Weniger als andere Parteien hat die CSV die Opposition zur inhaltlichen Profilierung genutzt. Eine Vision oder ein schlüssiges Alternativkonzept zu Blau-Rot-Grün ist bisher nicht in Sicht. Vielleicht ist das in diesem Wahlkampf aber auch nicht nötig. Eine Analyse.

„Wo bleiben die Inhalte?“ Der Vorwurf, wonach die Opposition keine Alternativen zur Regierungspolitik vorlege, ist ein Klassiker in der politischen Auseinandersetzung. Zudem beruht er auf Gegenseitigkeit. Auch die Opposition beschwert sich vor allem in Wahlkampfzeiten über die vermeintlich mangelhafte inhaltliche Substanz der Regierungsparteien. Zur Wahrheit gehört auch: Die Medien geben in ihren Kommentaren oft, je nachdem, beiden Seiten Recht.

Auf den ersten Blick trifft der Vorwurf auf die CSV durchaus zu. Wenn die Partei von Spitzenkandidat Claude Wiseler einen reformpolitischen Masterplan hätte, dann hat sie ihn bisher gut versteckt. Bis auf Grobprogrammatik scheint die größte Oppositionspartei nach außen hin bisher nicht viel an greifbaren Alternativen im Angebot zu haben.

Schicksal einer Oppositionspartei

Andererseits steckt die CSV wie jede Oppositionspartei im Dilemma, dass ihre politischen Alternativvorschläge in der Debatte untergehen. Bei etlichen Gesetzentwürfen der Regierung haben die Christsozialen im Parlament Änderungs- oder gar eigene Gesetzvorschläge eingereicht. So etwa in der Finanz-, Familien- oder Bildungspolitik. Aus Prinzip und in der Logik des parlamentarischen Gegensatzes von Regierungsmehrheit und Opposition werden diese Vorschläge aber regelmäßig verworfen. Und dann spricht auch schon keiner mehr darüber. Selbst die CSV nicht. Klickt man auf ihrer Webseite nämlich auf die Rubrik „Eis Positiounen“, so findet man dort nur das Grundsatzprogramm und das Wahlprogramm von 2013.

Man würde der stolzen Volkspartei fast wünschen noch eine Runde auf der Oppositionsbank zu drehen, um das Handwerk der Regierungskontrolle noch etwas besser einzuüben.

Hinzu kommt also der bleibende Eindruck einer verbesserungsfähigen Kommunikation. Anders als etwa in der vergangenen Legislaturperiode, als das blau-grüne Oppositionstandem medienwirksam auf seine mitunter inhaltliche Kritik an der „großen Koalition“ aufmerksam machte, versteht es die CSV weniger, die Opposition als Chance zur eigenen Profilierung zu nutzen. Das liegt freilich daran, dass die 23 CSV-Abgeordneten ohne Ausnahme keine Amtszeit selbst aktiv miterlebt haben, in der die eigene Partei nicht in der Regierung war. Man würde der stolzen Volkspartei fast wünschen noch eine Runde auf der Oppositionsbank zu drehen, um das Handwerk der Regierungskontrolle noch etwas besser einzuüben.

Unabhängig davon bleibt der Vorwurf der Inhaltslosigkeit aber bestehen, wenn man versucht, in der ganzen Oppositionszeit der CSV einen roten Faden zu erkennen. Will sie etwa die zum Teil progressiven Gesellschaftsreformen von Blau-Rot-Grün, wie die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Kirche und Staat, rückgängig machen? Plant sie bei der Rückkehr in die Regierung finanzpolitisch einen Konsolidierungskurs? Oder wird auch sie von der günstigen Konjunktur profitieren, um den Sozialstaat zu erhalten bzw. weiter auszubauen? Auf diese Fragen gab die CSV in den vergangenen Jahren keine eindeutigen bzw. zum Teil widersprüchliche Antworten.

Wiselers abstrakter Verantwortungsdiskurs

Wenn man den Diskurs von Claude Wiseler aufmerksam verfolgt, so zeichnet sich durchaus ein grobes inhaltliches Profil für den CSV-Wahlkampf ab. Wiseler vertritt etwa eine „verantwortungsbewusste Finanzpolitik“. Er wolle auch im Wahlkampf nichts versprechen, was er und seine Partei im Fall der Regierungsbeteiligung nicht halten könnten, sagt er auf Nachfrage von REPORTER. Er kritisiert die „unverantwortliche“ Steuerreform und diverse verfrühte „Wahlgeschenke“ der Regierung.

Will die CSV die Beiträge oder das Renteneintrittsalter erhöhen? Leistungen kürzen? Oder hat sie ein anderes geheimes Rezept gefunden? Man weiß es nicht.

Was die Alternativen der CSV betrifft, verweist Wiseler auf die Debatten über die Steuerreform. In der Tat hatte damals der finanzpolitische Sprecher Gilles Roth eine Reihe von Vorschlägen gemacht. So sollen nach Wunsch der CSV etwa die von der Regierung angehobenen Spitzensteuersätze früher greifen (ab 41 bzw. 42 Prozent bei Einkommen von 125.000 bzw. 150.000 Euro in der Steuerklasse 1) und die Grundsteuer angehoben werden. Ob diese Maßnahmen allein die ebenso von Roth geforderten weiteren Entlastungen aller mittleren Einkommensstufen, die komplette steuerliche Befreiung des sozialen Mindestlohns oder die von der CSV vertretene, weitere mittelfristige Senkung der Betriebsbesteuerung gegenfinanzieren kann, ist allerdings höchst zweifelhaft.

Schließlich formulierte Roth damals noch ein „klares Nein“ zum Regime der Stock options. Daraus wurde mittlerweile aber ein „klares Jein“.

Auch in der Rentenpolitik führt der Spitzenkandidat einen Diskurs der Verantwortung und der Generationengerechtigkeit. Bisher bleibt es aber beim abstrakten Diskurs der „langfristigen Absicherung des Rentensystems“. Will die CSV die Beiträge oder das Renteneintrittsalter erhöhen? Leistungen kürzen? Oder hat sie ein anderes geheimes Rezept gefunden? Man weiß es nicht. Noch mehr als in der Steuerpolitik sind hier konkrete Alternativen der CSV Mangelware. Ähnlich verhält es sich in der Sozial- und Familienpolitik. Wiseler, Roth und Co. verstehen es zwar, die Regierungspolitik zu kritisieren und punktuell im Parlament Alternativvorschläge zu formulieren. Ein eigenes stringentes Reformkonzept der CSV liegt allerdings noch nicht vor.

Vergangene und zukünftige Antworten

Wiseler verweist auf Nachfrage dazu sowohl auf die Vergangenheit als auch auf die Zukunft. Einerseits habe er beim Konvent im Oktober 2016, als er offiziell zum Spitzenkandidat gewählt wurde, einige „konkrete Konzepte“ vorgestellt. Andererseits werde er auf dem Nationalkonvent an diesem Samstag „in manchen Punkten mehr verraten“. Generell stehe die Ausarbeitung des Wahlprogramms aber eben noch aus. Man arbeite bereits in Konsultation sowohl mit der Basis als auch mit „Akteuren der Zivilgesellschaft“ an verschiedenen Kapiteln. Das Programm für die erhoffte Rückereroberung der Macht soll bis Ende Mai oder Anfang Juni stehen.

Was den Blick auf seine Rede beim Parteikonvent im Oktober 2016 betrifft, so muss man der CSV schon sehr wohlwollend zugeneigt sein, um dort die besagten konkreten Konzepte zu entdecken. Der stichhaltigste Vorschlag war nämlich eigentlich kein Vorschlag, sondern eine Verweigerungshaltung. Diese betraf damals die Entscheidung, die im überparteilichen Konsens ausgearbeitete Verfassungsreform in dieser Legislaturperiode nicht mehr mitzutragen.

Ebenso forderte Wiseler damals, dass man bei der Unternehmensbesteuerung noch weiter gehen müsse als die Regierung. Mit der Steuerreform sank der Körperschaftssteuersatz bis 2018 von 21 auf 18 Prozent. Auf dem CSV-Konvent im Oktober 2016 sprach Wiseler vom Ziel eines „taux d’affichage“ von 15 Prozent, um langfristig ein „günstiges steuerliches Umfeld“ für die Unternehmen zu schaffen. Von Gegenfinanzierung war damals allerdings nicht die Rede, ebenso wenig von Details zum Schlagwort der „Erweiterung der steuerlichen Bemessungsgrundlage“.

Das überkommene Wahlprogramm von 2013

Ansonsten beglückte Wiseler das Parteivolk und die Öffentlichkeit damals – und zum Teil auch seitdem – aber mit Gemeinplätzen. So müsse Luxemburg „eine Referenzplattform im Bereich der Digitalisierung“ werden, solle nicht rein quantitativ, sondern „qualitativ wachsen“, müsse sich „wirtschaftlich weiter diversifizieren“ und dabei den sozialen Dialog nicht vergessen. Und so weiter.

Was der CSV dennoch in die Karten spielen könnte, ist die Tatsache, dass der beginnende Wahlkampf ohnehin nicht von sachpolitischen Kontroversen geprägt ist.

Konkreter wurde er nur bei der Territorialreform bzw. der angestrebten Zwangsfusionierung von Gemeinden, die per Referendum verabschiedet werden soll. Ebenso will die CSV das hauptberufliche Bürgermeisteramt einführen, dieses mit dem Abgeordnetenmandat unvereinbar machen und sonstige Gemeindevertreter in einer „Chambre des élus locaux“ versammeln. Letztlich sind dies aber auch keine neuen Akzente, denn all dies stand genau so schon im Wahlprogramm der CSV für die Parlamentswahlen 2013.

An dieser Stelle wird letztlich ein generelles Problem der CSV deutlich. Viele Punkte des Wahlprogramms von 2013 (Reformen von Polizei, Rettungswesen, Geheimdienst, Gemeindefinanzen, Arbeitszeit, Erhöhung der Mehrwertsteuer, optionale Individualbesteuerung, Werteunterricht…) wurden ebenso wie noch von der CSV-LSAP-Koalition angefangene Projekte (Justizreformen, gleichgeschlechtliche Ehe, Tram, Staatsbürgerschaft…) mittlerweile von Blau-Rot-Grün umgesetzt. Dies hat die glaubwürdige Oppositionspolitik und die programmatische Neuerfindung der CSV ähnlich erschwert wie die Anwesenheit von einigen Ex-Ministern im Parlament die personelle Erneuerung.

Zudem birgt der Zwiespalt zwischen faktischer Kontinuität zu Blau-Rot-Grün und der Versuchung zur Fundamentalopposition noch eine grundsätzliche Gefahr für die Christsozialen. Denn all jene, die sich von einer CSV-geführten Regierung ein Zurückdrehen der Zeit erwarten, etwa die mitunter unerbittlich konservative Wählerschaft in den Kirchenräten, könnte durch Wiselers flexibel-pragmatische Agenda noch arg enttäuscht werden – und sei es nach den Wahlen.

Inhaltsvermeidung als bewährte Erfolgsstrategie

Was der CSV dennoch in die Karten spielen könnte, ist die Tatsache, dass der beginnende Wahlkampf ohnehin nicht von sachpolitischen Kontroversen geprägt ist. Betrachtet man den von links und rechts geteilten Trend zur „Wachstumskritik“, werden eher Stimmungen als Konzepte Trumpf sein. In diesem Sinn reiten die Christsozialen auch weiter auf einer diffusen, demoskopisch regelmäßig bestätigten „Anti-Gambia-Welle“. Allzu weite und anstrengende Ausflüge in das Reich des substanziellen Streits um die besseren politischen Lösungsansätze werden demnach tunlichst vermieden.

Die wirkliche Alternative der CSV bewegt sich so auch eher im Gefühlten und politisch Unterbewussten. So wie der langjährige CSV-Premier Jean-Claude Juncker im kollektiven Bewusstsein nicht unbedingt durch große Reformen in Erinnerung bleibt, sondern eher durch das langwirkende Gefühl, dass das Land in sicheren, kompetenten und geschickt agierenden Händen liegt, will die CSV auch in diesem Oktober wieder an vergangene Erfolge anknüpfen. Der zögerliche Staatsmann in spe Claude Wiseler personifiziert diese gefühlte Alternative, wenn auch anders als seine Vorgänger. Und solange die Stimmung im Wahlvolk nicht kippt, wird er wohl auch alles daran setzen, dass dieses Bild nicht durch inhaltliche Kontroversen getrübt wird.