Sie sorgen weltweit für Aufruhr: Die „Implant Files“ blicken hinter die Kulissen der Medizin und zeigen, wie Patienten dem Markt der Prothesen und Implantate zum Opfer fallen. Um was es sich genau handelt? Das lesen Sie hier.

Die Recherchen tragen den Namen „Implant Files“: Journalisten des deutschen NDR, WDR und der „Süddeutschen Zeitung“ und des International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) decken Missstände bei der Entwicklung, Prüfung und Überwachung von Medizinprodukten auf. Patienten sind fehlerhafte Prothesen und Implantate eingesetzt worden – mit teils fatalen Folgen für die Betroffenen. Hersteller medizinischer Implantate wollten die lebensgefährlichen Zwischenfälle bewusst vertuschen und Lobbyisten strengere Kontrollen der minderwertigen Prothesen und Implantate umgehen. Was die Journalistin noch herausfanden: Die Zulassungskriterien von Medizinprodukten ist lasch, eine gründliche Überprüfung gibt es nicht.

Mandarinennetz geht als Vaginal-Implantat durch

Wie lasch sie tatsächlich sind, hat die niederländische Journalistin Jet Schouten bewiesen. Sie hat mit einem Mandarinennetz und einer professionell gestalteten Infobroschüre getestet, wie einfach es ist, ein neues Medizinprodukt mit dem offiziellen CE-Siegel (CE steht für Conformité Européene) zu zertifizieren. Bei gleich drei CE-Prüfstellen gab sie sich als Herstellerin aus und beauftragte die Prüfer damit, ihr das CE-Zertifikat auszustellen. Dreimal hätte sie es bekommen. Danach brach sie das Experiment ab.

Kaum Kontrollen bei Medizinprodukten

Das Beispiel des Mandarinennetzes zeigt: Klinische Studien oder Tests sind nicht nötig, um ein Medizinprodukt auf den Markt zu bringen. Hürden gibt es für die Hersteller so gut wie keine.

Wichtig für ein Produkt ist vor allem, dass das sogenannte Äquivalenzprinzip greift. Will heißen: Jedes neue Produkt erhält automatisch ein Prüfsiegel, wenn bereits ein ähnliches Produkt auf dem Markt existiert, das irgendwann an Menschen getestet worden ist.

Konsequenzen für die Patienten

Gerissene Silikonkissen, Bandscheibenimplantate, die im Rücken zersplittern oder Sterilisationsspiralen, die in den Eileitern der Frauen verkalken: Medizinprodukte, die den Patienten eigentlich helfen sollen, führen zu Verletzungen und sogar zum Tod. In Deutschland seien im vergangenen Jahr 14.034 Fälle gemeldet worden, bei denen es zu Verletzungen, Todesfällen oder anderen Problemen gekommen sei, die im Zusammenhang mit Medizinprodukten stehen könnten, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“. Hersteller sollen die Vorfälle bewusst vertuscht haben. Kein Wunder, denn der weltweite Umsatz der Medizinprodukt-Branche wird auf 282 Milliarden Euro geschätzt.

Welche Auswirkungen hat der Skandal auf Luxemburg?

In Luxemburg sind solche Fälle bisher nicht bekannt. Wie die Georges Clees von der Patientenvertriedung sagt, hätten sich bisher keine Opfer der „Implant Files“ gemeldet. Auch dem Gesundheitsministerium sind keine Zusammenhänge zu den „Implant Files“ bekannt. Nichtsdestotrotz kommt es auch hierzulande immer wieder zu Problemen nach Operationen. Im vergangenen Jahr gab es etwa 50 Zwischenfälle.

Das liege aber nicht unbedingt an den Prothesen und Implantaten selbst, sondern könne auch damit zu tun haben, dass der Chirurg das Produkt falsch eingesetzt hat oder der Patient es schlichtweg nicht verträgt, so Jean-Claude Schmit von der Direction de la Santé.

Mehr zur Situation in Luxemburg, lesen Sie hier: Das Problem mit den Implantaten.

Lobby blockt Veränderung

Schon mehrmals wurden auf EU-Ebene schärfere Regeln für Implantate und Prothesen gefordert. Dazu kam es bisher aber nicht. Die Lobby der Medizinprodukte bremst die Vorhaben immer wieder aus. Denn statt einer staatlichen Behörde sind es Privatunternehmen, die die Waren prüfen. Und die werden wiederum für ihre Prüfung von den Herstellern bezahlt. „Selbst hartgesottene Europa-Parlamentarier sprechen von Einflussnahme in einem bislang nicht da gewesenen Ausmaß“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Nun soll 2020 eine neue EU-Verordnung greifen, die strengere Regeln für Medizinprodukte mit sich bringt. So soll unter anderem jedes einzelne Produkt innerhalb der EU eine eigene Nummer bekommen und eindeutig identifizierbar werden. Zudem sollen die Prüfstellen künftig unangekündigt bei den Herstellern Kontrollen durchführen.