Die Fronten um die Reform des EU-Urheberrechts sind verhärtet. Kritiker befürchten das Ende des Internets, Befürworter sehen die Rechte von Künstlern und Verlegern gestärkt. Luxemburg stimmte gegen den Text, weil er rechtlich auf schwachen Füßen steht.

Nur wenige EU-Richtlinien erhitzen die Gemüter so stark wie die geplante Modernisierung des Urheberrechts. „Rest in Peace Youtube“, „Die Richtlinie tötet das Internet“, entrüsten sich insbesondere junge Europäer, die mit Plattformen wie Youtube, Google und Co. aufgewachsen sind. Man wolle doch nur die Machtverhältnisse zwischen Künstlern, Verlegern und den großen Plattformen im Internet wieder in ein rechtes Lot rücken, argumentieren hingegen die Befürworter.

Worum geht es? Brüssel will das Urheberrecht an das digitale Zeitalter anpassen. Denn im Internet ginge es zu „wie im wilden Westen“. So jedenfalls drückt es der zuständige Kommissar Andrus Ansip aus. Während die großen Plattformen damit reich werden, dass die Werke von Künstlern hier millionenfach geteilt werden, erhalten letztere kaum eine Entschädigung für ihre Arbeit. Das soll sich nun ändern.

Vor den Wahlen werden nicht immer die besten Gesetze gemacht.“EU-Abgeordnete Mady Delvaux, LSAP

Doch seit über zwei Jahren streitet man sich in Brüssel um das Wie. Es ist ein schmaler Grat zwischen mehr Fairness und der freien Äußerung der Nutzer. Vergangene Woche einigten sich Vertreter des Parlamentes, des Rates und der Kommission auf einen Kompromiss, der niemanden so recht zufriedenstellt. Während die Gegner des Textes auf den Straßen für ein freies Internet demonstrieren, werfen ihnen die Verfechter der Richtlinie vor, sie seien lediglich Marionetten der großen Internetgiganten.

Die EU-Kommission sprach gar von einem „Mob“, der den „bösen Drachen“ vor dem „edlen Ritter“ rette. Der edle Ritter soll in diesem Fall die Kommission sein, die lediglich für etwas mehr Fairness „im wilden Westen“ sorgen will und auf Unverständnis trifft. Die Kommission löschte den entsprechenden Text inzwischen, in dem sie einseitigen Informationen und „Mythen“ im Zusammenhang mit der Richtlinie den Kampf ansagte.

Luxemburg stimmt gegen die Reform

Doch die Sachlage ist nicht so klar, wie es die verhärteten Fronten vermuten lassen. Unter anderem Luxemburg ist nicht bereit, den ausgehandelten Kompromiss mitzutragen. Am Mittwoch stimmten Luxemburg, Finnland, Italien, die Niederlande und Polen im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedsstaaten gegen den Text.

Im Europäischen Parlament ist die Stimmung aufgeheizt. „Es ist unmöglich. Ich habe noch nie erlebt, dass sich die Abgeordneten gegenseitig so beleidigt haben“, sagt die EU-Abgeordnete Mady Delvaux (LSAP). Trotzdem soll es jetzt sehr schnell gehen. Am Dienstag wurde der ausgehandelte Kompromiss im zuständigen Ausschuss diskutiert. Nächste Woche sollen die Mitglieder bereits abstimmen, der endgültige Text soll aber erst am Freitag vorliegen.

Wieso es so schnell gehen muss? Die Richtlinie soll noch vor den Europawahlen definitiv angenommen werden – und muss demnach spätestens im April im Straßburger Plenum auf die Tagesordnung kommen. „Es ist wie immer, wenn die Zeit knapp wird. Vor den Wahlen werden nicht immer die besten Gesetze gemacht“, sagt Mady Delvaux.

Ein Hebel gegen die Internetkonzerne

Einer der strittigen Punkte ist Artikel 11 zum sogenannten Leistungsschutz. Wollen Plattformen wie etwa Google News einen Auszug eines Presseartikels ihren Nutzern anzeigen, müssen sie mit den jeweiligen Journalisten, Verlegern oder deren Vertretern Lizenzen aushandeln. Sie müssen demnach einen angemessenen Teil ihrer Gewinne an sie abgeben.

Die traditionellen Medien konkurrieren mit den großen Internetkonzernen um Aufmerksamkeit, Investitionen und Inserenten und ziehen dabei in der Regel den Kürzeren. Dank der neuen Richtlinie soll ihre Verhandlungsposition gestärkt werden, lautet das Argument der Kommission.

Der Europäische Journalistenverband (EFJ) begrüßt den Kompromiss als „einen Schritt in die richtige Richtung.“ Der EFJ ist überzeugt, dass die Richtlinie zu einer angemessenen Bezahlung von Journalisten führen kann. Im Vorfeld hatten mehrere große Medienhäuser sich für den Text eingesetzt. Sammy Ketz, Büroleiter in Bagdad für die Nachrichtenagentur „Agence France Presse“ sprach in einem offenen Brief, den auch das Luxemburger „Tageblatt“ abdruckte, von einer „Frage von Leben und Tod.“ Auch im Parlament hätten die Verleger neben den Internetkonzernen die meiste Lobbyarbeit geleistet, sagt Mady Delvaux.

Es scheint also, als könnte der Vorschlag der Presse bloß helfen. Doch in mehreren Mitgliedsstaaten sind ähnliche Versuche, ein gerechteres Verhältnis zwischen Presse und Online-Riesen zu schaffen, gescheitert. In Deutschland etwa haben die Betroffenen auf eine Vergütung verzichtet, um weiterhin auf Google zu erscheinen. In Spanien hat „Google News“ seine Dienste eingestellt. Es lohnte sich für das Unternehmen nicht, für Inhalte zu bezahlen.

Mit wem wollen die Plattformen denn in Luxemburg Lizenzen verhandeln?“Sven Clement, Abgeordneter der Piraten

Die Medienunternehmen sind meist auf Google, Twitter und Co. angewiesen, um eine größere Reichweite für ihre Artikel zu erzielen. Dank ihnen haben sie zusätzliche Möglichkeiten, ihre Inhalte zu vermarkten und neue Zielgruppen zu erschließen. Ein geleaktes Gutachten des Forschungszentrums der EU-Kommission (JRC) spricht in diesem Zusammenhang gar von einem „faustischen Deal“ zwischen Plattformen, Verlegern und Konsumenten. Dennoch kommt der JRC zum Schluss, dass es für die Verleger keine Alternativen zu den Plattformen gebe, um ein breites Publikum zu erreichen.

Zwischen Leistungsschutz und Respekt

Welche Auswirkungen wird die Richtlinie demnach haben? Werden Google, Twitter und Co. also demnächst mit jedem kleinen Medienunternehmen Lizenzen abschließen? Lohnt es sich für sie mit kleinen Luxemburger Zeitungen und Publikationen zusammenzuarbeiten? „Wohl kaum“, glaubt der Luxemburger Abgeordnete der Piraten, Sven Clement. „Mit wem wollen sie denn in Luxemburg Lizenzen verhandeln?“

Während große Medienunternehmen von der Richtlinie profitieren, würden kleinere Unternehmen noch weiter geschwächt. Denn Deals mit jedem kleinen Unternehmen zu schließen, dürfte sich für die Plattformen nicht lohnen „Der Text ist ein Geschenk für Axel Springer“, drückt es der Pirat mit Verweis auf den mächtigen deutschen Medienkonzern aus. Auch Mady Delvaux glaubt der Kommission nicht. „Ich bezweifle, dass der Vorschlag die Journalisten besser schützt“. Der Luxemburger Presserat wollte zu der Frage keine Stellung beziehen.

„Es gibt immer Wege“, sagt dagegen Romain Jeblick von der Luxemburger Verwertungsgesellschaft „Luxorr“. Die betroffenen Medien könnten sich zusammenschließen, und ihre Rechte von einer Verwertungsgesellschaft verwalten lassen. Dennoch ist unklar, ob die Plattformen bereit sind, Lizenzen zu verhandeln, wenn sie daraus keinen Nutzen ziehen können. Letztlich geht es aber nicht nur um die Vergütung der Urheber, sondern auch um Wertschätzung. „Wir haben nichts anderes als unsere Inhalte. Diese müssen gegenüber den Monopolisten wieder an Wertschätzung gewinnen. Es geht um Respekt“, so Jeblick.

Unklarheiten bei Lizenzen und „Uploadfiltern“

Luxemburgs Regierung trägt den ausgehandelten Kompromiss nicht mit. Sie kritisiert insbesondere die Kriterien für die Lizenzvergabe, auf die sich die Verhandlungsführer geeinigt haben. Ab wann die Plattformen eine Lizenz brauchen, wird lediglich an der Länge des Auszuges, den sie nutzen, festgemacht –  nicht etwa an dessen Originalität.

Doch wie lang darf ein Auszug sein, bevor die großen Online-Konzerne zur Kasse gebeten werden? Darüber scheint sich in Brüssel niemand einig zu sein. So ist im Kompromiss von „einzelnen Wörtern oder sehr kurzen Auszügen“ die Rede. Wie viele Zeichen und Wörter genau damit gemeint sind, ist unklar. In der Branche wüsste man, was ein „Auszug“ sei, lautet die knappe Antwort der Kommission.

Es ist nicht der einzige Punkt der Richtlinie, bei dem der Rechtsrahmen unklar ist. Ganz ähnlich sieht es etwa mit den sogenannten „Uploadfiltern“ aus, die im Artikel 13 der Richtlinie behandelt werden. Online-Plattformen wie Youtube müssten demnach automatisch kontrollieren, ob das, was ihre Nutzer hochladen, gegen das Urheberrecht verstößt. Und sie müssen gegebenenfalls mit den Urhebern Lizenzen für die Inhalte aushandeln.

Wie die Plattformen das machen wollen, sei ihnen überlassen, betonte Kommissar Andrus Ansip. Klar ist aber: Müssen die Plattformen alle Inhalte systematisch überprüfen, sobald sie hochgeladen werden, dann geht das nur mit spezifischen Programmen. Doch wie erkennt ein Algorithmus den Unterschied zwischen Satire und Copyrightverstoß? Woher weiß der Filter, dass ein geschütztes Lied in einen Clip eingespielt wurde oder lediglich zufällig im Hintergrund im Radio läuft? Und fällt letzteres überhaupt unter das Urheberrecht oder nicht?

„Die Büchse der Pandora“

Auf all diese Fragen gibt es bisher keine klaren Antworten. Die Kommission verweist darauf, dass neben der künstlichen Intelligenz auch Sachbearbeiter kontrollieren müssen, was vom Netz genommen werde und was nicht. Anhand der Größe dieses „Netzes“ und der Anzahl an Nutzern und Uploads ist das jedoch eine Sisyphusarbeit, betont Mady Delvaux. „Das sind unglaubliche Dimensionen. Wer kann das denn überwachen?“, fragt sich die EU-Abgeordnete.

Ferner müssen die Plattformen ihr „bestes geben“ (Englisch: „best effort“), die Urheber der hochgeladenen Inhalte ausfindig zu machen. Rechtlich gesehen ist dieser Ausdruck jedoch problematisch. Was bedeutet der Begriff? Es ist ein weiterer Grund, wieso die Luxemburger Regierung den Text im Rat nicht unterstützt.

„Keiner kennt die genauen Bedingungen, um nicht verklagt zu werden“, kritisiert auch Sven Clement. „Mit Artikel 13 wird die Büchse der Pandora geöffnet“, warnt der Pirat. Anstatt Rechtsklarheit zu schaffen, sorge die Richtlinie für mehr Unsicherheit. Es bestehe das Risiko, dass die Plattformen viel mehr sperren, als sie eigentlich müssten.

„Dafür gibt es die europäischen Gerichte“, reagierte der Berichterstatter für den Text, Axel Voss (EVP) am Dienstag auf eine ähnliche Frage. Sei der Text unklar, dann wären die Richter für dessen Auslegung zuständig. Präzedenzfälle würden demnach nach und nach für mehr Klarheit sorgen. „Was sagt das über den vorliegenden Text aus, wenn bereits jetzt über die Gerichte geredet wird“, bedauert jedoch Mady Delvaux.

Schädlich für kleine Unternehmen

Vor allem kleinere Unternehmen könnten unter dem neuen Urheberrecht leiden. Anders als die großen Konzerne können sie sich nicht unbedingt die benötigten Filtertechnologien leisten und wohl auch nicht die drohenden Gerichtsverfahren. Zwar sieht der Kompromiss eine Ausnahme für Start-Ups vor, doch diese Regelungen kritisieren viele als dürftig. Unternehmen dürfen maximal drei Jahre alt sein, einen Umsatz von weniger als zehn Millionen Euro machen und weniger als fünf Millionen monatliche Nutzer haben, um von der Lizenzpflicht ausgenommen zu werden.

Es tut mir leid, dass ich mit dem Text nicht jeden glücklich machen kann.“EU-Kommissar Andrus Ansip

Wenn eine Firma eines der Kriterien erfüllt, gelten alle Pflichten. Dem luxemburgischen Wirtschaftsministerium gehen die Ausnahmen nicht weit genug. Dem wirtschaftlichen Rahmen der hiesigen Start-Ups würde nicht Rechnung getragen, heißt es dort.

Die Luxemburger Verwertungsgesellschaften sehen das anders. Ob Luxorr, Sacem, die sich um Musikinhalte kümmern, sowie die Verwertungsgesellschaft für audiovisuelle Inhalte, Algoa: Einstimmig begrüßen sie den Kompromiss als wichtige Errungenschaft, die für faire Bedingungen für Künstler und Autoren sorgen kann. „Wir sind die Letzten, die verhindern wollen, dass unsere Musik nicht genutzt wird. Doch es darf nicht zulasten der Künstler gehen“, betont etwa der Sacem-Geschätfsführer Marc Nickts.

Die Umsetzung sei zudem nicht so problematisch wie öfter angeführt würde. „Das Internet ist stärker als Artikel 13“, so Marc Nickts. Die großen Plattformen verfügen bereits über die entsprechende Technologie – nun gelte es nur noch, sie an die neue Richtlinie anzupassen. Auch Start-Ups wären nicht unbedingt benachteiligt, glaubt Nickts. Schließlich wüssten sie von vornherein, dass sie Filtertechnologien vorsehen müssten.

Romain Jeblick sieht das ähnlich. Nationale Datenbanken, in denen copyrightgeschütze Inhalte erfasst sind, gebe es bereits. Nun müssten Algorithmen lediglich auf diese Metadaten zugreifen können. Das Argument, Uploadfilter seien technisch problematisch, hält er für obsolet.

Am Ende ist niemand so richtig glücklich

Grabenkriege hin oder her. Es geht bei den Auseinandersetzungen um den Text nicht nur um die Frage, wer der Drache, und wer der Ritter ist. Sondern auch darum, die Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen, bevor der Text angenommen wird und sich nicht bereits im Vorfeld auf die Interpretation von Gerichten zu verlassen.

Bei der Richtlinie geht es letztlich um viel Geld und um die Frage, wie man die Arbeit von Künstlern und Journalisten in Zukunft wertschätzen will. Dass die großen Online-Plattformen ihre Einnahmen nicht bereitwillig an andere abgeben, scheint klar. Ob die Kommission mit ihrer Richtlinie tatsächlich für mehr Ordnung im „Wilden Westen“ sorgt, wird sich erst zeigen. Wie es Andrus Ansip vor der Presse ausdrückte. „Es tut mir leid, dass ich mit dem Text nicht jeden glücklich machen kann.“ Vorerst bleibt offen, wer sich in Zukunft freuen kann.


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