Um das Coronavirus einzudämmen, schränkt die Regierung das öffentliche Leben weitgehend ein. Dazu greift sie als rechtliche Grundlage auf ein Gesetz von 1885 zurück. Das ist zwar praktisch, aber der Text ist für die aktuelle Lage nicht gedacht. Das erfordert eine sehr pragmatische Auslegung.
„Wir haben eine rechtliche Grundlage gefunden“, sagte Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) und schmunzelte. „Fragen Sie mich aber nicht, was sie taugt“, so die Ministerin am Montag als sie die Details der Schließungen der Geschäfte, Restaurants und anderen öffentlichen Orten erklärte.
Die ehrliche Einschränkung von Paulette Lenert ist nicht ganz unbedeutend. Denn das umfassende „Arrêté ministériel“, das die Ministerin am Montag unterzeichnete und das sogleich in Kraft trat, gründet auf dem Gesetz vom 25. März 1885 „betreffend die Maßnahmen gegen die Einschleppung und Ausbreitung ansteckender Krankheiten“. Unterzeichnet wurde dieses Gesetz von König Wilhelm III., seines Zeichens von 1849 bis 1890 König der Niederlande und Großherzog von Luxemburg in Personalunion.
Weitreichende Befugnisse für Ministerin
Während andere Länder den Ausnahmezustand oder den Katastrophenfall ausrufen, reicht in Luxemburg ein Gesetz aus dem 19. Jahrhundert. Tatsächlich bezieht sich die Verordnung vom 16. März 2020 auf Artikel 1 des Textes von vor 135 Jahren.
Dieser Artikel gibt dem Gesundheitsminister weitreichende Befugnisse: Er oder eben sie „ist befugt, die erforderlichen Beschlüsse zu treffen, um der Einschleppung und der Verbreitung der epidemischen Krankheiten entgegen zu wirken.“ Dazu gehören „cordons sanitaires“, das „Absondern von Kranken“ und die Aufsicht über Personen, die aus einem „infizierten Land“ kommen.
500 bis 10.000 Euro Strafe
Was auffällt: Im „Arrêté ministériel“ vom Montag ist kein Bezug auf Artikel 2 des Gesetzes, das die Strafen festlegt, falls jemand sich nicht an die Maßnahmen hält. Erst am Montagnachmittag bemerkte das Ministerium für innere Sicherheit in einer Pressemitteilung, dass das 1885 festgelegte Strafmaß trotzdem gilt.
Nur beinhaltet das ein Problem: Im Text von 1885 ist die Rede von „einer Geldbuße von hundert bis tausend Franken“. Das Staatsministerium verweist auf Nachfrage von REPORTER auf den „Code de la Santé“, der diese Strafen auf 500 bis 10.000 Euro beziffert.

Die restlichen Bestimmungen sind aus heutiger Sicht allerdings unklar: Es können nämlich Haftstrafen von einem Monat bis Jahre drohen. Doch im Gesetz steht ebenfalls, dass die Strafen höher ausfallen können oder aber mildernde Umstände geltend gemacht werden können.
Ein Gesetz ist ein Gesetz
Dass das Gesetz, das als rechtliche Grundlage dient, 135 Jahre auf dem Buckel hat, ist nicht per se ein Problem, erklärt der Professor für Verfassungsrecht an der Uni Luxemburg, Luc Heuschling. „Die Menschenrechte sind gewahrt, wenn die Maßnahmen auf einem Gesetz gründen“, erklärt er.
Am Dienstag erklärte Premierminister Xavier Bettel im Parlament den Notstand („état de crise“). Es gehe darum, den rechtlichen Rahmen zu haben, um schnell handeln und die erforderlichen Maßnahmen umsetzen zu können, so der Premier. Er berief sich auf Artikel 32.4 der Verfassung. Darin ist festgehalten, dass der Großherzog im Falle einer internationalen Krise Verordnungen beschließen kann, die drei Monate gelten. Konkrete Maßnahmen erwähnte die Regierung Stand Dienstag nicht.
Gegen Cholera, Tollwut und Schweinegrippe
Der Grund, warum die Regierung den Text von 1885 ausgegraben hat, liegt wohl daran, dass dieses Gesetz bereits 2009 im Rahmen der Influenza-Panademie – auch „Schweinegrippe“ genannt – zum Einsatz kam. Allerdings diente es damals lediglich als rechtliche Begründung, um temporäre „centres de traitement“ einrichten zu können, falls die Krankenhäuser überlastet seien. Dabei gab es anders als heute keine Notwendigkeit auf Strafen zu verweisen.
Seit 1885 diente das Gesetz 35 Mal als rechtliche Grundlage. Im 19. Jahrhundert ging es vor allem darum, Cholera-Epidemien zu verhindern, die Luxemburg bereits mehrmals heimgesucht hatten. Ab den 1960er Jahren ging es um die Eingrenzung der Tollwut.
So weitreichende Maßnahmen wie heute wurden allerdings auf dieser Grundlage noch nie getroffen: Als die „Spanische Grippe“ in Luxemburg wütete und alle Konzerte, Kinovorstellungen und Theater geschlossen wurden, kam das Gesetz von 1885 nicht zum Einsatz. Sondern jenes vom 27. Juni 1906 zur Förderung der öffentlichen Gesundheit.
Update: Der Artikel wurde aktualisiert, um der Erklärung des „état de crise“ am Dienstag, 17. März 2020 Rechnung zu tragen.