„Fake News“ sind eine Gefahr für die Demokratie, befürchtet die EU-Kommission und fragt Experten, was man dagegen tun kann. Dabei ist es vielmehr die prekäre Lage der traditionellen Medien, die besorgniserregend ist.

Fake News. Das Wort ist in aller Munde. Politiker machen sich den Begriff zu Eigen, um unangenehme Nachrichten zu verleumden. Staaten oder Interessengruppen nutzen Desinformation, um sich in nationale Wahlen einzumischen. In den sozialen Medien sprießen die Falschmeldungen, mal mit mehr, mal mit weniger Einschlag. Eins scheint klar zu sein: Wir haben ein Problem.

Dabei ist das Phänomen der Fake News nicht neu. Doch gerade in den sozialen Netzwerken sind wir mit einer schier überwältigenden Flut an Informationen konfrontiert, die es dem Einzelnen immer schwerer macht, zwischen seriösen und unseriösen Nachrichten zu unterscheiden. Doch nicht nur das. Wie die aktuellen Debatten um Cambridge Analytica, die US-Wahlen oder Falschmeldungen wie die „Macron-Leaks“ zeigen, unterminiert die Verbreitung von Falschnachrichten demokratische Prozesse.

Demokratie in Gefahr?

So jedenfalls wird es auf nationaler und internationaler Ebene wahrgenommen. Glaubt man dem kürzlich erschienenen Eurobarometer, stellen Fake News für 83 Prozent der Befragten ein Problem für die Demokratie dar.

So traurig es klingt, aber das wichtigste ist Medienerziehung. Einfache und schnelle Lösungen gibt es nicht.“Ryan Heath, Journalist bei POLITICO

Doch nicht nur die Bürger sorgen sich. Der UN-Sonderberichterstatter zu Meinungsfreiheit und freier Meinungsäußerung hat zusammen mit Partnern wie der Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa eine gemeinsame Erklärung zur Fake-News-Problematik unterschrieben. Auch die EU-Kommission hat neben einer öffentlichen Konsultation eine Gruppe aus 39 Experten – von Journalistenverbänden über renommierte Forscher hin zu Facebook-Vertretern – gebeten, Lösungen vorzustellen. Der Bericht des ‚High Level Expert Group’ liegt seit kurzem vor und zeigt, wie komplex das Problem ist.

Ein Kompromiss

Denn während sich die Experten noch einig zu sein scheinen, dass sie den Begriff Desinformation dem der Fake News vorziehen, erscheint der Rest des Berichts wie eine Sammlung halbherziger Lösungen. Wie der Generalsekretär des europäischen Journalistenverbandes Ricardo Gutierrez im Gespräch mit REPORTER formuliert: „Es ist ein Kompromiss.“

Gutierrez war selbst Teil der Expertengruppe. Er ist allein deshalb zufrieden, weil die Vorschläge keine Einschnitte in die  Grundrechte vorsehen, wie das Recht auf freie Meinungsäußerung, das in der europäischen Menschenrechtskonvention festgehalten ist. Eine Lösung wie  das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder das von Emmanuel Macron angekündigte Fake-News-Verbot während Wahlkampagnen, wäre höchst beunruhigend. Denn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterstreicht: Freie Meinungsäußerung gilt auch für solche Inhalte, „that offend, shock or disturb.“ Die EU-Kommission kann also nicht einfach auf Gutdünken anfangen, falsche Informationen zu unterdrücken – und seien sie noch so störend.

Nicht im öffentlichen Interesse

Die meisten Empfehlungen der Expertengruppe richten sich indes an die Internetplattformen, über die Falschmeldungen verbreitet werden. Das liegt auch daran, dass das größte Problem nicht von Journalisten oder Medienhäusern ausgeht, sondern von  Facebook und Co. „Denn indem sie Informationen verbreiten und klassifizieren, übernehmen die Plattformen die Funktion von Journalisten“, so Ricardo Gutierrez.

Wenn es eine wahre Gefahr für die Demokratie gibt, dann ist es das zusammenbrechende Ökosystem der Medien in Europa.“Ricardo Gutierrez, Generalsekretär des europäischen Journalistenverbandes

Das Problem: Journalisten handeln im öffentlichen Interesse, müssen sich an moralische Grundsätze und Verhaltenskodexe halten und ein Recht auf Gegendarstellung gewähren. Die Plattformen hingegen müssen dies alles nicht. Ihr Interesse gilt dem Profit und da ist es unbedeutend, welche Information wahr oder falsch ist. Hauptsache sie generieren Klicks.

Nach welchen Algorithmen die Informationen gefiltert werden, ist eine Information, die keine Plattform offenlegt, ist es doch ihre Geldquelle, wie POLITICO-Redakteur Ryan Heath gegenüber REPORTER betont.  Der ehemalige Verfasser des ‚Brussels Playbook’ sieht wenig Handlungsspielraum auf EU-Ebene: „So traurig es klingt, aber das wichtigste ist Medienerziehung. Einfache und schnelle Lösungen gibt es nicht.“

Die Gefahr liegt woanders

Während die sozialen Plattformen mit dem Verbreiten von jedwelcher Informationen und den damit verbundenen Werbeeinnahmen Profit schlagen, geht es den Medienhäusern immer schlechter.

 „Wenn es eine wahre Gefahr für die Demokratie gibt, dann ist es das zusammenbrechende Ökosystem der Medien in Europa“, klagt der Journalistenvertreter Gutierrez. Er erinnert an die Rolle der Medien als Vermittler und Hüter der Demokratie: Sie sollen informieren, Missstände offenlegen, öffentlichen Instanzen auf die Finger schauen und die freie Meinungsbildung ermöglichen.

Die sozialen Medien zerstören den Journalismus.“Ricardo Gutierrez, Generalsekretär des europäischen Journalistenverbandes

Doch diese Aufgaben können die traditionellen Medien immer weniger erfüllen, so der Generalsekretär des europäischen Journalistenverbandes. „Die sozialen Medien zerstören den Journalismus“, sagt er. Dies geschieht zum einen durch enorme Einbußen in Werbeeinnahmen. Je schlechter es den Medien geht, je größer werden die Probleme. Die Arbeit intensiviert sich und weniger Personal muss mehr leisten. Das gehe zwingend auf Kosten der Qualität, so Gutierrez. „Dann liegt es nahe, dass die Leute sich lieber umsonst auf sozialen Plattformen informieren. Selbst wenn fragwürdig ist, welche Informationen dort kursieren.“

Doch nicht nur Budgetprobleme machen die Arbeit von Journalisten immer schwieriger. Die Problematik der Desinformation hat eine Atmosphäre des allgemeinen Misstrauens geschaffen. Wie Hannah Arendt bereits 1974 betonte: Wird permanent gelogen, ist die Gefahr groß, dass niemand mehr irgendetwas glaubt.

Dabei hilft es wenig, dass Politiker den Begriff der Fake News politisieren und einsetzen, sobald ihnen eine Information nicht passt. Das ist eine Spezialität des US-Präsidenten Donald Trump. Doch der Trend hat sich schnell verbreitet: So bedienten sich rezent auch EU-Kommissionssprecher Margaritis Schinas oder Bildungsminister Claude Meisch (DP) des Begriffes leichtfertig.

Fake News ist längst zu einem Kampfbegriff geworden dem Journalisten sich tagtäglich entgegenstellen müssen – zu einer schnellen und einfachen Waffe die darauf abzielt ihre Arbeit zu diskreditieren.

Presseförderung als Gegenmaßnahme

Die Situation in der sich Journalisten und traditionelle Medien zur Zeit befinden ist also prekär und die pluralistische Medienlandschaft in Europa droht sich weiter rasant zu verändern, wenn nicht längerfristig zu verschwinden – auch hierzulande. Dabei ist guter Journalismus die beste Waffe gegen Falschmeldungen und Desinformation, unterstreicht Ryan Heath.

Doch wie kann man das Überleben der traditionellen Medien absichern? Für Ricardo Gutierrez heißt die Antwort ganz klar: „Eine bessere Presseförderung“. Er ist froh, dass dieser Punkt im Expertenbericht zurückbehalten wurde. Diese Forderung richte sich sowohl an die Kommission, wie auch an nationale Regierungen, die Gutierrez ganz besonders in der Pflicht sieht.

Eine solche Pressehilfe müsse sich nach sozialen und qualitativen Kriterien richten und den Medienpluralismus bewahren. Doch genau diese drei Kriterien zu beachten, scheint der Politik, und auch der luxemburgischen Regierung deutlich schwer zu fallen. „Das Einfache, das schwer zu machen ist“, wie es „Land“-Chefredakteur Romain Hilgert jüngst ausdrückte.

Einen Grund zur Hoffnung gibt es aber. Laut Recherchen des Reuters Institute for the Study of Journalism ist die Reichweite von Fake News geringer als gedacht: Sie haben nur einen bedingten Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung. Das Problem wird als schlimmer wahrgenommen als es tatsächlich ist, glaubt Ricardo Gutierrez. Über die Zukunft der traditionellen Medien lässt sich das wohl nicht sagen.