Die CSV droht damit, gegen die neue Verfassung zu stimmen und fordert stattdessen eine offene Debatte. Was wie ein politisches Manöver klingt, ist letztlich eine Chance, die Verfassungsreform doch noch zu einem erfolgreichen Ende zu führen. Ein Kommentar.
Die Debatte um die Verfassungsreform ist noch nicht beendet – wenn es nach der CSV geht: noch lange nicht. Parteipräsident Frank Engel sorgte diese Woche für eine mittlere Überraschung, als er die neue Position der CSV zur Reform des Grundgesetzes der Presse präsentierte. Seine Partei wolle, dass die Bürger an der neuen Verfassung „mitschreiben“ können, so Engel. Deshalb sei man der Meinung, dass man sich mit der Verabschiedung der Reform noch Zeit lassen soll. Diese Zeit soll für eine wahrhaftige Konsultation der Bürger genutzt werden.
Die Position ist deshalb neu, weil die CSV bisher der Meinung war, dass sie den vorliegenden Text mittragen wolle. Seit rund 20 Jahren arbeitet das Parlament an einer grundlegenden Reform der Verfassung. Seit Monaten sind sich die Parteien eigentlich einig, dass die Arbeiten weitgehend abgeschlossen sind. Auch hat sich eine Mehrheit im Parlament verpflichtet, dass die Reform am Ende – frühestens Anfang nächstes Jahr – per verbindlichem Referendum verabschiedet werden soll.
Demnach erscheint der Kurswechsel der CSV auf den ersten Blick wie ein Bruch der bisher getroffenen Abmachungen. Es gibt jedoch mehrere Gründe, die in der Substanz für die neue Position der größten Oppositionspartei sprechen.
Noch sind nicht alle Fragen geklärt
Die aktuelle Diskussion kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verfassungsreform ein großer, überparteilicher Kompromiss ist. Fundamentale politische Anliegen wurden dabei aber schnell ausgeklammert. Die Bürger wurden 2015 zwar zu drei Fragen (Ausländerwahlrecht, Wahlrecht ab 16 Jahren, Begrenzung von Ministermandaten) konsultiert. Andere Fragen wie die Staatsform, die Rolle des Großherzogs, das Wahlrecht, die Trennung von Kirche und Staat, und, und, und, wurden von den Parteien jedoch ohne Volksbefragung entweder selbst beantwortet oder zu den Akten gelegt.
Eine Konsultierung der Bürger ist nur sinnvoll, wenn das Volk auch noch einen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Reform hat. Alles andere wäre Augenwischerei.“
Frank Engel hat also durchaus Recht, wenn er sagt, dass der Prozess der Verfassungsreform noch nicht abgeschlossen ist. Dabei lieferten ausgerechnet die Mehrheitsparteien, die die CSV für ihren Vorstoß jetzt kritisieren, neue Argumente für diese Position. Die LSAP sei für eine Reform des Wahlrechts, das auch in der neuen Verfassung verankert werden müsse, sagte LSAP-Fraktionschef Alex Bodry erst Anfang der Woche in einem Interview mit „Radio 100,7“. Premierminister Xavier Bettel (DP) hatte die Parteien dazu aufgefordert, ihm ihre Positionen zur Reform des Wahlrechts mitzuteilen. Wenn man es also genau nimmt, hat nicht die CSV, sondern haben andere den Konsens in der Verfassungsreform aufgekündigt – oder zumindest das fertig geglaubte Reformpaket wieder aufgeschnürt.
Ohne auf die parteipolitische Dimension einzugehen, lässt sich festhalten: Es existieren noch einige wichtige Fragen, die in der Debatte bisher nicht ausreichend diskutiert wurden. Es ist auch kein Wunder, dass die Diskussionen um die Verfassungsreform nach den Wahlen wieder eine neue Dynamik erhalten. Das oft und regelmäßig nach Urnengängen kritisierte Wahlrecht ist dafür nur ein Beispiel. Andere könnten schon bald folgen.
Die überfällige Partizipation der Bürger
Auch in einem weiteren Punkt ist die neue Position der CSV nicht allzu abwegig. Vor dem Verabschieden der Reform will das Parlament die Bürger in einer Kampagne zur neuen Verfassung konsultieren. Doch was nützt eine solche Kampagne, wenn man letztlich niemanden ernsthaft konsultiert, weil der fertige Reformtext ja bereits feststeht, fragt sich Frank Engel. Und es stimmt: Eine Konsultierung der Bürger ist nur sinnvoll, wenn das Volk auch noch einen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Reform hat. Alles andere wäre Augenwischerei.
Die große Debatte über die Verfassungsreform kann immer noch stattfinden. Die strittigen Fragen können immer noch dem Volk zur Befragung vorgelegt werden.“
Dabei ist die mangelnde Partizipation seit jeher eines der Kernprobleme der Verfassungsreform. Sie hätte eigentlich am Anfang stehen sollen und nicht ganz zum Schluss. Das Referendum von 2015 wäre eigentlich die große Chance gewesen, alle strittigen Fragen zur Volksbefragung zu stellen. Damals waren sich jedoch sowohl die Regierungsparteien als auch die CSV einig, dass man dies nicht will. Man erinnere sich an das vielsagende Bonmot von Alex Bodry: „Es bringt nichts, über Fragen abstimmen zu lassen, bei denen sich jeder einig ist.“ Mit „jeder“ sind hier wohlgemerkt die Parteien, nicht die Bürger gemeint.
Zudem kam es bisher nicht einmal ansatzweise zu der ebenso von Bodry vor Jahren angekündigten „Debatte, wie sie das Land noch nie gesehen hat“. In einem Interview mit dem „Luxemburger Wort“ hatte der Vorsitzende der Verfassungskommission damals auch zugegeben, dass „die Regierung die Referendumsdebatte eher improvisiert und konzeptlos angegangen“ sei. „Im Idealfall hätte man in der Tat von Beginn des Reformprozesses an die Beteiligung der Bürger vorsehen müssen“, sagte der LSAP-Politiker damals. Man könne die Uhr aber leider nicht zurückdrehen.
Zeit ist kein wirkliches Argument mehr
Vielleicht kann man die Uhr nicht zurückdrehen. Aber für eine Kurskorrektur ist es tatsächlich nicht zu spät. Die große Debatte über die Verfassungsreform kann immer noch stattfinden. Die strittigen, aber vom Parlament vorsorglich abgeräumten Fragen, können immer noch dem Volk zur Befragung oder zumindest in Form von breit angelegten Bürgerforen zur Diskussion vorgelegt werden. Die lange vermisste Partizipation der Bürger hätte immer noch das große Potenzial die Anerkennung der geplanten Verfassungsreform zu erhöhen.
Das beliebte Argument, dass man jetzt schon zu lange an der Reform des Grundgesetzes arbeite und keine kostbare Zeit mehr verlieren wolle, zieht dabei längst nicht mehr. Wenn die politische Klasse jetzt schon knapp zwei Jahrzehnte an der Reform arbeitet, kommt es am Ende auf zwei, drei weitere Jahre auch nicht an. Nicht der Zeitpunkt, sondern das Ergebnis zählt.
Wenn die CSV wirklich mehr Partizipation und eine breite Debatte über die neue Verfassung will, dann kann sie sich ab sofort nicht mehr aus politisch-taktischen Erwägungen wegducken.“
Deshalb sollten sich Regierung und Koalitionsparteien ihre Reaktion auf den Vorstoß der CSV vielleicht noch einmal überlegen. Vor allem, weil ihnen letztlich nichts anderes übrig bleibt. Denn ohne die CSV verfügt das Parlament nicht über die in Verfassungsfragen nötige Zwei-Drittel-Mehrheit. Und letztlich wäre die von der CSV geforderte Partizipationsphase aus Regierungssicht sogar eine Möglichkeit, um das von vielen gefürchtete Referendum über den gesamten Text zu vermeiden.
Blau-Rot-Grün mag sich jetzt zwar über einen Vertrauensbruch und parteipolitisches Klein-Klein beschweren. Sie könnte aber auch mit gutem Beispiel vorangehen und die CSV beim Wort nehmen. Denn wenn die CSV wirklich mehr Partizipation und eine breite Debatte über die neue Verfassung will, dann kann sie sich ab sofort nicht mehr aus politisch-taktischen Erwägungen wegducken. Wenn sie ihre neue Position ernst meint, muss die CSV sich ab sofort glaubwürdig für diese Reform einsetzen. Das könnte am Ende im Interesse aller Befürworter des neuen Grundgesetzes sein.