Der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé entnimmt im Raum Vittel an mehreren Stellen Wasser, ohne die dafür nötigen Genehmigungen zu besitzen. Der Konzern gelobt nun Besserung. Doch es ist nicht das erste Mal, dass Nestlé durch eigenwillige Praktiken auffällt.
Die Firma Nestlé schöpft im französischen Departement der Vogesen große Mengen Wasser ohne Genehmigung aus dem Boden. Konkret geht es in und um Vittel um mindestens elf illegale Brunnen. Das geht aus Recherchen hervor, die sich auf umfangreiche Vorarbeiten von „Eau 88“ stützen, einem Kollektiv von Wasser-Experten innerhalb des Umweltverbands Vosges Nature Environnement.
Einem Gutachten für die Firma Nestlé Waters zufolge, das REPORTER vorliegt, sind Anträge zur nachträglichen Genehmigung von elf bestehenden Pumpanlagen gestellt worden, bisher ohne Antwort der Behörden. Dokumenten zufolge handelt es sich bei den betroffenen Marken um Contrex, Hépar und „Vittel Grande Source“.
„Nestlé saugt in den Vogesen Wasser ab, bevor die Genehmigung vorliegt“. Unter dieser Überschrift hatte zuerst die Sendung „Pièce à conviction“ des TV-Senders France 3 über fünf nicht-autorisierte Entnahmestellen für die Marken Contrex, Vittel und Hépar berichtet.
Der Direktor von Nestlé Waters Vosges, Ronan Le Fanic, hatte damals in einem Interview eingeräumt, dass das Unternehmen nicht über alle nötigen Genehmigungen verfüge. Die Anträge seien jedoch « en cours de régularisation ».
Unvollständige Verwaltungsakte als Erklärung
Auf Nachfrage von REPORTER nuanciert der Leiter der zuständigen Filiale Nestlé Waters Vosges seine Darstellung: „Unter allen von uns betriebenen Entnahmestellen stehen acht im Genehmigungsverfahren bei den zuständigen Fachabteilungen der Präfektur“, so Ronan Le Fanic. Zur Hälfte sei demnach Mineralwasser betroffen, das für öffentliche Brunnen und Thermalanlagen genutzt wird, die andere Hälfte betreffe ausschließlich die Marke Contrex.
„In Wahrheit ist jede Art der Wasserentnahme Gegenstand von zahlreichen Verwaltungsakten: Entnahmen werden nach dem „Code de la Santé“ genehmigt, jeder genutzte Kubikmeter Wasser wird den Behörden gemeldet“, so der Nestlé-Verantwortliche weiter. Bei einer Überprüfung schon länger bestehender Pumpanlagen sei allerdings festgestellt worden, dass „einige Akte vervollständigt“ werden müssten. Dabei handle es sich um einen reinen „Verwaltungsakt“.
Die acht (betroffenen) Entnahmestellen hätten bereits bestanden, bevor Nestlé Waters die Firma Société des Eaux Minerales de Vittel erworben habe und damit auch vor dem Wassergesetz von 1992, sagte Le Fanic. Tatsächlich schreibt der französische Gesetzgeber aber vor, dass „sämtliche Anlagen (…), die eine Entnahme von Grund- oder Oberflächenwasser nach sich ziehen“, genehmigt werden müssen. Bereits existierende Pumpanlagen müssten binnen fünf Jahren an die Regelung angepasst werden.
Nestlé-Praktiken zunehmend umstritten
Umwelt-Experte Jean-François Fleck, der das Dossier für „Eau 88“ seit Jahren intensiv begleitet, hat ausgerechnet, dass im Raum Vittel sogar noch mehr Entnahmestellen nicht vollständig rechtskonform sind. Demnach sind acht weitere Pumpanlagen nicht korrekt im Sinne des Wassergesetzes genehmigt worden. „Teilweise wurde nur eine einfache Entscheidung durch den Präfekten erlassen, deren Rechtmäßigkeit wir anzweifeln.“ In mehreren Fällen hätten umweltrechtliche Studien gefehlt, so der Experte. Seinen Berechnungen zufolge zapft Nestlé in Lothringen jedes Jahr 1,6 Millionen Kubikmeter illegal ab, jedes Jahr. Eine solche Wassermenge reicht für den privaten Wasserverbrauch einer Stadt der Größe von Esch/Alzette.
„Wir sind schockiert, auf welche Art und Weise sich Nestlé hier das Allgemeingut Wasser unter den Nagel reißt“, kommentierte Fleck weiter. Es ist nicht das erste Mal, dass Nestlé in Frankreich mit dem Gesetz in Konflikt gerät. Wegen „einseitiger Parteinahme“ wird der langjährigen Leiterin der örtlichen Wasserkommission sowie einem von Nestlé bezuschussten Lobbyverein bald vor dem Strafgericht in Nancy der Prozess gemacht (REPORTER berichtete). Konkret wird der Politikerin vorgeworfen, bei der Aufstellung einer Wasserstrategie die Interessen Nestlés über die der Bevölkerung gestellt zu haben.
Seit Jahren sinkt im Raum Vittel der Grundwasserspiegel. Der Fakt, dass Nestlé nach wie vor im großen Stil in diesem Trinkwasser-Reservoir pumpt und das Wasser dann in Plastikflaschen ins Ausland karrt, stößt zunehmend auf Widerstand. Mehrfach organisierte das Kollektiv „Eau 88“ deshalb Informationsabende und Demonstrationen, an denen teilweise über 1.000 Personen teilnahmen.
Nach Intervention der regionalen Wasserschutzbehörde sind nun zumindest Pläne für eine millionenschwere Trinkwasser-Pipeline vom Tisch (REPORTER berichtete). Die Pipeline sollte die Bürger von Vittel mit weniger edlem Wasser aus Nachbargemeinden versorgen. Im vergangenen Sommer zeigte sich dann erneut eine Ungleichbehandlung der Behörden: Während die Bürger und auch Landwirte teils massiv Wasser sparen mussten, blieb Nestlé unbehelligt. Die Umweltschützer beklagen zudem, bei der aktuellen Debatte um die behördlich verordnete Neuauflage der Wasserstrategie nicht beteiligt zu sein.
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