Sie gehören zur Tradition des politischen Betriebs in Luxemburg: die sogenannten „Fraktiounsiessen“. Ein Mal im Jahr laden die im Parlament vertretenen Parteien die Medien zu einer Pressekonferenz mit anschließendem Mittagessen ein. Eine Gratwanderung für beide Seiten.
Offiziell heißt es, man wolle eine Bilanz der zurückliegenden Sitzungsperiode ziehen. Inoffiziell weiß aber jeder Teilnehmer: Bei den „Fraktiounsiessen“ geht es darum, dass sich Politiker und Journalisten in entspannter Runde kennenlernen und austauschen können. Je nach Geschmack bei Drei-Gänge-Menü, Mineralwasser oder auch einem bis mehreren Gläsern Wein. Aber Vorsicht: Die Tischgespräche sind traditionell „strictly off the record“, also nicht zitierfähig. So lautet die ungeschriebene Abmachung.
Bereits das Setting macht eine Besonderheit dieser Treffen aus. Politiker laden Journalisten zum Essen ein: Allein das ist für letztere Zunft eigentlich schon eine deontologisch grenzwertige Erfahrung. Allerdings sind die „Fraktiounsiessen“ auch eine gute Gelegenheit, um sich eben informell mit den Volksvertretern zu unterhalten – ohne Agenda oder besondere Hintergedanken, was prinzipiell für beide Seiten gilt.
Der Vorteil für die Politiker liegt dabei auf der Hand: Mehr oder weniger subtil kann man um die Sympathie der Pressevertreter werben. Was aus Journalistenperspektive dennoch für das Einlassen auf diese Gratwanderung spricht: Die Unterhaltungen lassen tiefere Einblicke in den Charakter, die Denkweise und die Beweggründe der politischen Entscheider zu, die in ordentlichen, also „On the record“-Interviews in der Regel nicht möglich sind.
In diesem Jahr fanden die vom Mittagessen gefolgten Pressekonferenzen natürlich unter besonderen Umständen statt. Alle Parteien trugen mehr oder weniger der Situation der Pandemie Rechnung. Und das nicht nur in den politischen Reden des offiziellen Teils. Konkret heißt das: Maskenpflicht und maximale Distanz, zumindest bis zu Tisch gebeten wird. Zudem finden die politisch-gastronomischen Events dieses Jahr ausnahmslos unter freiem Himmel statt.
Gehobene blau-rot-grüne Kost
Trotz des informellen Charakters der Tradition, handelt es sich natürlich durchaus um politische Events. Die meisten Journalisten zieht es wegen den „Background“-Gesprächen zu den Terminen, deren offizielle Einladungen oft mit Betreff „Conférence / Déjeuner de presse“ an die Redaktionen des Landes verschickt werden. Dass die Mittagessen wie früher zu politisch-medialen Trinkgelagen ausarten, ist heute allerdings eher selten. Manche Medienvertreter sehen es pragmatisch. Wie sich die älteren der LSAP-Abgeordneten erinnern, brachte vor Jahren ein Redakteur der kommunistischen „Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek“ auch schon mal seine Kinder zum „Fraktiounsiessen“ mit.
Dennoch überwiegt bei allem gastronomischen Interesse in der Regel das Politische. Das beginnt schon bei der Restaurantwahl. So orientiert sich etwa die LSAP seit geraumer Zeit weniger an ihrer proletarischen Tradition als an den kulinarischen Vorlieben ihrer „Stater Sozialisten“. Wie schon im vergangenen Jahr lud die LSAP-Fraktion in das angesagte „L’Annexe“ (Gault&Millau 13/20, Plat du jour ab 24 Euro) am Plateau Saint-Esprit ein. Auf dem Menü standen neben Hintergrundgesprächen über das neue Covid-Gesetz, die Umfragewerte von Paulette Lenert und die Lage des Luxemburger Sozialismus: Roastbeef mit „Thai Touch“, Turbot de Ligne und Crème brulée.
Die DP speiste dagegen klassisch hauptstädtisch-liberal in der Brasserie Schuman, und damit in ähnlicher preislicher und kulinarischer Kategorie wie der sozialistische Koalitionspartner. In gastronomischer Hinsicht spielen meist eh alle drei Koalitionäre in einer Liga. Die grüne Fraktion lud nämlich in die behagliche, ebenso vom Gault&Millau prämierte „Hostellerie de Grunewald“ ein. Im Gegensatz zur politischen Konkurrenz war bei den Grünen übrigens das vegetarische Menü für alle Gäste Pflicht. Die „Mozzarella burrata, minute de tomates cerises, confiture de tomates, huile de basilic, pignons de pin et olives noires“ war dabei nur der ökologisch korrekte Appetitbissen.
CSV kleckert, Déi Lénk klotzen
Déi Lénk buken in den vergangenen Jahren dagegen bewusst kleinere kulinarische Brötchen als die Konkurrenz. Sei es argentinisch, mit Steak und biografischen Ergüssen über Che Guevara vom Abgeordneten David Wagner oder raffinierte orientalische Kost im von Flüchtlingen betriebenen „Chiche!“: Die parlamentarische Linke machte ihrem alternativen und sozial-bewussten Ruf stets alle Ehre. Dieses Jahr war der Oppositionspartei dann aber offenbar nach höherer Cuisine zumute. „Um Plateau“ tischten die Kapitalismuskritiker von Tintenfisch-Burgern über Lachssteaks und Tagliata de Poulet Jaune bis hin zur Dame Blanche revisitée einiges auf. Politisch stand denn auch weniger Programmatisches als Lästern und Beschweren über die antisozialen Systemparteien auf der Tageskarte.

Lästern wollte man bei den Piraten nur über die Parteifinanzen der Konkurrenz. Ansonsten drehten sich die Gespräche eher über die Urlaubsvorlieben des Abgeordneten Sven Clement. Dabei zeigte sich im „Aqua Restaurant“ des Hotel Melia in Kirchberg, dass die Piratenpartei auch in Sachen „Fraktiounsiessen“ noch zu den parlamentarischen Neulingen gehört. Dass im Fischrestaurant die Wahl auf „Luxembourg Beef marinated with homemade Koji, smoked sauce“ fiel, ist dabei nur ein latenter Fauxpas. Dass das Vegetarier-Menü etwas improvisiert nur aus einer dreifachen Vorspeise („Coeurs d’artichauts“) bestand, kam bei der vegetarischen Journalistenfraktion aber weniger gut an.
Um einiges bodenständiger (und kostengünstiger) als ihre Oppositionskollegen ließ allerdings die größte Partei und Fraktion des Landes auftischen. In der Jugendherberge der Hauptstadt gab es bei der CSV „hyperlokale Hausmannskost“ (Zitat Léon Gloden): Rieslingspaté, Heringssalat und frisch gegrilltes Entrecôte mit Folienkartoffeln. Dazu nach Wahl Wasser, Saft, Crémant, Luxemburger Weißwein oder Rosé. Die Wahl des Restaurants sei durchaus mit einer politischen Botschaft verbunden, sagt zumindest Frank Engel. Nämlich: Die CSV sei die Partei „vun de klengen, also de normale Leit“.
Ein Gruß aus der Koalitionsküche
Entgegen der christlich-sozialen Dauerfrustration als Oppositionspartei war die Stimmung beim Grillen im Pfaffenthal durchaus entspannt. Während der Abgeordnete Gilles Roth den Journalisten über Tisch die technischen Feinheiten der blau-rot-grünen Haushaltspolitik nahe bringen wollte, hüteten sich Frank Engel, Martine Hansen und Claude Wiseler tapfer vor einer Antwort auf die Frage des nächsten Spitzenkandidaten. Stattdessen ließen die CSV-Strategen zum Dessert die „30 Gründe, warum wir die Wahlen verloren haben“ noch einmal Revue passieren.
Bei den Koalitionspartnern wurde dagegen deutlich, wer in der Regierung die Hosen an hat. Bei der DP wurde dem Vernehmen nach nur ansatzweise über Politik geplaudert. Und manche liberale Parlamentarier und Minister erachteten es gar nicht erst als notwendig, sich beim Essen unter die Journalistenmeute zu mischen, sondern blieben lieber unter sich.
Bei der LSAP echauffierte sich dagegen so manch einer über die zunehmende Arroganz der Liberalen, die sich weniger am Speise- als am Kabinettstisch äußere. Oder vielmehr darüber, dass die Sozialisten seit der Mindestlohnerhöhung und dem zusätzlichen Urlaubstag ihr programmatisches Pulver schon verschossen hätten. Anders als bei den blauen und grünen Partnern waren bei der LSAP übrigens keine Minister beim Essen dabei. Die Tatsache, dass Lenert, Kersch und Co. aus Pandemie-Gründen verhindert waren, stieß selbst bei den überkritischen unter den Pressevertretern auf Verständnis.
Die Grünen, inklusive vollständiger Ministerriege, gaben sich dagegen sichtlich entspannt und sommerlich zuversichtlich. Die Pandemie hat zwar die Prioritäten verschoben und den grünen Höhenflug in den Umfragen gestoppt. Doch bis zu den kommenden Wahlen habe man noch die eine oder andere regierungspolitische Überraschung parat, hieß es bei Tisch. Dennoch will der Juniorpartner immer schön konstruktiv bleiben: Die Grünen verlieren nie ein böses Wort über die beiden Koalitionspartner. Und wenn doch, war es ohnehin „strictly off the record“ …
Anmerkung der Redaktion: Der Piraten-Abgeordnete Marc Goergen dementierte in einer Reaktion auf diesen Artikel formell, dass er bei der Pressekonferenz oder beim anschließenden Essen über seine Urlaubsvorlieben gesprochen habe. Die Textpassage wurde entsprechend angepasst.