Was macht eigentlich ein Lokalpolitiker? Diese Frage steht im Mittelpunkt von „E klengt Buch iwwer Gemengepolitik“. Der CSV-Politiker Fréd Ternes zeichnet darin ein persönliches, bisweilen heiteres und am Ende auch arg verniedlichendes Bild von Politik. Eine Buchkritik.
Das politische Buch führt in Luxemburg ein Schattendasein. Zwischen vereinzelten Veröffentlichungen von parteinahen Stiftungen und wissenschaftlichen Publikationen liegt meist die publizistische Ödnis. Seltener noch als Bücher über die Politik sind dabei jene aus der Politik. Also jene, die aus dem politischen Alltag berichten und dem Leser einen Blick hinter die Kulissen des Politbetriebs erlauben.
Während die Leserschaft sich wohl noch etwas gedulden muss, bis Jean-Claude Juncker seine Memoiren vollendet, legt nun ein konservativer Nachwuchspolitiker vor: Fréd Ternes. Der 34-jährige CSV-Schöffe der Gemeinde Niederanven widmet sich dabei jenem Politikfeld, das für die einen bloß ein schnödes Sprungbrett auf die nationale Bühne ist, für die anderen jedoch das Fundament einer Demokratie darstellt: der Lokalpolitik.
Anekdotischer, unterkomplexer Ratgeber
„E klengt Buch iwwer Gemengepolitik“ versteht sich selbst als Handreichung für alle jene, die, wie der Autor es selbst formuliert, „die Politiker besser verstehen wollen“. Ziel des Buches sei es denn auch, andere für die Politik und insbesondere für die Lokalpolitik zu begeistern. Wer sich dabei jedoch die Autobiografie eines Jungpolitikers erwartet, der wird enttäuscht. Zwar werden die rund 100 Seiten immer wieder mit Anekdoten angereichert, diese sind jedoch eher Beiwerk als Fokus des Buches.
Ebenso ignoriert das Buch fast durchgehend die Komplexität und Vielfältigkeit der Gemeindepolitik. Kein Satz etwa darüber, welche Rolle Kommunalpolitik bei den drängendsten Fragen der Zeit, etwa der Bewältigung der Wohnungs- oder der Klimakrise, spielen kann. Und auch nicht darüber, was es für die politische Praxis heißt, dass sich die Regierung zur Lösung dieser Probleme mit aktuellen Maßnahmen, wie dem „Pacte Logement 2.0“, explizit auf die Gemeindeverantwortung verlässt. In diesen Aspekten hätte man sich vom Autor mehr Mut zur politischen Substanz gewünscht.
Gedold brauch een och mol fir dee richtege Moment ze fannen, fir eng Iddi duerchzesetzen. Dat ass politisch Strategie.“Fréd Ternes
Stattdessen versteht sich das Buch als Ratgeber, wie man Politik betreiben kann – und wie man überhaupt zur Politik kommt. Zumindest in der Gemeindepolitik sei es üblich, dass man gefragt wird, ob man sich nicht politisch engagieren wolle, erklärt Fréd Ternes in seinem Buch. Zumeist, weil man sich schon zuvor in einem Verein engagiert hatte. So sei es jedenfalls bei ihm persönlich gewesen, so der Autor, der als Ausbildungsleiter am „Institut de formation de l’Education nationale“ arbeitet.
Die Frage, wie man Politik betreiben soll, beantwortet Fréd Ternes dabei in 17 kleinen Kapiteln, die mit Schnappschüssen des Autors illustriert sind und Titel tragen wie: „Du wollts et jo sou“, „Net onnéideg Feinde maachen“ oder „1,2,3, Cheese“. Auch wenn der leichte, zum Teil ironische Ton die Lektüre durchaus vereinfacht, erschwert er doch gleichzeitig die Verortung für den Leser. Die Kapitel wabern streckenweise zu sehr zwischen Ernsthaftigkeit und bemühtem Augenzwinkern. So wird dem Leser von „E klengt Buch iwwer Gemengepolitik“ auch schon mal ein „Soulfood-Rezept“ für „Kniddele mat Wäinzoossiss a Moschterzooss“ serviert.
Reden schreiben und andere Grundlagen
Die behandelten Themen reichen von Medienarbeit über politische Strategie bis hin zu Tipps zur Konfliktlösung. Durchaus amüsant sind dabei jene Ratschläge, die der CSV-Politiker jungen Politaspiranten für öffentliche Auftritte mit auf den Weg gibt. Bei Reden helfe es etwa, diese zuvor aufzuschreiben – ein Tipp, den anscheinend so mancher Lokalpolitiker noch immer nicht beherzige, so Fréd Ternes.
Beim Schreiben sei es zudem wichtig, sich auf einen Hauptgedanken zu konzentrieren, so der Schöffe – nach dem Motto: „(…) et ass besser, d’Leit verhale sech ee Gedanken, wéi si verhale sech guer näischt.“ Wie man knackig formuliert, lernt man laut Fréd Ternes dabei beim deutschen Boulevard („Wir sind Papst“), auch wenn „déi Zeitung soss vläit keng Referenz muss sinn, sou ka si dacks Inspiratioun ginn, fir kuerz a knackeg Sätz duerch hir Titelen“.
Auch was man macht, wenn man selbst in die Zeitung kommen will, lernt man im Buch. Kommt es zu einem, für engagierte Gemeindepolitiker unvermeidlichen Gruppenfoto, hat Fréd Ternes einen Rat: Wenn in der Bildmitte kein Platz mehr ist, möglichst rechts stellen. Denn: „Wann ee sech riets op d’Foto stellt, dann ass een herno lénks, wann d’Foto gedréckt gëtt an et gëtt een als éischte gesinn.“ Ein Medienhack für den Tageszeitung-affinen Lokalpolitiker der 1990er Jahre.
Nur Geduld und bereit für Gegenwind
Neben praxisnahen Tipps für den Lokalpolitiker-Alltag konzentriert sich „E klengt Buch iwwer Gemengepolitik“ auf strategische Ansätze für die Mehrheitsfindung. Dabei ist das Politikverständnis von Fréd Ternes näher am „Tai Chi“ als an der „Kunst des Krieges“. Für den jungen Politiker steht Konsensfindung und Pragmatismus im Zentrum seines politischen Handelns.
Die maßgebende Maxime ist dabei, mit Geduld auf den richtigen Moment zu warten: „Gedold brauch een och mol fir dee richtege Moment ze fannen, fir eng Iddi duerchzesetzen. Dat ass politisch Strategie.“ Politische Alleingänge hingegen hält der Autor für naiv bis gefährlich: „Wann ee selwer eegen Iddien ëmsetze wëll, muss een op Géigewand gefaasst sinn.“

Bei so vielen bedeutungsschweren Leitsätzen hängt eine Frage bei der Lektüre immer dringlicher in der Luft: Was haben sie mit dem Jungpolitiker Fréd Ternes zu tun? Was hat der Autor selbst in der Gemeinde geleistet, was umgesetzt oder trotz Gegenwinds durchgebracht? Über die politische Bilanz des Autors lässt sich bei der Lektüre jedenfalls wenig in Erfahrung bringen.
Auch die Metapher, die Fréd Ternes für sein politisches Tun bemüht, lag davor wohl schon etwas abgegriffen im konservativen Wertekanon: „E Bild, wat mir dacks hëlleft, ass dat vun engem zolitte Bam. Et geet also drëm, déi Haltung anzehuelen wéi ee Bam, deen net esou séier aus der Rou ze kréien ass an deen och am Stuerm relativ roueg stoe bleift.“
Bürgerdialog und andere Weisheiten
Es ist immerhin eine Maxime, die für den Lokalpolitiker auch im Umgang mit den Bürgern gilt. Zwar gelte es, die Sorgen der Wähler ernst zu nehmen und auch auf „dem Terrain“ präsent zu sein. Allerdings müsse man den Fehler vermeiden, vor jeglichen Partikularinteressen einzuknicken und diese sofort umzusetzen. Vor allem bei der Formulierung „d’Leit hu mir gesot“ solle man in der Gemeindepolitik stutzig werden. Denn „d’Limitt vu ‚D’Leit hu mir gesot‘ tendéiert an de meeschte Fäll zu 1.“
Politik ass e System, bei deem jidderee sech permanent duerchsetze muss, behaapte muss, rechtfertege muss.“Fréd Ternes
Nicht nur an dieser Stelle liest sich „E klengt Buch iwwer Gemengepolitik“ phasenweise durchaus amüsant. Auch die Kürze der Kapitel sorgt dafür, dass das Buch einem kurzweilig Vergnügen bereiten kann, besonders Politikinteressierten. Aber Vorsicht: Wie generell bei Humor sind auch die offensichtlichen, im Text mit Smiley versehenen Scherze des Autors Geschmacksache.
Störend ist hingegen der latente Management-Sprech, den Fréd Ternes immer wieder in das Buch einfließen lässt. Dass man mit den Mitarbeitern der Gemeinde redet, bedarf nicht unbedingt eines eigenen Leadership-Begriffs wie „Management by walking“. Auch dass man von der Vorarbeit einer politischen Führungsfigur im Hintergrund profitieren kann, braucht nicht wirklich den Marketing-Begriff „Fast Second“ als Illustration. Streckenweise ist das dann doch ein wenig zu viel Leadership-Proseminar.
Eine Welt im kuscheligen Ungefähren
Dennoch überwiegt nach der Lektüre ein Gefühl: Beruhigung. Einerseits, weil Lokalpolitik in Luxemburg noch so vermeintlich unaufgeregt und langweilig geblieben ist. Im Großherzogtum scheinen noch immer – zumindest in einer Speckgürtel-Gemeinde wie Niederanven – Verkehrspoller, Bushaltestellen und der Ausbau von Gemeindeplätzen die Agenda zu bestimmen. Andererseits aber auch, weil es noch junge Politiker gibt, die bereit sind, sich für die Lokalpolitik zu engagieren und dafür ihre Freizeit zu opfern.
Gleichzeitig bleibt „E klengt Buch iwwer Gemengepolitik“ eben zu sehr im kuscheligen Ungefähren. Das erlaubt es zwar, dass der Autor in seiner Gemeinde mit dem Buch kaum anecken wird, es hinterlässt beim Leser aber einen Hunger nach mehr Konflikt und konkreteren Einblicken in die Fallstricke der Gemeindepolitik. Aber vielleicht ist dafür die Welt in Niederanven auch einfach nur zu sehr in Ordnung. Oder wie es Fréd Ternes ausdrückt, man soll sich auch als Politiker seine positive Lebenseinstellung bewahren – „fräi nom Motto aus Costa Rica: Pura vida.“


