein „sozialdarwinistischer, zutiefst unsolidarischer Naturglaube“ gemein ist, schreibt Mathias Berek in einem Artikel über historische Parallelen antisemitischer Ressentiments in der Impfkritik.
Zum Recht des Stärkeren, der dem Virus trotzt, gehöre demnach stets auch das schicksalhafte Urteil der Natur über den Schwächeren, der es nicht schaffe, so der Historiker. Impfgegner im deutschen Kaiserreich etwa gaben der Impfung gegen die Pocken die Schuld, die „natürliche Auslese“ verhindert und damit den „biologisch schwachen“ Juden zur Macht verholfen zu haben.
Dass Impfkritiker nun heute Versatzstücke der Shoah benutzen, um sich als „ultimative Opfer“ zu inszenieren, mag auch an fehlendem Geschichtsbewusstsein liegen. „Nous n’avons pas été capables de transmettre suffisamment ce qu’ont été le nazisme et l’histoire de la Shoah“, sagt der Historiker Iannis Roder, der an einer Schule in einem Vorort im Norden von Paris unterrichtet, im Interview mit „France Info“.
Hetze und Mitverantwortung
Doch die Auswüchse dieses sekundären Antisemitismus, der sich überwiegend in einer Banalisierung der Shoah ausdrückt, allein auf fehlende Bildung zurückzuführen, ist zu kurz gegriffen. Der Antisemitismusforscher Mathias Berek spricht zwar auch von einer „ideologisch gefestigten, in ihrem Judenhass unbeirrbaren Minderheit“, der es jedoch nicht schwer fallen würde, eine breite Bewegung mit antisemitischen Stereotypen und Bildern mitzureißen. Dies gelinge nur, weil antisemitische Einstellungen in allen Bereichen der Gesellschaft weiterhin stark verbreitet seien.
Für die heutige impfgegnerische Bewegung gelte zudem dasselbe wie für ihre historischen Vorläuferinnen, schlussfolgert Mathias Berek: „Solange sich ihre Mitglieder nicht konsequent von den Antisemiten unter ihnen und von deren Überzeugungen trennen, sind sie für den Judenhass mitverantwortlich.“
Das Problem ist laut dem Historiker also nicht zu unterschätzen. Antisemitistische Ressentiments in der Impfgegnerschaft können die demokratische Debattenkultur schnell aus dem Ruder laufen lassen. Umso wichtiger, dass jeder und jede Einzelne, vor allem aber Medien und Politik Grenzüberschreitungen nicht dulden, sondern brandmarken. Und das beginnt bereits mit dem Löschen und gegebenenfalls Anzeigen antisemitischer Kommentare auf ihren Facebook-Seiten.


