Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung nehmen in Europa zu. Doch in Luxemburg schaut man lieber nicht so genau hin. Es fehlt an Zahlen und die Regierung vernachlässigt das Thema.
Ob Hakenkreuze auf Synagogen, verbale Attacken, Revisionismus oder gar handgreifliche Übergriffe: Die Diskriminierung von Juden in Europa nimmt zu. Das besagen auch aktuelle Zahlen. In der letzten Studie der EU-Agentur für Menschenrechte (FRA) etwa gaben 85 Prozent der Befragten an, sich in Europa nicht mehr sicher zu fühlen. 35 Prozent wollen deswegen auswandern. Befragt wurden Juden aus zwölf EU-Staaten. Luxemburg war nicht darunter.
Die aktuelle Entwicklung sei „besorgniserregend“, sagt FRA-Direktor Michael O’Flaherty. „Es gibt zur Zeit wenig Gründe, um optimistisch zu sein“, sagt auch Botschafter Georges Santer, der aktuell die Luxemburger Präsidentschaft der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) leitet. Die zwischenstaatliche Einrichtung kümmert sich um die weltweite Förderung der Forschung und Erinnerung im Bereich des Holocaust.
Doch wie ist die Situation hierzulande? Setzt sich der europäische Trend auch in Luxemburg fort?
Offizielle Zahlen fehlen
Diese Frage ist schwer zu beantworten. So lassen etwa Vorfälle, wie die Vandalisierung des DP-Wahlplakates während der Kammerwahlen darauf deuten, dass das Phänomen auch hierzulande zugenommen hat. Zahlen zu (antisemitischer) Diskriminierung gibt es aber kaum. Das kritisierte auch der Antirassismus-Kommission des Europarates (ECRI) in ihrem letzten Bericht. 2017 forderte sie die Regierung auf, solche Statistiken zu erheben und zu veröffentlichen: „La police et la justice devraient mettre en place un système d’enregistrement et de suivi des incidents racistes et homo/transphobes [et de] publier leurs statistiques en la matière“, heißt es im Bericht.
Bis heute bleibt aber alles beim Alten: Will man sich ein Bild machen – und das gilt für jegliche Form von Diskriminierung – muss man die fragmentierten Informationen unterschiedlicher Ansprechpartner zusammensuchen: Etwa jene Fälle, mit denen sich das Zentrum für Gleichberechtigung (CET), die Menschenrechtskommission, Bee Secure oder das Ombudskomitee auseinandersetzen. Oder jene Fälle, die strafrechtlich verfolgt werden. Doch längst nicht jede Form der Diskriminierung ist ein Fall fürs Gericht. Und noch längst nicht jeder wendet sich an die oben genannten Instanzen.
Verbände erstellen Statistiken
Die Informationslücken versuchen Organisationen und Verbände auf eigene Faust zu schließen. Um die Erhebung von Informationen zu antisemitistischen Übergriffen etwa kümmert sich die Arbeitsgruppe „Recherche et informations sur l’antisémitisme au Luxembourg“ (RIAL). Letztere führt für 2017 13 Fälle auf. 2018 soll die Zahl zugenommen haben, sagt der Autor des Berichts, Bernard Gottlieb. Letzterer erklärt aber, einige dieser Fälle selbst gemeldet zu haben, etwa an Bee Secure. Von Objektivität kann also keine Rede sein.
„Wir können die Erhebung der Daten nicht Verbänden überlassen“, fordert derweil Georges Santer. „Wir brauchen eine umfassende Datenerhebung nach klaren, objektiven Kriterien. Nicht nur für Antisemitismusfälle, sondern für alle Formen der Diskriminierung.“
Ein Mangel an Daten führt indes schnell zur Annahme, dass es in Luxemburg kein Problem gibt. Das sei aber nicht der Fall, betont etwa die Direktorin des CET, Nathalie Morgenthaler.
Mangelnder politischer Wille
Obwohl Luxemburg gerade den Vorsitz der Allianz für Holocaust-Gedenken innehat, fehlt es an politischem Willen für einen Kampf gegen Diskriminierung. So steht seit langem die Forderung nach einer nationalen Beobachtungsstelle im Raum. Und aus dem neuen Aktionsplan für Integration wurde die Diskriminationsbekämpfung gestrichen: Aus dem PAN intégration et lutte contre les discriminations“ wurde der „PAN pluriannuel d’intégration“. Auch das „Haus für Menschenrechte“, das im letzten Regierungsprogramm angekündigt wurde, lässt weiter auf sich warten.
Zudem ist die Erhebung von Daten nicht die einzige Empfehlung des ECRI, der Luxemburg bisher nicht nachkam. Auch eine Ausweitung der Kompetenzen des CET wurde bisher nicht wie gefordert umgesetzt. Doch dazu fehlt es dem Gleichberechtigungszentrum ohnehin an Personal und Geld, so Nathalie Morgenthaler. 2019 Jahr sollen dem CET 389.000 Euro zur Verfügung stehen. Das reiche eventuell um eine zusätzliche Person einzustellen. Die Forderungen des ECRI sind damit aber nicht erfüllt.
„Es ist schade, dass es keinen reellen politischen Willen gibt, um das CET zu stärken“, bedauert der Präsident des ECRI, Jean-Paul Lehners im Gespräch mit REPORTER. Aktuell wüssten die Menschen nicht einmal, an wen sie sich im Falle einer Diskrimination wenden sollen. Ein Problem, dessen sich auch Nathalie Morgenthaler bewusst ist. „Das CET hat das Problem, kaum bekannt zu sein“. Diese Aussage gilt wohl für alle Instanzen, an die sich Opfer von Diskriminierung – theoretisch – wenden können.
Vergangenheitsbewältigung anders denken
Doch auch in anderen Fragen hat Luxemburg Nachholbedarf, etwa in der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit. Jetzt sei der Moment, um Impulse wie den Artuso-Bericht oder das Holocaust-Denkmal weiterzudenken, fordert etwa François Moyse, Präsident der Stiftung zum Gedenken an die Shoah.
Nicht nur gibt es noch einige Kapitel, mit denen sich Luxemburg auseinandersetzen müsse. Mit einem Verschwinden des Wissens um die Verbrechen der Vergangenheit, würde auch die Frage nach der Relevanz der Vergangenheitsbewältigung in den Hintergrund rücken. „Es geht nicht um Schuldzuweisung. Es geht darum zu zeigen, was passieren kann, wenn alle Tabus fallen. Es geht darum die Mechanismen hinter solchen Verbrechen aufzuzeigen.“
Dieser Aufgabe ist sich auch Georges Santer bewusst. „Das Holocaustgedenken bleibt eine wichtige Stütze bei der Bekämpfung heutiger Probleme. Sie hilft Denkmuster zu hinterfragen. Wir wollen dazu beitragen, Wege zu finden, um die Vorboten zu erkennen, die darauf deuten lassen, dass Sachen schief laufen.“ Doch dazu müssen neue Wege und Instrumente zu einer sinnvollen Vergangenheitsbewältigung gefunden werden.
Gleichzeitig aber muss sich Luxemburg viel deutlicher mit den heutigen Formen der Diskriminierung auseinandersetzen. Ob durch die systematische Erhebung von Daten, Sensibilisierungskampagnen, Bildungsarbeit, oder bei der Integration von Flüchtlingen … Denn eins gilt sowohl für Antisemitismus, als auch für andere Formen der Diskriminierung: Nur weil man das Problem nicht sieht, bedeutet es nicht, dass es nicht da ist.