Pränataldiagnostik kann viel. Doch was, wenn beim Kind eine Trisomie 21 festgestellt wird? In Luxemburg werden Eltern mit der Diagnose oft alleine gelassen. Ärzte kommunizieren nur bedingt. Dabei bräuchte es nicht viel, um die Situation zu bessern.
Der Schock sitzt tief, wenn beim eigenen Kind das Down-Syndrom festgestellt wird. Noch schlimmer ist es aber, wenn Eltern nur durch Zufall davon erfahren.
Vor gut zwei Jahren verlassen Maximilian* und seine Frau die Entbindungsstation – im Glauben, ein gesundes Kind mit nach Hause zu nehmen. Erst als sie ein paar Tage später wegen einer Gelbsucht mit ihrem Baby in die „Kannerklinik“ kommen, teilt ihnen eine Ärztin mit, dass ihre Tochter Trisomie 21 hat. In der Patientenakte, die der Ärztin von der Entbindungsstation weitergeleitet wurde, steht die Diagnose bereits drin. „Nur uns hat nach der Geburt niemand darüber informiert“, so Maximilian.
Die Geschichte mag sich wie ein Einzelfall anhören. Das Problem ist aber ein systematisches. Immer wieder werden Eltern mit der Diagnose Trisomie 21 alleine gelassen – sei es während der Schwangerschaft oder nach der Geburt. Sie erfahren praktisch im Vorbeigehen davon – oder wie Maximilian – durch Zufall. Ärzte und Krankenhauspersonal gehen stiefmütterlich mit den Betroffenen um. REPORTER wurden weitere Fälle zugetragen, die meisten der Vorwürfe richten sich gegen die Clinique Dr. Bohler.
Die Verantwortung liegt beim Arzt
Diese Kritik will die Privatklinik nicht gelten lassen. Dr. Laurent Juncker, medizinscher Leiter des „Pole Femme, Mère, Enfant“ des Krankenhauses Dr. Bohler der Hôpitaux Robert Schuman, sieht die Verantwortung beim behandelnden Arzt. „Bei uns arbeiten ausschließlich freischaffende Ärzte. Sie führen die Tests bei den Müttern durch und müssen sie über die Abläufe und Ergebnisse informieren. Wir als Krankenhaus haben keinen Einfluss darauf, wenn Dinge nicht so laufen, wie sie laufen sollen – oder wenn Patienten denken, dass sie nicht laufen, wie sie laufen sollen. Das entzieht sich unserer Kenntnis.“ Probleme zwischen Arzt und Patient müssten auch auf der Ebene geklärt werden.
Im Krankenhaus fühlt sich offenbar niemand verantwortlich, wenn der behandelnde Arzt den Eltern die Diagnose nicht überbringt. Dr. Juncker sagt, Maximilians Fall sei ihm nicht bekannt.
Von „immer wieder“ bis „äußerst selten“
Er und seine Frau waren zunächst entsetzt über die Diagnose Trisomie 21. „Im ersten Moment bricht eine Welt zusammen“, sagt der Vater. Entsetzt vor allem deswegen, weil der pränatale Test während der Schwangerschaft negativ war. Auffälligkeiten gab es keine.
Dr. Juncker deutet seinerseits darauf hin, dass Pränataldiagnostik keine 100-prozentige Sicherheit geben kann. Vor allem der Bluttest „Non Invasive Prenatal Testing“ (NIPT) sei eben lediglich ein Test. Tatsächlich ist auf dem Formular des Laboratoire National de Santé vermerkt, dass der NIPT keine Diagnose ist. Er kann nur das Risiko einer Trisomie 21 ermitteln. Ist er positiv, muss anhand einer Amniozentese (Fruchtwasserpunktion) eine Diagnose gestellt werden. „Es können immer mal wieder Fälle von Trisomie 21 bei den Tests durchfallen“, sagt Laurent Juncker.
Das sehen andere Frauenärzte aber anders. Dem Test wird eine 99-prozentige Genauigkeit zugesagt. Von „immer mal wieder“ kann demnach keine Rede sein. Dr. Dan Jacoby, Frauenarzt im Centre Hospitalier Emile Mayrisch (CHEM) in Esch-Alzette sagt, es komme „äußerst selten vor, dass ein Kind mit einer Trisomie 21 geboren wird, das nicht schon während der Schwangerschaft damit diagnostiziert wird“. Es sei die Aufgabe der Ärzte genau das zu vermeiden.

„Es gibt viele Gruselgeschichten“
In Luxemburg gibt es keine Zahlen dazu, wie viele Trisomie-Fälle es gibt. Fest steht nur: Je älter die Frau, desto höher das Risiko. Auch der Schweregrad einer Trisomie kann vor der Geburt nicht festgestellt werden.
Doch egal wie die Diagnose ausfällt und egal, ob sich Eltern für oder gegen das Kind entscheiden – eine adäquate Betreuung braucht es. Die bemängeln nicht nur Betroffene wie Maximilian, sondern auch Martine Eischen, Präsidentin der Initiative Trisomie 21. Vor gut 21 Jahren wurde bei ihrer Tochter das Syndrom festgestellt. Auch sie fühlte sich damals im Stich gelassen. So sehr, dass sie den Verein ins Leben gerufen hat. „Niemand wollte mit mir reden. Weder die Ärzte, noch die Krankenschwestern oder die Hebamme“, so Eischen rückblickend. Sie habe sich die Informationen über das Syndrom schließlich selbst zusammensuchen müssen.
Das ist alles andere als ideal. Insbesondere, weil viele Kinder mit Down-Syndrom einen Herzfehler haben, der oft wenige Tage oder Wochen nach der Geburt operiert werden muss.
Mithilfe der Initiative wollte Eischen den Eltern die nötige Unterstützung geben. Die Unterstützung, die sie nicht unbedingt in den Krankenhäusern erhalten. „Gruselgeschichten“, wie die von Maximilian kenne sie mittlerweile viele, sagt sie. „Das liegt daran, dass die Betreuung in Krankenhäusern bis heute katastrophal ist.“
Medizin ist nicht immer einfach, nicht immer schwarz oder weiß. Irgendwann muss man eine Entscheidung treffen – auch, wenn sie leider schwer fällt.“Dr. Dan Jacoby, CHEM
Die Krankenhäuser weisen diese Kritik zurück. Ärzte, Hebammen, Psychologen und Krankenpfleger – die internen Teams würden sich allesamt kümmern. Sowohl während als auch nach der Schwangerschaft.
Doch in den Strukturen sind viele Freischaffende, die meisten haben Schichtdienst. Mal sieht die Frau den einen Arzt, dann einen anderen. Eine intensive Auseinandersetzung mit der Diagnose Trisomie 21 ist demnach nur schwer möglich – wenn überhaupt.
Für oder gegen das Kind?
Die braucht es aber spätestens ab dem Zeitpunkt der Diagnose. Eine Zäsur, denn dann müssen sich Paare der Frage stellen: Will ich mein Kind behalten? Oder will ich eine Abtreibung? Schätzungsweise 80 bis 85 Prozent wählen die zweite Option.
Doch auch hier fehle ein Dialog mit den Eltern, meint Martine Eischen. Es werde Druck aufgebaut, damit sie sich schnell entscheiden. Über den Ablauf der Abtreibung würden sie dann aber nicht ausreichend informiert.
Dr. Jacoby aus dem CHEM versucht zu relativieren: „Das ist immer eine schwierige Situation für die Betroffenen. Aber Medizin ist nicht immer einfach, nicht immer schwarz oder weiß. Irgendwann muss man eine Entscheidung treffen – auch, wenn sie leider schwer fällt.“
Anders als bei einer normalen Abtreibung (möglich bis zur 12. Schwangerschaftswoche), kann diese Abtreibung erst zu einem späteren Stadium der Schwangerschaft stattfinden. Tests müssen gemacht werden, die Eltern eine Entscheidung fällen – es vergehen Tage und Wochen. Ein medikamentöser Abbruch oder eine Ausschabung ist dann nicht mehr möglich. Stattdessen werden Wehen eingeleitet und der Fötus ausgeschieden. Ab der 22. Schwangerschaftswoche muss der Fötus erst medikamentös oder durch eine Kalium-Spritze im Mutterleib getötet und danach austragen werden.
„Heute muss immer alles perfekt sein“
Es ist kein Geheimnis, dass Prozeduren in Krankenhäusern schnell gehen müssen. Das Personal ist gestresst, Zeit ist Mangelware. Für Emotionen fehlt meist der Platz. Der Platz für Professionalität und Qualität der medizinischen Dienstleistungen muss aber gewährleistet sein. Und dazu zählt auch die Informationspflicht. „Ärzte vergessen oft, dass sie es mit Menschen zu tun haben. Wir als Verein übernehmen gerne den Part, um mit den Betroffenen zu sprechen und sie zu informieren“, sagt Martine Eischen. „Leider werden wir aber nicht überall geduldet.“ Die Situation sei aber dabei sich zu bessern.
Im CHEM kümmert sich vor allem ein internes Team um die Betreuung der Eltern. In der Clinique Dr. Bohler sei man bemüht, eng mit der Vereinigung zusammen zu arbeiten, sagt Dr. Juncker, während man im CHL lobende Worte für die Arbeit des Vereins findet. „Eltern können die Verantwortlichen bereits vor der Geburt treffen und sich mit ihnen austauschen. Sie sind nicht nur kompetent, sondern auch objektiv und eine richtige Stütze für Betroffene“, sagt Dr. Didier Van Wymersch.
Eine Zusammenarbeit kommt in jedem Fall den Eltern und dem Baby zugute. Auch Maximilians Tochter hätte davon profitieren können. Gegen den Arzt und das Krankenhaus wollte er kurzzeitig mit Hilfe seines Anwaltes vorgehen. Es hätte ihn aber zu viel Kraft und Aufwand gekostet, sagt er. „Diese Energie und Zeit habe ich dann lieber unserer Tochter gewidmet.“
* Name von der Redaktion geändert