Die europäische Urheberrechtsreform ist ein politisches Desaster – für alle. Die EU-Kommission beschimpft Bürger als Marionetten, Aktivisten beklagen den Untergang des Internets und Lobbys schlagen über die Stränge. Und am Ende steht eine verpasste Chance. Ein Kommentar.

Es ist ein politischer Streit im Ausnahmezustand. Jugendliche kommen aus ihrem Kinderzimmer und wollen mit den Eltern über eine EU-Richtlinie diskutieren. Im Rechtsausschuss streiten Europaabgeordnete so unversöhnlich wie selten zuvor. Die großen Verlagshäuser und ihre Verbände machen mächtig Druck. Und etwa in Deutschland entdecken Politiker erst jetzt, dass sie kurz vor den Europawahlen Millionen Bürger gegen sich aufgebracht haben.

Ende März wird das Europaparlament ein letztes Mal über die Copyrightrichtlinie abstimmen – dafür machte der Rechtsausschuss am Dienstag den Weg frei. Man darf sich einen epischen Showdown erwarten: von automatisierten Telefonanrufen bei Abgeordneten über offene Drohungen von Konzernen bis zu einer EU-Kommission, die bei Kritik Bürger als Marionetten von Onlineriesen darstellt.

Segnet das Parlament den Text ab, dann bekommen wir ein Urheberrecht im Internet, das mehr Fragen aufwirft, als es Probleme löst. Die rechtlichen Unsicherheiten führten dazu, dass die luxemburgische Regierung gegen den Entwurf stimmte.

Die Wunden aus den Copyright-Kriegen

Das ursprüngliche Ziel der Kommission ist unstrittig: Das aktuelle Urheberrecht ist veraltet und passt nicht ins Internetzeitalter. Doch die Frage, wie die neuen Regeln aussehen sollen, reißt Gräben quer durch die politische Landschaft. Das hat auch mit den Wunden aus den Copyright-Kriegen der letzten Jahrzehnten zu tun.

Musiker verzweifelten in den Nullerjahren, weil sie auf einmal kaum noch CDs verkauften. Nicht weil ihre Lieder niemanden interessierten, sondern weil die Fans sie als MP3s herunterluden – und nichts dafür zahlten. Die großen Medienkonzerne wollten ihr Geschäftsmodell um jeden Preis verteidigen und schreckten nicht davor zurück, Jugendliche vor Gericht zu zerren. Aus dieser Zeit stammt der Eindruck vieler Politiker, das Netz sei der „Wilde Westen“, wo man mal aufräumen müsste.

Auf der anderen Seite steht eine ganze Generation von Film- und Musikliebhabern, die mit dem Internet aufgewachsen sind und die von den Exzessen der Verwertungsindustrie verschreckt wurde. Seitdem sehen sie Copyright als Teufelswerk. Und trotzdem zahlen sie heute brav ihre Spotify- und Netflixabos.

Eine verpasste Chance

Ein Ausgleich zwischen den berechtigten Sorgen und Interessen beider Seiten wäre möglich gewesen. Das zeigen umfassende Änderungsvorschläge einer überparteilichen Gruppe von 50 Europaabgeordneten: Es ist ein Beispiel, wie eine Balance zwischen den Interessen der Urheber und dem Anspruch auf ein freies und offenes Internet ausehen könnte. Ihre Vorschläge waren überzeugend, doch sie scheiterten.

Schuld daran sind Lobbys, die völlig entfesselt und entgegen dem Allgemeinwohl agierten. Die Verwertungsgesellschaften hoffen auf fette Pfründe. Medienkonzerne geben Google die Schuld, dass sie kein Geschäftsmodell mehr haben; verschenken aber weiter Artikel online. Die Internetkonzerne nutzen ihre Marktmacht schamlos aus und drohen der EU offen. Onlineaktivisten verärgern Parlamentarier mit automatisierten E-Mail- und Telefonkampagnen statt sie zu überzeugen.

Das Vertrauen vieler junger Bürger eingebüßt

Schuld am Desaster ist auch eine Kommission, die ihren Vorschlag selbst gegen berechtigte Zweifel an „Uploadfiltern“ und den Lizenzen für Schnipsel von Presseartikeln verteidigte. Sie wollte zeigen, dass sie den Onlineriesen die Stirn bietet. Doch statt die Monopole von Google, Facebook und Co. über das Wettbewerbsrecht zu brechen, stärkt sie deren Macht. Die Konzerne werden gerne Lizenzgelder zahlen, wenn sie damit verhindern, dass neue Angebote von Start-ups zu einer ernsthaften Konkurrenz werden.

Wenig glorreich agierte auch Axel Voss (CDU), der Berichterstatter des Parlaments. Er stellte die Urheberrechtsregeln als einfach und klar dar. Doch auf seiner eigenen Facebookseite prangten Fotos, die er ohne jede Rücksicht auf Copyright nutzte.

Und die Mitgliedstaaten schauten bei der Copyrightreform lange zu. Ja, die deutsche Bundesregierung stimmte gar einem Deal mit Frankreich zu, obwohl der Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD das genaue Gegenteil vorsah. Am Ende steht ein Text, den viele Regierungen als schlechter empfinden als der ursprüngliche Kommissionsentwurf.

Es ist dieses heuchlerische Vorgehen, das viele zurecht empört. Die Politik ist beim Copyright unfähig, tragfähige Kompromisse auszuhandeln. Damit hat sie das Vertrauen gerade junger Bürger verspielt. Es ist eine verpasste Gelegenheit, zu zeigen, dass die EU in wichtigen Fragen gestalten kann. Und das ist unverzeihlich in dieser Zeit von steigendem Nationalismus und Europaskepsis.

Die Abstimmung Ende März ist die letzte Chance, etwas daran zu ändern.

Update: Die EU-Direktive wurde am 26. März im Europaparlament mit 348 Stimmen dafür und 274 Stimmen dagegen angenommen. Es gab 36 Enthaltungen. Zuvor war ein Antrag knapp gescheitert, Änderungen zu einzelnen Artikeln noch zu erlauben (312 Stinmen für eine Auseinandersetzung mit den Änderungsanträgen, 317 dagegen – 24 Enthaltungen.) Die Luxemburger Regierung war gegen den Text in seiner jetzigen Form.


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