Die Diagnose Trisomie 21 bereitet Sorgen. Nicht nur den Eltern, sondern der Gesellschaft. Das erhöht den Druck auf die Familien – und fördert Abtreibungen. Dabei sollten wir uns und unser Verständnis einer inklusiven Gesellschaft zu allererst selbst in Frage stellen. Ein Kommentar.
Eigentlich ist es ein schöner Gedanke: Heute darf jeder leben wie er will – egal ob Frau oder Mann, homo oder hetero, trans- oder intersexuell, schwarz oder weiß. Denn die Gesellschaft ist multikulturell, bunt, offen, tolerant, inklusiv. In einer modernen Welt gibt es für jeden einen Platz. So präsentiert sich unsere Gesellschaft, so feiern wir uns selbst.
Das hört sich gut an. Das ist aber auch leichter gesagt als getan. Denn bei Menschen mit Trisomie 21 scheint der Wille der Akzeptanz immer kleiner zu werden. Bei ihnen geht es weniger um die Frage, wo ihr Platz innerhalb der Gesellschaft ist, als vielmehr darum, ob sie überhaupt noch einen bekommen. Meist wird sich bereits vor der Geburt gegen sie entschieden, die Abtreibungsquote liegt bei 80 bis 85 Prozent. Je mehr Schwangerschaftsabbrüche, desto weniger Kinder mit Trisomie 21. Es ist eine Art Selektion. Ein Kinderwunsch unter Vorbehalt.
Die Vielfalt der Gesellschaft wird dadurch eingedämpft. Das liegt aber nicht notgedrungen an den Eltern. Man darf sie nicht vom Fortschritt fernhalten. Es wäre nicht der richtige Weg, weniger pränatale Tests zu machen und die Eltern über den Zustand ihres Kindes im Unwissen zu lassen. Vielmehr müssen wir an uns selbst arbeiten.
Jeder kämpft für sich allein
Das Problem liegt vor allem an der Gesellschaft selbst – und daran, wie sie heute funktioniert. Der Anspruch auf Perfektion und Sichtbarkeit ist heute größer denn je. Akzeptiert wird jeder, der makellos, stark, laut, selbstbewusst und ehrgeizig ist. Jeder, der für sich und seine eigenen Werte einsteht. Die Welt gehört den Machern und denjenigen, die die Ellbogen ausfahren. Alle anderen können nur noch zuschauen. Es geht letztlich weniger um das „Wir“- als vielmehr um das „Ich“-Gefühl in der heutigen Welt. „Ich“ will leben wie „Ich“ will und „Ich“ will machen, was „Ich“ will.
Menschen mit einer Trisomie können aber nicht unbedingt für sich selbst einstehen. Sie brauchen eine Stütze – meist ein Leben lang. Wenn aber alle damit beschäftigt sind, für sich selbst zu kämpfen, wo bleibt dann die Hilfe für die anderen?
Damit die Gesellschaft so inklusiv wird, wie sie vorgibt zu sein, muss sie demnach an sich arbeiten. So tolerant werden, wie sie vorgibt zu sein. Und sich selbst infrage stellen. Es braucht den Willen, die Betroffenen aktiv zu unterstützen und sie als vollwertige Menschen zu akzeptieren statt sie nur stillschweigend zu dulden.
Es sollte nicht die Aufgabe der Eltern sein, eine Gesellschaft zu ändern und sie toleranter zu gestalten. Daran muss jeder ein Stück weit selbst arbeiten.
Lesen Sie mehr zum Thema:
