Rund 700 Pfleger dürfen sich über eine Aufwertung ihrer Laufbahnen und mehr Gehalt freuen. Das steht ihnen laut Vertrag zu – und dennoch mussten sie dafür streiken. Die Pflegedienstleister halten dagegen: Sie sagen, dass sie ohne Unterstützung der Regierung nicht die nötigen finanziellen Mittel gehabt hätten, um die Gehälter auszuzahlen.
Ein Abkommen, zwei Unterschriften, drei glückliche Partner. Als am 16. Juni Premierminister Xavier Bettel und COPAS-Präsident Marc Fischbach das Abkommen zur Beendigung des Streiks im Pflegesektor unterzeichneten, war die Erleichterung auf allen Seiten groß.
Obwohl das Ergebnis am Ende Regierung, OGBL und den Dachverband der Pflegedienstleister zufriedenstellt und die Streiks in den Pflegeheimen in Bartringen, Petingen, Bettemburg und Luxemburg-Stadt beigelegt wurden, ist bei den Diskussionen ein Punkt fast untergegangen: Die komplizierte Lage, in der sich die Leitungen der vier Heime befinden.
Der Kern des Problems: Für das Personal des Spitalwesens wurde 2017 ein neuer Kollektivvertrag ausgehandelt. Er beinhaltet unter anderem eine Aufwertung der Laufbahnen und mehr Geld für die Angestellten. Dieser Vertrag der „Fédération des Hopitaux Luxembourgeois“ – kurz FHL – ist zwar für Klinikpersonal gedacht, gilt aber nicht ausschließlich für sie. Auch etwa 700 Arbeitnehmer in Pflegeheimen sind unter ihm eingestellt worden. Für das restliche Personal des Pflegesektors gilt der sogenannte SAS-Vertrag („Convention Collective de travail pour les salariés du secteur d’aide et de soins et du secteur social“).
Seit 20 Jahren das gleiche Problem
Dass es diese Zweiklassengesellschaft innerhalb der Pflegeheime gibt, ist eng mit der Einführung der „Assurance Dépendance“ im Jahr 1999 verbunden. Bis zu dem Zeitpunkt galt sowohl für das Pflege- als auch für das Spitalwesen der FHL-Vertrag. Die Heime waren Teil des Klinikverbands (Fédération des Hopitaux Luxembourgeois) und unterlagen, wie die Krankenhäuser, dem Gesundheitsministerium.
Der neue Spital-Kollektivvertrag ist nicht für unser Unternehmen anwendbar.“ (Christian Erang, An de Wisen)
Mit der Pflegeversicherung wurde für Pflegedienste dann ein eigenes Abkommen ausgearbeitet – der SAS-Vertrag. Für Arbeitnehmer, die allerdings unter einem FHL-Vertrag eingestellt worden waren, gilt bis heute der Spital-Kollektivvertrag.
Demnach haben sie auch Anspruch auf die 2017 beschlossene Aufwertung der Laufbahnen und die Gehaltserhöhungen, die für das Spitalwesen festgelegt worden sind. Die Dienstleister sahen das jedoch anders – und haben die Änderungen nicht umgesetzt.
Mehr Geld, mehr Urlaub, bezahlte Pausen
Auch die Einrichtung „An de Wisen“ in Bettemburg, die von Sodexo betrieben wird, war von den Streiks betroffen. Christian Erang, Direktor von Sodexo-Senior, argumentiert im Gespräch mit REPORTER, dass „An de Wisen“ seit 2010 nicht mehr Mitglied des Klinikverbands ist: „Deshalb ist der neue Spital-Kollektivvertrag auch nicht für unser Unternehmen anwendbar.“ Für sein Haus, wie für den gesamten Bereich der Pflegeheime gelte der SAS-Vertrag.
Der FHL-Vertrag ist für die Mitarbeiter aber um einiges attraktiver als das SAS-Abkommen: „In den Krankenhäusern gilt für Pfleger mit FHL-Vertrag unter anderem die 38-Stundenwoche statt den 40 Stunden im Pflegewesen, Pausen werden ausgezahlt, es gibt mehr Urlaubsgeld und mehr Gehalt“, so Christian Erang.
Das waren alles Zusatzkosten für die es aber keine Einnahmequellen gab.“ (Netty Klein, COPAS)
Diese Vertragsunterschiede wirken sich auf die Gehälter der Pfleger aus – aber auch auf die Kosten der Einrichtungen. Denn: Je mehr Personal unter dem FHL-Vertrag eingestellt worden ist, desto teurer wird es für den Dienstleister. „Wir haben mit den Zusatzkosten zu kämpfen, die durch die Kollektivverträge entstanden sind“, sagt Erang. Dadurch sei es schwierig geworden mit Heimen konkurrieren zu können, die mehr Angestellte mit SAS-Verträgen beschäftigen. Er sagt, dass man als Betreiber in einer solchen Situation eigentlich nur eine Wahl habe: Die Preise der Heimzimmer zu erhöhen.
Die fehlenden Einahmenquellen
Der Markt der Pflegedienstleister ist ein freier Markt – eigentlich. Denn die Kollektivverträge sind, egal ob FHL oder SAS, an die Abkommen im öffentlichen Dienst gebunden und müssen entsprechend angepasst werden. Hinzu kommen bei den FHL-Verträgen außerdem die Anpassungen an die Spital-Verträge.
„Das waren alles Zusatzkosten, für die es aber keine Einnahmequellen gab“, sagt Netty Klein, Generalsekretärin von der COPAS. Im Spitalwesen wurden die Kosten, die durch die neuen Verträge entstanden sind, von der Krankenkasse CNS übernommen und an das Personal ausgezahlt. Im Pflegebereich hätten die Dienstleister selbst in die Tasche greifen müssen – und haben das nicht getan. Aber: Anders als bei der Krankenkasse muss das Patronat bei der Pflegeversicherung auch keinen obligatorischen Anteil für die Arbeitnehmer übernehmen – eine wichtige Einnahmequelle, die der „Assurance Dépendance“ demnach fehlt.
Schon alleine deshalb können Pflegeanbieter nicht wie Krankenhäuser auf ein bestimmtes Jahresbudget zurückgreifen – sie können auf zwei Einnahmequellen zurückgreifen, um ihre Personalkosten zu decken: Einerseits die Einnahmen der Heimpreise („Prix de Pension“), andererseits zahlt die „Assurance Dépendance“ einen Durchschnittspreis („Valeur Monétaire“) für geleistete Pflegestunden an die Heime. „Das ist aber ein Durchschnittswert, der jedem Haus ausbezahlt wird, egal ob das Personal einen FHL- oder einen SAS-Vertrag hat“, so Christian Erang.
Das Problem mit den Zusatzkosten
Dem „Lëtzebuerger Land“ sagte die CNS, dass das Personal mit Klinik-Statut „in der Gesamt-Personalkostenschätzung der Zukunft nur acht Prozent“ ausmachen würde. Dennoch ist es laut Christian Erang schwierig, das Geld zusammenzubekommen. „Wir hätten diese Zusatzkosten nicht alleine tragen können“, sagt er.
Dass das Geld ausblieb, sorgte nicht nur für Unzufriedenheit bei den Mitarbeitern, es rief auch den OGBL auf den Plan. Seit Februar 2017 hat sich die Gewerkschaft für die Rechte der Angestellten in den betroffenen Pflegeheimen stark gemacht, ein Schlichtungsverfahren, das im Februar eingeleitet wurde, scheiterte.
Deshalb wurde vor den vier betroffenen Pflegeheimen zehn Tage lang gestreikt. Und das schließlich mit Erfolg.
„Die Symphonie muss gemeinsam gespielt werden“
Gelöst wurde das Vertragsproblem, als die Regierung sich einschaltete und sich alle Vertreter auf ein Abkommen einigen konnten.
Der große Vorteil für die FHL-Angestellten: Sie bekommen das ausgezahlt, was ihnen zusteht und eine Aufwertung ihrer Karrieren. Auch dürfen sie ihr Klinik-Statut bis zu ihrem Ruhestand beibehalten.
Der große Vorteil für die Dienstleister: Nicht sie, sondern die CNS (60 Prozent) und der Staat (40 Prozent) werden die Zusatzkosten übernehmen.
Anderen Häusern ist es gelungen, ihre Mitarbeiter nach Kollektivvertrag zu zahlen.“ (Nora Back, OGBL)
Im Gegenzug dazu haben sich die Dienstleister dazu verpflichtet, den „Prix de Pension“ in den kommenden zwei Jahren nicht zu erhöhen und kein neues Personal mit FHL-Verträgen einzustellen. „In diesem Abkommen wurde endlich festgehalten, dass für Pfleger der SAS-Vertrag gilt“, sagt Netty Klein. Damit scheint das Problem rund um SAS und FHL nun gelöst zu sein.
Nora Back vom OGBL zeigt sich zufrieden mit dem Ausgang der Verhandlungen: „Wir sind glücklich darüber, dass das Personal das bekommt, was ihm zusteht.“ Ihrer Meinung nach hätte es aber auch ohne Hilfe der Regierung eine Lösung geben müssen. „Anderen Häusern, wie die von „Servior“ oder dem Haus „Parc du troisième âge“, ist es gelungen, ihre Mitarbeiter nach Kollektivvertrag zu zahlen. Es ist also möglich“, sagt sie.

Was sie nicht erwähnt: Bei Servior-Häusern handelt es sich um staatliche und nicht um private Einrichtungen. Das Haus „Parc du troisième âge“ wird zwar von einem privaten Betreiber geführt, war aber auch von den Streiks betroffen und musste sich schließlich dem Druck der Gewerkschaft beugen. In einem Presseschreiben teilte die Leitung nach dem Streik mit, eine staatliche Hilfe zu beantragen, um die Kosten des FHL-Kollekktivvertrags abdecken zu können.
Die Hilfe kam dann wahrscheinlich schneller als erwartet – dank der Regierung. „Es gehört zu unseren Aufgaben, dass wir in Konflikten die Vermittlerrolle übernehmen“, sagte Xavier Bettel nach den Verhandlungen vor der Presse. Es wurde aber nicht nur vermittelt, sondern eben auch mit Steuergeldern nachgeholfen.
Bis Ende Juli erhofft sich Christian Erang nun die rund 1,8 Millionen Euro, die „An de Wisen“ für 2018 zugesprochen wurden. Damit zahlt er rückwirkend die Prämien und die Punktwerterhöhungen, die bei seinen Mitarbeitern noch ausstehen.
Auch wenn eine nachhaltige Lösung anders aussieht, ist auch er am Ende mit dem Ausgang der Verhandlungen zufrieden. Jetzt müsse das Abkommen nur noch umgesetzt werden: „Die Symphonie steht auf dem Papier. Jetzt müssen wir sie nur noch gemeinsam spielen.“