Mehrere Alten- und Pflegeheime stemmen gegenwärtig eine Gehaltserhöhung für rund 700 Pfleger. Anders als versprochen kommt die Pflegeversicherung und somit der Staat bisher nicht dafür auf. Die Regierung sollte sich an ihr Zugeständnis im Wahlkampf halten. Ein Kommentar.

Natürlich muss schnell eine Lösung her, wenn rund 350 Menschen drohen, ihre Arbeit in Alten- und Pflegeheimen auf unbefristete Zeit niederzulegen. Verständlich ist auch, dass die Betreiber dieser Einrichtungen Alarm schlugen, als die ersten Angestellten im Juni 2018 vor ihrer Haustür protestierten. Es ist auch irgendwie nachvollziehbar, dass einige dieser Betreiber sich weigerten, den Lohnausgleich zu zahlen, den diesen Mitarbeitern angesichts der Anpassungen des Kollektivvertrags des Spitalwesens (FHL) zusteht, obwohl die Arbeitgeber selbst seit geraumer Zeit aus besagtem Kollektivvertrag ausgetreten sind.

Die große Mehrheit der landesweiten Belegschaft gehört dem für die Arbeitgeber günstigeren Kollektivvertrag des „Secteur d’aide et de soins“ (SAS) an. Die Co-Existenz von zwei Kollektivverträgen mit ungleichen Gehälterabkommen schafft eine Zweiklassengesellschaft zwischen den Angestellten mit gleicher Qualifikation. FHL-Angestellte arbeiten pro Monat immerhin einen Tag weniger als ihre SAS-Kollegen, verdienten dafür aber bereits vor den Streiks bis zu 16 Prozent mehr. Nach der Laufbahnaufbesserung sollten es insgesamt bis zu 25 Prozent mehr sein. Kein Wunder, dass Betreiber, deren Personal mehrheitlich aus FHL-Angestellten besteht, nicht wussten, wie sie diese Mehrkosten dauerhaft stemmen sollten.

Ihr Hilferuf an die Regierung macht von ihrem Standpunkt aus durchaus Sinn. Seitens der Regierung war es jedoch fahrlässig, sich in den Gehälterstreit des Sektors einzumischen und obendrein zu versprechen, über die Pflegeversicherung selbst für die Mehrausgaben von Privatfirmen aufzukommen. Heute zeigt sich: Die Regierung hat das Ausmaß ihrer Zugeständnisse nicht bedacht und gerät jetzt selbst ins Visier der Kritik.

Unverantwortliche Wahlkampagne

Man kann nicht anders, als zum Schluss zu kommen, dass sich die Regierung nicht genug Gedanken gemacht hat. Wie kann es sein, dass weder der Minister für soziale Sicherheit noch die damals mit am Tisch sitzenden Premier- und Finanzminister wissen, wie die Pflegeversicherung funktioniert? Welchen Geldwert sie den Alten- und Pflegeheimen für die Fürsorge der pflegebedürftigen älteren Bevölkerung auszahlt? Den ganzen Mechanismus hatte offenbar niemand so recht verstanden.

Kann der von der Pflegeversicherung bezahlte Geldwert vom Kollektivvertrag der Mitarbeiter abhängen? Dass dies wohl nicht der Fall ist, konnte man auch als Laie, der sich mit dem Thema beschäftigt, bereits vermuten. Für jeden pflegebedürftigen Heimbewohner zahlt die Pflegeversicherung verständlicherweise für eine gleiche Leistung einen gleichen Geldwert aus. Mit diesem zahlen die Häuser einen Teil ihrer Personalkosten. Dass Einrichtungen mit teurerem Personal dabei schlechter wegkommen, ist also nur logisch.

Demnach ist es auch logisch, dass eine generelle Anpassung des Geldwerts, so wie sie der Regierung vorschwebte, weitere Ungleichheiten zwischen den Häusern schaffen würde. Einrichtungen, die ausschließlich SAS-Mitarbeiter beschäftigen, würden dann von der Gehaltserhöhung der teureren Belegschaft anderer Häuser profitieren. Und es würde für den Staat übermäßige Ausgaben bedeuten, wenn plötzlich 52 Pflegeeinrichtungen höhere Summen erhielten.

Dass dem Abkommen eine gesetzliche Grundlage fehlt, spielt dem Staat demnach in die Karten. Die Pflegeversicherung verweigert den betroffenen Betreibern deshalb die zusätzliche Finanzspritze. Und das Sozialministerium hat so genügend Zeit, sein Bezahlsystem nach einem bestimmten und gleichen Geldwert für alle zu überdenken – auf Kosten der Betroffenen.

Unverantwortliche Verhandlungspartner

Auch die Copas trifft Mitschuld. Sie hat das Abkommen mit der Regierung im Namen der Betreiber verhandelt. Sie, die den Pflegesektor und die Pflegeversicherung in und auswendig kennt, hätte wissen müssen, dass sich bezüglich der Anpassung des Geldwertes fundamentale Probleme stellen würden. Oder wollte man bei jenem Abkommen, das kurzerhand an einem Samstag nach elf Tagen Streik unterzeichnet wurde, gar nicht weiter in die Details gehen? Immerhin hatte der Staat ihnen zugesichert, dass er die Kosten übernehmen werde. Die Pflegeversicherung wird übrigens zu 40 Prozent vom Staat und zu 60 Prozent vom Steuerzahler finanziert.

Dem Vernehmen nach wurde das Abkommen in der Tat plötzlich doch recht schnell unterschrieben. Die Regierung hatte der Copas wenige Stunden zuvor einen Vorschlag unterbreitet, den der Dachverband ablehnte. Daraufhin kam die Copas mit einem Gegenvorschlag. Im zuständigen Sozialministerium behauptet man auf Anfrage allen Ernstes, die Copas hätte doch wissen müssen, was sie in ihrem Gegenvorschlag forderte und inwiefern das überhaupt umzusetzen sei. Das Hin- und Herschieben der Verantwortung ist ein Trauerspiel.

Die Regierung als Gewinner

Auf den ersten Blick gingen nur Gewinner aus dem Abkommen hervor. Denn die Zugeständnisse, die sich jetzt als voreilig herausstellen, konnten damals vorübergehend alle beteiligten Interessengruppen zufrieden stellen: Sowohl die Betreiber als auch die Pfleger, und letztlich auch die Gewerkschaften und die Copas verließen den Verhandlungstisch knapp drei Monate vor den Wahlen mit erhobenem Kopf.

Ein Druckmittel haben die Arbeitgeber heute nicht mehr in der Hand: Ihren Angestellten haben sie die Gehaltsanpassung bereits wie abgemacht rückwirkend auf 2015 ausgezahlt. Rückgängig machen oder stoppen, können sie die Lohnerhöhung jetzt nicht mehr. Streiken werden die Angestellten für die vom Chef zu tragenden Mehrausgaben wohl kaum. Kündigen können sie ihren Angestellten auch nicht – die Pflegeversicherung schreibt ihnen für eine bestimmte Anzahl an pflegebedürftigen Bewohnern einen Personalschlüssel vor.

Auch die Heimpreise – ihre Haupteinnahmequelle, wenn man von der Pflegeversicherung absieht – dürfen die Betreiber laut Abkommen mit der Regierung während zwei Jahren nicht erhöhen. Machen sie dies trotzdem, verlieren sie jede Glaubwürdigkeit und Hoffnung auf Rückzahlungen der Pflegeversicherung. Die Betreiber der betroffenen Alten- und Pflegeheime sitzen also in der Zwickmühle.

Sozialminister hält sich zurück

Man kann es kehren und wenden, wie man will: Die Verantwortung liegt letztlich bei der Regierung. Sie hält sich nicht an die Abmachung. Dabei konnte das Sozialministerium auf Nachfrage nicht einmal mit Sicherheit bestätigen, dass diese Rückzahlungen überhaupt je rückwirkend auf 2018 oder gar 2015 erfolgen würden. Damals gab es dafür eben noch keine gesetzliche Grundlage.

Den Betreibern bleibt gegenwärtig nichts anderes übrig, als die verzeichneten Defizite selbst auszugleichen. Für „Les Parcs du Troisième Âge“ in Bartringen etwa fielen 2018 rund eine Million Euro an Mehrausgaben an. „An de Wisen“ in Bettemburg waren es voraussichtlich 1,8 Millionen Euro.

Laut Informationen von REPORTER hat sich das Ministerium für soziale Sicherheit neun Monate nach dem Streik und dem unterzeichneten Abkommen noch nicht einmal abschließend überlegt, welche technischen Lösungen es überhaupt geben kann. Man behauptet man ernsthaft: „Dafür ist es noch zu früh.“ Der Sozialminister Romain Schneider (LSAP) wollte auf Nachfrage selbst keine Stellungnahme zum Thema abgeben.


 

Lesen Sie mehr zum Thema