Es sei höchste Zeit, dass die Demokraten ihre politischen Gegner konsequenter bekämpfen, sagt der US-Politologe David Faris. Ein Gespräch über die tiefe Spaltung einer Gesellschaft, Ungerechtigkeiten im US-Wahlsystem und die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Amtszeit von Donald Trump.
Interview: Max Tholl
Herr Faris, die Demokraten hatten im Vorfeld der Kongresswahl auf einen Kantersieg, eine „blaue Welle“ gehofft. Wird das Endresultat diesen Ansprüchen gerecht?
Die Demokraten haben die Wahl klar gewonnen und einzig das zählt. Das Narrativ ist Nebensache, man regiert mit Sitzen, nicht mit Erzählungen. Aber wenn man sich das Endresultat anschaut und alle Hürden berücksichtigt, die die Demokraten bei Wahlen bewältigen müssen, dann kann man schon von einer Welle sprechen, das ist keine Übertreibung. Jetzt muss der Blick aber darauf gerichtet werden, was die Demokraten unternehmen können, um Trump und die Republikaner in Bedrängnis zu bringen.
In Ihrem Buch „It’s time to fight dirty“ argumentieren Sie, dass die Demokraten bei jeder Wahl systematisch benachteiligt werden. Ist der Erfolg auch deshalb so beachtenswert?
Das amerikanische Wahlsystem ist zutiefst gegen die Mehrheit des Volkes ausgerichtet und davon profitieren die Republikaner. Angefangen beim „Electoral College“, der Versammlung von Wahlmännern, das den Präsidenten wählt. Dieses erlaubt, dass jemand wie Trump ohne landesweite Mehrheit der Stimmen ins Weiße Haus einzieht.
Es macht keinen Sinn, die Partei der Vernunft und des Kompromisses zu sein, wenn die Gegenseite komplett irrational und böswillig ist.““
Auch die Machtverteilung im Senat, bei der jeder Staat, egal wie groß, zwei Sitze erhält oder das sogenannte „gerrymandering“, was die Manipulation von Wahlkreisgrenzen zu Gunsten einer Partei bezeichnet, benachteiligen derzeit die Demokraten. Nachdem sie 2010 die Macht im Kongress übernahmen, haben die Republikaner die Wahlkreise in vielen wichtigen Staaten wie Ohio, Wisconsin oder Florida zu ihrem Vorteil neugeordnet. Das hatte enormen Einfluss auf diese Wahl. Man muss das Resultat auch daran messen. In North Carolina zum Beispiel erhielten die Demokraten 50 Prozent der Stimmen aber nur 23 Prozent der Sitze. Das ist kein Einzelfall.
Die Demokraten kontrollieren nun das Repräsentantenhaus, der Senat bleibt in republikanischer Hand. Was sollten die Demokraten nun tun?
Die Demokraten kontrollieren nicht nur das Repräsentantenhaus, sondern damit verbunden auch Untersuchungsausschüsse, die die Gesetzgebung enorm beeinflussen können. Das ist jetzt ihre stärkste Waffe. Sie können jede Gesetzesvorlage auf Eis legen und den Regierungsprozess enorm beeinträchtigen. Sonderstaatsanwalt Robert Mueller wird demnächst die Funde seiner Ermittlungen zur russischen Wahlkampfmanipulation bekanntmachen und das könnte für Trump sehr brenzlig werden, denn die Demokraten können Untersuchungsausschüsse zu jedem Detail der Ermittlungen fordern.
Die Demokraten müssen versuchen, die Empörung über Trumps Politik langfristig in den Köpfen der Bürger zu verankern. Sie müssen sich an ihm festbeißen.“

Sie können auch gegen Trump wegen womöglicher Steuerhinterziehung ermitteln. Ich bin mir sicher, dass er keine weiße Weste hat und die Enthüllungen auf Dauer seinen Ruf schädigen werden. Für die Republikaner wird es nahezu unmöglich werden, ihre Steuer- oder Gesundheitsreform durchzuboxen. Sie sind gezwungen, passiver zu regieren. Die Demokraten hingegen sollten schon jetzt anfangen, progressive Gesetzesentwürfe zu präsentieren, die zwar zunächst wenig Aussicht auf Erfolg haben, aber mit Blick auf 2020 die Richtung setzen.
Glauben Sie, dass die Entlassung von Justizminister Jeff Sessions ein Zeichen der Nervosität von Trump angesichts der Mueller-Ermittlungen ist?
Sessions stand schon lange auf der Abschussliste. Dass Trump ihn aber direkt nach der Wahl entlassen hat, war schon überraschend. Trump rechnet damit, dass Mueller etwas gefunden hat und dass die Veröffentlichung unmittelbar bevorsteht. Er will sichergehen, dass das Justizministerium ihm gegenüber komplett loyal ist und die Ermittlungen kritisiert und von sich weist. Ob das gelingt, hängt natürlich davon ab, was Mueller gefunden hat. Ich bin gespannt, ob auch diese Enthüllungen an Trump abprallen. Er ist sehr geschult darin, mit falschen Schreckgespenstern wie der Migranten-Karawane von eigenen Skandalen abzulenken.
Wie lässt sich das aus Sicht der Demokratien künftig verhindern?
Die Demokraten müssen versuchen, die Empörung über Trumps Politik langfristig in den Köpfen der Bürger zu verankern. Sie müssen sich an ihm festbeißen. Ein permanenter Kriegsstand ist schwer, aber ich glaube, dass die Demokraten dann am stärksten sind, wenn sie mit Nachdruck auf Trumps Machenschaften reagieren und nicht von ihren Forderungen ablassen – besonders bei Fragen der Einwanderung. Es geht nicht nur darum, Themen die gerade debattiert werden aufzugreifen. Diese Kontroversen müssen an der Oberfläche gehalten und vor dem Vergessen geschützt werden. Daran müssen die Demokraten noch arbeiten. Zu oft verpufft die Empörung bereits nach wenigen Wochen.
Sie fordern in ihrem Buch eine allgemein härtere Gangart der Demokraten gegenüber Trump. Sie wollen, dass sie mit harten Bandagen kämpfen. Ist die Partei ihnen zu brav?
Besonders im Senat haben die Demokraten bisher zu sehr auf Kooperation und Harmonie gesetzt. Sie haben versucht, mit den Republikanern Kompromisse zu schließen, selbst wenn für sie kein ersichtlicher Vorteil daraus resultierte. Es macht keinen Sinn, die Partei der Vernunft und des Kompromisses zu sein, wenn die Gegenseite komplett irrational und böswillig ist. Die Demokraten müssen die Republikaner entlarven und Trumps öffentliches Image ruinieren. Das ist nun wirklich keine schwere Aufgabe, denn Trump hilft kräftig mit. Ich glaube diese Strategie ist alternativlos. Trump wird seine Rhetorik nicht zurückschrauben und das ist eine Chance für die Demokraten. Sie dürfen nicht davor zurückschrecken, Feuer mit Feuer zu bekämpfen.
Das Land ist bereits sehr gespalten, Extremismus an beiden Enden des politischen Spektrums nimmt zu. Wäre es nicht ratsamer, auf Deeskalation zu setzen anstatt mehr Konfrontation zu suchen?
Es geht mir nicht um sinnlosen Krawall oder Protest, sondern um eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe. Die Angst vor Eskalation darf dem nicht im Weg stehen. Man darf auch nicht vergessen, dass sich die Republikaner trotz oder gerade wegen der handzahmen Politik der Demokraten radikalisiert haben. Ich war ein großer Befürworter von Präsident Obama, aber weder Obamacare noch die Bankenregulierung waren radikale Projekte. Obama hat auch stets versucht, an die Gegenseite zu appellieren und das Land zu einigen und trotzdem entwickelte sich gerade unter ihm eine radikale Haltung bei den Republikanern.
Unsere Institutionen beruhen auf dem Prinzip der Kooperation, aber die Republikaner haben es mit ihrer Abwehrhaltung unmöglich gemacht, effizient zu regieren, wenn man nicht die drei Organe des Staates – Exekutive, Legislative und Judikative – kontrolliert.“
Ich glaube, die Republikaner werden so oder so durchdrehen und weiter nach rechts driften. Die Demokraten sollten gar nicht erst versuchen, das zu verhindern. Wenn sie nun versuchen, mit den Republikanern im Kongress zu arbeiten, werden sie sich blamieren. Überparteiliche Kooperation ist unmöglich geworden. Demokraten bräuchten dafür moderate Republikaner, aber genau diese haben bei der Wahl viele Sitze an Demokraten verloren.
Sie argumentieren in ihrem Buch sogar, dass die Republikaner das politische System der USA absichtlich schädigen wollen.
Die Republikaner sind zu einer Anti-System-Partei geworden. Unsere Institutionen beruhen auf dem Prinzip der Kooperation, aber die Republikaner haben es mit ihrer Abwehrhaltung unmöglich gemacht, effizient zu regieren, wenn man nicht die drei Organe des Staates – Exekutive, Legislative und Judikative – kontrolliert. Unsere Politik ist von Reformstau und Stillstand geprägt. So kann unsere Demokratie nicht überleben.

Welche Lektionen sollten die Demokraten aus dieser Wahl für das Präsidentschaftsduell in zwei Jahren ziehen?
Die Demokraten haben bisher darauf gehofft, dass Trumps schlechte Umfragewerte für einen politischen Wandel sorgen. Auch wenn das bei dieser Wahl einigermaßen geklappt hat, als Strategie ist das viel zu passiv. Gerade in Wirtschaftsfragen müssen die Demokraten stärker und selbstständiger agieren. Sie können nicht einfach die Steuerreformpläne von Trump kritisieren, ohne Gegenentwürfe zu formulieren. Man gewinnt Wahlen nicht indem man gegen alles ist, man muss auch für etwas sein. Die Demokraten leiden unter politischer Bindungsangst, sie geben sich sehr zögerlich und bekennen sich nicht direkt zu ihren politischen Forderungen, aus Angst Wähler zu verschrecken. Fast alle Demokraten wollen eine bessere Gesundheitsvorsorge, aber das ist eine sehr vage Forderung. Da wünsche ich mir eine konkretere Haltung.
Die Demokraten können die guten Ergebnisse von progressiven Kandidaten wie O’Rourke im konservativen Texas oder Andrew Gillum im hart umkämpften Florida nicht ignorieren. Zentristen werden nach dieser Kongresswahl einen schweren Stand in der Partei haben.“
Glauben Sie, dass die vielen jungen progressiven Kandidaten, die bei dieser Wahl ins Rampenlicht gerückt sind, das ändern werden?
Die Partei driftet deutlich nach links. Junge, aufstrebende Kandidaten wie Beto O’Rourke oder Alexandria Ocasio-Cortez haben eine sehr progressive Agenda und werden die Richtung vorgeben. Es ist ironisch, dass dieser Linksruck vom Urgestein Bernie Sanders initiiert wurde, aber viele junge Demokraten folgen seinem Schlachtruf. Die Demokraten können die guten Ergebnisse von progressiven Kandidaten wie O’Rourke im konservativen Texas oder Andrew Gillum im hart umkämpften Florida nicht ignorieren. Zentristen werden nach dieser Kongresswahl einen schweren Stand in der Partei haben.
Gilt das nicht auch für die Wähler in der Mitte?
Absolut. Die Fronten zwischen den Parteien und ihren Wählerschaften haben sich im Laufe der letzten dreißig Jahre extrem verhärtet. Die meisten Amerikaner wählen immer die gleiche Partei. Die sogenannten „swing voters“, also Wechselwähler, werden immer weniger. Die ideologische Polarisierung hat enorm zugenommen. Die Republikaner werden immer konservativer, die Demokraten immer progressiver. Das kann man in fast jedem Bundesstaat und auf sehr lokaler Ebene feststellen. Auch weil regionale Wahlen, wie es die Kongresswahlen einst waren, mittlerweile von nationalen Themen dominiert werden, was die Spaltung noch verschärft. Jede Wahl wird zu einem Referendum über die Regierung und Politik des Landes.
Trump polarisiert so stark, dass seine Wiederwahl derzeit unmöglich erscheint. Das dachte ich aber auch schon vor zwei Jahren.“
Was erwarten Sie von Trump nach der Niederlage und vor der Wahl in zwei Jahren?
Trump polarisiert so stark, dass seine Wiederwahl derzeit unmöglich erscheint. Das dachte ich aber auch schon vor zwei Jahren. Trump ist immer noch extrem beliebt bei seinen eingefleischten Fans, aber er verliert viele Anhänger in den gemäßigten Kreisen. Was ihn rettet, sind die vielen kleinen, ländlichen Staaten, in denen er noch viele Unterstützer zählt. Diese Staaten haben deutlich mehr politisches Gewicht, als ihnen zustehen sollte. Das demokratische Kalifornien hat 40 Millionen Einwohner und 2 Senatoren, das republikanische North Dakota hat nicht einmal eine Million Einwohner und ebenfalls 2 Senatoren, das ist doch verrückt.
Wäre die Machtverteilung proportional, hätte Trump am Dienstag eine bittere Niederlage eingesteckt. Der größte Rückschlag für die Republikaner sind die Verluste in den Vorstädten. Hier konnten sie 2016 punkten, aber diese Wahlkreise werden immer liberaler und demokratischer. Das politische Terrain wird für Trump nicht einfacher bis 2020. Er glaubt aber, dass er mit seiner Strategie gewinnen kann und ich zweifele daran, dass er die intellektuelle Fähigkeit besitzt, seinen Politikstil zu reflektieren und zu verändern. Er wird sich treu bleiben.