Hohe Wachstumsraten, sinkende Arbeitslosenzahlen, Investitionen in Milliardenhöhe: Wirtschaftsminister Etienne Schneider ist stolz auf seine Bilanz. Doch er bleibt verfangen in den Widersprüchen der Luxemburger Ökonomie. Ein Kommentar.
Auf den ersten Blick scheint Etienne Schneider eine klare Strategie zu haben. „Ohne Industrie ist Luxemburg ein Micky-Maus-Land“, sagte der Wirtschaftsminister als er am vergangenen Freitag seine Bilanz der letzten fünf Jahre präsentierte. Innovation statt Souveränitätsnischen, ICT statt Bankgeheimnis: Luxemburg müsse seine Wirtschaft auf neuen Argumenten aufbauen, erklärte der LSAP-Spitzenkandidat.
Doch schaut man sich die Projekte an, die Schneider in den vergangenen Jahren vorantrieb, dann kommen Zweifel auf, wie ernst er das meint. Das „Space-Resources“-Programm aber auch manche Neuansiedlung von Herstellungsbetrieben haben zwar etwas mit Industrie zu tun, doch sie führen die Absurditäten des „Micky-Maus-Landes“ fort.
„Space-Resources“-Programm mit Risiken und Nebenwirkungen
In keinen anderen Bereich hat Schneider so viel Energie gesteckt wie in das „Space-Resources“-Programm. Aus diesem Grund überrascht seine Ablehnung der Nischenpolitik, denn diese Initiative folgt dem bekannten Muster: Luxemburg macht ein auf die Bedürfnisse von Unternehmen zugeschnittenes Gesetz und hofft dann, dass diese sich in Luxemburg niederlassen. Es ist die gleiche Logik wie in der Steuerpolitik.
Doch wie treu werden die „Space Resources“-Unternehmen Luxemburg sein, wenn andere Länder ähnliche Gesetze zur Weltraumnutzung verabschieden?“
Anders als in Luxemburgs Steueroptimierungsindustrie geht es hier aber nicht um stabile internationale Konzerne, sondern um Start-up-Unternehmen, die noch auf der Suche nach einem Geschäftsmodell sind. Wie schwierig und riskant das Business ist, zeigt der finanzielle Abgrund, vor dem Planetary Resources steht. Schneider gab am Freitag zu, dass es für das Unternehmen, an dem der Staat mit 10 Prozent beteiligt ist, nicht gut aussehe. Es sei nun mal eine Branche mit hohem Risiko. Und das beinhaltete nicht einmal die diplomatischen Stolperfallen der internationalen Weltraumabkommmen.
Bis diese Firmen tatsächlich Steuern zahlen, Mitarbeiter rekrutieren und Dividenden abwerfen, wird es noch dauern. Aktuell schafft die Initiative vor allem Arbeitsplätze im Ministerium. Er habe mehr Beamte einstellen müssen, um die Dossiers von Hunderten Firmen zu bearbeiten, die sich in Luxemburg niederlassen wollten, so Schneider. Inzwischen zählt die Abteilung elf Mitarbeiter. Zum Vergleich: Um die erneuerbaren Energien kümmern sich in seinem Ministerium nur sieben Beamte.
In seinem Plädoyer für Industriepolitik betonte Schneider, dass ein Unternehmen, das in Luxemburg 200 oder 300 Millionen investiere, langfristig im Land bleibe. Anders als Banken, die „mit einem Mausklick“ weg seien. Doch wie treu werden die „Space Resources“-Unternehmen Luxemburg sein, wenn andere Länder ähnliche Gesetze zur Weltraumnutzung verabschieden?
Wer Steuern zahlt, darf auch Fabriken bauen
Schneider und seine Mitarbeiter freute besonders, dass die Berichte über das „Space Mining“ in ausländischen Medien die schlechte Presse in Folge von Luxleaks übertünchte. Doch nicht nur in diesem Sinne arbeitet der LSAP-Spitzenkandidat im Trümmerfeld der Luxemburger Steuerpolitik. Er will die Konzerne dazu bringen, hierzulande mehr als nur Briefkästen anzusiedeln.
Fage hat in letzten beiden Jahren über 60 Millionen Euro an Steuern gezahlt, ohne einen Becher Joghurt herzustellen. Das ist der Gegenwert eines Lyzeums“Etienne Schneider
„Wir reisen mit dem Pilgerstab zu allen Firmen, die in Luxemburg sind, um sie zu überzeugen, Substanz nach Luxemburg zu bringen“, so Schneider. Sprich: Sie sollen einer realen wirtschaftlichen Aktivität nachgehen, statt nur fiktiv aus Steuergründen im Land zu sein. Der Wirtschaftsminister nannte Fage als Beispiel. Der ursprünglich griechische Konzern will in Bettemburg eine Joghurtfabrik bauen, um seinen internationalen Hauptsitz in Luxemburg zu legitimieren.
Die Feigenblatt-Fabriken
Schneider sieht das pragmatisch: „Fage hat in letzten beiden Jahren über 60 Millionen Euro an Steuern gezahlt, ohne einen Becher Joghurt herzustellen. Das ist der Gegenwert eines Lyzeums“, so der Vizepremier. Sorgen um den sehr hohen Wasserverbrauch der Fage-Fabrik stellte er als übertrieben dar.
Ein anderes Beispiel ist der Konzern Ocsial, der seit 2012 in Luxemburg ist. Das Unternehmen produziert weltweit Nanoröhrchen aus Kohlenstoff. In Luxemburg siedelte Ocsial einen Briefkasten an, um von der äußerst günstigen Besteuerung auf geistigem Eigentum zu profitieren. Nun baut der Konzern in Differdingen eine Fabrik für sein Hightech-Material. Zusätzlich ist der Konzern an der Firma Ujet beteiligt, die in Foetz luxuriöse Elektroroller produziert.
Die Strategie, Konzerne zu überzeugen, Substanz in Luxemburg zu schaffen, wirft allerdings Fragen auf: Schließen die Fabriken, wenn sich die internationalen Regeln ändern und die Unternehmen nicht mehr Millionen an Steuern in Luxemburg sparen? Welchen langfristigen ökonomischen Sinn haben diese Feigenblatt-Fabriken, die die Steueroptimierung lediglich verdecken?
Angst vor der eigenen Courage
Auf die Frage, wie sinnvoll Fage für die Luxemburger Wirtschaft sei, blieb Schneider eine Antwort schuldig. So bleibt die Gefahr, dass die Regierung zahlreiche Projekte genehmigt, nur damit die Steuereinnahmen aus den Konzernstrukturen weiter fließen.
Dabei ist Schneider beileibe kein Steuerpolitik-Falke. Forderungen nach weiteren Steuersenkungen für Unternehmen und Vorteile für Risikokapitalgeber erteilte der LSAP-Spitzenkandidat eine klare Absage. Der Unterschied zu DP, CSV sowie deren Einflüsterer aus der Wirtschaft ist offensichtlich.
Schneider ist zurecht stolz auf die Investitionen von Goodyear, Euro-Composites und Dupont – Betriebe, die zeigen, was die Industrie hierzulande zu leisten vermag. Warum also nicht einen Schritt weitergehen und mutig auf die Innovationskraft der Luxemburger Wirtschaft vertrauen? Ganz ohne Steuerschlupflöcher und fragwürdige Gesetze.
Doch das heutige Modell hat einen entscheidenden Vorteil. Banken und Beteiligungsgesellschaften zahlten 2014 über die Hälfte der Körperschaftssteuern, die Industrie gerade einmal 1,5 Prozent. Und ohne diese hohen Einnahmen könnte auch die LSAP weniger soziale Wohltaten versprechen. Das ist das Problem, wenn man Minister im „Micky-Maus-Land“ ist.