Der neue Aktionsplan zur Gleichstellung von Frauen und Männern bleibt im Ungefähren. In den vergangenen Jahren gab es zwar durchaus Fortschritte. Doch ohne einschneidende Gesetze werden die Maßnahmen die Benachteiligung von Frauen nur verschleiern.

Als die Künstlerin Berthe Lutgen im Dezember 1971 ins Bistro Ancre d’Or auf der Place d’Armes einlud, um den MLF (Mouvement de libération des femmes) zu gründen, wurde sie prompt zum potentiellen Staatsfeind erklärt. Bis 1986 führte der Luxemburger Geheimdienst eine Akte über sie und beobachtete detailgetreu ihr politisches und künstlerisches Engagement im Kampf für die Gleichberechtigung. Heute, fast fünfzig Jahre später, schmücken ihre Bilder die Wände der Ministerien und die Regierung verleiht ihr sogar den Verdienstorden des Großherzogtums.

Der staatstragende Aufstieg Berthe Lutgens spricht wohl dafür, dass in den letzten Jahrzehnten durchaus ein Mentalitätswechsel im Hinblick auf die Gleichstellung zwischen den Geschlechtern stattgefunden hat. Andererseits gleichen die Forderungen, die heute wieder junge Frauen auf die Straße treiben, erstaunlich stark jenen der ersten Stunde feministischer Bewegungen.

Wir machen zwar Fortschritte, aber langsamer als andere europäische Länder.“Taina Bofferding, Gleichstellungsministerin

„Frauen und Männer sind in unserer Gesellschaft nicht gleichgestellt“, sagte Taina Bofferding (LSAP), Ministerin für die Gleichstellung von Frauen und Männern bei der Präsentation des neuen Aktionsplans am Freitag. Besonders in Entscheidungsgremien seien es weiterhin die Männer, die das Sagen hätten. „Wir machen zwar Fortschritte, aber langsamer als andere europäische Länder.“

Gravierende Folgen der Ungleichheit

Ein neuer Aktionsplan, in dem sieben politische Prioritäten und insgesamt 48 Maßnahmen formuliert sind, soll die Gleichstellung in unserer Gesellschaft nun stärker voranbringen. Schwerpunkte liegen hierbei auf der Förderung der Gleichstellung im Beruf sowie insbesondere in der Bildung. Sensibilisierungskampagnen, Studien, Tools für Erzieher und Lehrer oder auch Bemühungen im Gender-Marketing sollen zu einer verstärkten Bewusstseinsbildung beitragen.

Der politische Wille, eine Gleichstellung in Entscheidungsgremien gesetzlich festzusetzen, fehlt jedoch weiterhin. Angesprochen auf Quoten für Verwaltungsräte etwa, gibt Taina Bofferding ausweichende Antworten.

Heute stellt zumindest niemand mehr die Existenz solch eines Ministeriums infrage, das ist doch schon einmal ein Fortschritt.“Marie-Josée Jacobs, Gleichstellungsministerin von 1995 – 2009

Wo stehen wir heute wirklich, 100 Jahre nach der Einführung des Frauenwahlrechts, 50 Jahre nach der Gründung des MLF, 25 Jahre nach der Schaffung eines autonomen Ministeriums zur „promotion féminine“ und rund fünf Jahre nach der Reform des Elternurlaubes?

„Im Mittelpunkt unseres Streikes stand die Care-Arbeit, da sich an ihr unsere Forderungen besonders prägnant zeigen“, sagt die 29-Jährige Milena Steinmetzer, Mitorganisatorin des Luxemburger Frauenstreiks vom 7. März 2020 im Gespräch mit REPORTER. „Care-Arbeit“, also die bezahlte sowie die unbezahlte, würden auch heute noch hauptsächlich Frauen leisten. Und das für zu wenig Geld, zu wenig Anerkennung und nicht selten in prekären Arbeitsverhältnissen.

Die Konsequenzen dieser Ungleichheit sind gravierend: Besonders wegen der in hohem Maß von Frauen ausgeübten Teilzeitarbeit ist die Rentenlücke in Luxemburg mit 43 Prozent so hoch wie in kaum einem anderen europäischen Land. „Es handelt sich hier nicht um Einzelfälle, sondern um ein strukturelles Problem“, sagt Steinmetzer. Ein Problem also, das alles andere als neu ist und das traditionelle Rollenverständnis der finanziellen Abhängigkeit der Frauen weiterhin stärkt.

Gleichstellung als eigenständiger Politikbereich

„Es gab viel Widerstand damals. Sowohl aus der Bevölkerung, aber auch aus der Politik selbst“, erinnert sich die erste Chancengleichheitsministerin des Landes, Marie-Josée Jacobs (CSV), an das Jahr 1995. Damals führte die Regierung unter dem frisch ernannten Premierminister Jean-Claude Juncker (CSV) ein selbstständiges Ministerium zur „promotion féminine“ ein. Vorbei sollten die Zeiten sein, in denen die Gleichstellungspolitik nur ein Anhängsel des Familienministeriums war.

Trotz diverser Aktionspläne der Politik bleibt die Benachteiligung von Frauen ein strukturelles Problem in der Gesellschaft. (Foto: Eric Engel)

„Die Leute waren skeptisch gegenüber Veränderung. Sie fragten sich, was geschieht nun?“, erzählt Marie-Josée Jacobs. „Heute stellt zumindest niemand mehr die Existenz solch eines Ministeriums infrage, das ist doch schon einmal ein Fortschritt“, so die Ex-Ministerin.

Eine ihrer ersten Amtshandlungen war die Einführung des Elternurlaubes (1999): „Ich nutzte die Gunst der Stunde, gleichzeitig auch Familienministerin gewesen zu sein.“ Es folgte das hart umkämpfte Gesetz gegen häusliche Gewalt (2003) und die längst überfällige Einschreibung des Prinzips der Gleichheit in die Verfassung (2006). „Gelernt habe ich in dieser Zeit vor allem eins: immer wachsam zu bleiben“, sagt Marie-Josée Jacobs. „Der Kampf um Menschenrechte und somit auch um Frauenrechte hört nie auf.“

Nachdem Marie-Josée Jacobs durchaus ein paar wichtige Grundsteine für eine der Zeit angemessenere Familienpolitik legen konnte, fristete das Ministerium besonders in der letzten Legislaturperiode Junckers ein eher stiefmütterliches Dasein. Ohne viel Aufmerksamkeit und ohne nennenswerte Errungenschaften dümpeln die Jahre dahin.

2013: Neuer Elan durch politischen Wechsel

Erst mit dem historischen Regierungswechsel im Dezember 2013 erhielt die Gleichstellungspolitik neuen Elan. In seiner ersten Regierungserklärung kündigte Premierminister Xavier Bettel (DP) einen Kampf gegen Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern an. Er versprach unter anderem eine grundlegende Reform des Familienrechts.

Drei Reformen sorgten dann auch in den Folgejahren für mehr Gleichheit und Selbstbestimmung vor dem Gesetz. Erstens: 2014 wurde das Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch reformiert. Ein Abbruch bis zur 14. Woche ist nun straffrei und das zweite verpflichtende Beratungsgespräch entfällt.

Aus gleichgeschlechtspolitischer Sicht ist das Wahlresultat eine Katastrophe.Isabelle Schmoetten, CID – Fraen an Gender

Zweitens: Mit der Reform des Elternurlaubes 2016 schafft Familienministerin Corinne Cahen flexiblere Modelle der Kinderbetreuung, um durch zeitliche, vor allem aber finanzielle Anreize verstärkt auch Väter anzusprechen. Die Zahlen geben ihr Recht: Laut einem „Paperjam“-Artikel sind die Anfragen von Vätern in den ersten zwei Jahren nach der Reform um 270 Prozent gestiegen.

Und drittens: 2016 verabschiedete Blau-Rot-Grün ein Paritätengesetz, das Parteien zur 40 Prozentquote auf ihren Kandidatenlisten für die Parlamentswahlen verpflichtet. Bei Europawahlen gilt eine 50 Prozentquote. Wer sich nicht daran hält, erhält weniger Geld aus der staatlichen Parteienfinanzierung. So legte es Ex-Ministerin Lydia Mutsch (LSAP) im „Plan Egalité Femmes et Hommes“ fest. Bei den Nationalwahlen 2018 waren dann auch 46 Prozent Frauen auf den Wahllisten vertreten.

Aber: Es wurden trotzdem nur zwölf Frauen ins Parlament gewählt. Gerade einmal 20 Prozent aller Abgeordneten. Und das, obwohl die weibliche Wählerschaft sogar leicht überrepräsentiert war. „Aus gleichgeschlechtspolitischer Sicht ist das Wahlresultat eine Katastrophe“, schrieb Isabelle Schmoetten in der Wahlanalyse des „CID – Fraen an Gender“.

Keine harten Regeln auf kommunaler Ebene

Da das Paritätengesetz zwar auf nationaler und europäischer, nicht aber auf kommunaler Ebene greift, bleibt der systematische Aufbau von Frauen weiterhin eine Frage des guten Willens. Des guten Willens meist männlicher Parteispitzen. „Ich bin gerne bereit zu helfen, aber hier sind die Parteien selbst in der Verantwortung“, sagt Taina Bofferding und verweist auf die Gemeindeautonomie.

„Um in der Gleichstellungspolitik voranzukommen, spielte ich die Karte der Familienministerin, ich nutzte die Synergien zwischen den Ministerien“, sagt Marie-Josée Jacobs rückblickend. Ein Wink mit dem Zaunpfahl an die Innenministerin Taina Bofferding, die der Gleichstellungsministerin Taina Bofferding durchaus zu großen Schritten bei der Bekämpfung struktureller Probleme verhelfen könnte?

Es gibt in Luxemburg keine gesetzlichen Quoten, die die Zusammensetzung in Verwaltungsräten regeln.“Larissa Best, Unternehmerin

Es ist wie beim Dominospielen: Ohne den Anstoß an der Basis ist eine Veränderung hin zur Parität in politischen Führungspositionen kaum vorstellbar. Der Domino-Vergleich ist auch auf den Privatsektor anwendbar. Nur, dass hier nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten gespielt wird.

Von der politischen zur wirtschaftlichen Führung

„Es gibt in Luxemburg keine gesetzlichen Quoten, die die Zusammensetzung in Verwaltungsräten regeln“, sagt Larissa Best, Mitbegründerin von „équilibre“, einem „Action Tank“ für mehr Gleichheit im Beruf. Sie bemerke zwar, dass immer mehr Unternehmen Interesse an Parität zeigten, eine „gesetzliche Regelung, die man einfach einfordern kann“ würde jedoch vieles erleichtern.

Einer Studie von Eurostat zufolge ist Luxemburg hier trauriges Schlusslicht: Während im EU-Durchschnitt wenigstens 27 Prozent Frauen in Verwaltungsräten sitzen, beläuft sich die Zahl in Luxemburg auf gerade einmal 15 Prozent. „Quoten sind kein Allerheilmittel, aber ich denke wir brauchen sie“, sagt auch Marie-Josée Jacobs.

Taina Bofferding hofft währenddessen, dass ein für Herbst geplantes Monitoring bestätigen wird, dass zumindest in den Verwaltungsräten der „Etablissements publics“ die 40-Prozent-Forderung erreicht wurde. Warum sie sich nicht jetzt schon für eine strengere Umsetzung der Parität in bekannten Problembereichen einsetzen möchte, bleibt fraglich. Wahrscheinlich ist der Widerstand einfach zu groß. Auch heute noch.


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