Im Ausnahmezustand kann die Regierung bei Bedarf schnell handeln. Bisher hält sich das Ausmaß der Notverordnungen zwar noch in Grenzen. Doch schon heute sind einzelne Gesetze zum Teil ausgesetzt und Freiheitsrechte wurden punktuell eingeschränkt.

„Wie weit die Regierung gehen darf, hängt davon ab, wie schwerwiegend die Krise ist“, sagt Alex Bodry. Der frühere LSAP-Fraktionsvorsitzende, der heute im Staatsrat sitzt, erachtet die Vorgehensweise der Regierung zur Ausrufung des Ausnahmezustands als rechtlich zulässig und warnt dennoch: „Auch während einer Krise darf man Freiheiten der Bürger nicht vollständig abschaffen.“

Allerdings können die Maßnahmen, die die Regierung auf der Grundlage von Artikel 32(4) der Verfassung treffen kann, weitreichend sein. Einzige Einschränkung: Die Notverordnungen dürfen nicht gegen die Verfassung oder internationale Verträge verstoßen. Die Europäische Menschenrechtscharta ebnet hierfür den Weg.

In Zeiten einer Krise dürfen Staaten von ihren Verpflichtungen abweichen. Laut Artikel 15 der Charta sind nur das Recht auf Leben sowie die Verbote der Folter und der Sklaverei absolut. Alle anderen Rechte können prinzipiell eingeschränkt werden, solange sie notwendig, angemessen und verhältnismäßig sind, wie es im Luxemburger Grundgesetz heißt.

Krisenbewältigung verpflichtet

Artikel 1 der ersten Notverordnung in der Coronavirus-Krise legt eine Reihe von Einschränkungen der Bewegungsfreiheit fest. Faktisch wird damit bereits das verfassungsmäßig garantierte Versammlungsrecht eingeschränkt. In den weiteren Artikeln der Verordnung werden zudem Gesetze zum Teil außer Kraft gesetzt – darunter auch ein Text, der gerade für Krisenzeiten gedacht ist.

Denn laut einem Gesetz von 1981 – also auch außerhalb des Ausnahmezustands – kann die Regierung in einer Krise sowohl Bürger als auch Betriebe zum Dienst im öffentlichen Interesse („en vue de l’exécution de tâches d’intérêt public“) verpflichten. Laut Gesetz darf die Regierung zum Beispiel Unternehmen vorschreiben in erster Linie für den Staat zu produzieren, falls das nötig sein sollte, um die Krise zu bewältigen.

Gleiches gilt für Bürger. Einzig die Armee und die Polizei sind in Luxemburg laut dem besagten Gesetz von dieser Regel ausgenommen – bis jetzt. Der Gesetzgeber wollte verhindern, dass gerade in Zeiten einer Krise Armee und Polizei ihrer Rolle nicht mehr gerecht werden könnten. Der „Etat de crise“ hat diese Ausnahme aus dem Gesetz über die „réquisitions en cas de conflit armé, de crise internationale grave ou de catastrophe“ nun aufgehoben.

Neue Aufgaben für Armee und Zoll

Tatsächlich ist es auch die Armee, die in dieser Krise zuerst zum Dienst verpflichtet wurde und ihrer eigentlichen Arbeit nicht mehr nachgeht. Die Musiker der Militärmusik bedienen bereits seit mehreren Tagen die Hörer der vom Staat eingerichteten Coronavirus-Hotline.

Auch die Befugnisse des Zolls haben sich in Zeiten der Covid-19-Pandemie geändert. Gemeinsam mit der Polizei wurden die Mitarbeiter der „Administration des douanes et accises“ beauftragt, auf die Regeleinhaltung zu achten. Laut dem Minister für Verteidigung und innere Sicherheit, François Bausch (Déi Gréng), will man so sicherstellen, dass es bei der Polizei nicht zu personellen Engpässen kommt.

Auch auf die Armee könnten noch weitere Aufgaben zukommen, sagte François Bausch vergangene Woche auf einer Pressekonferenz. Ob Luxemburgs Militär die Polizei in dieser Krise unterstützen muss, wollte der Minister im Interview mit „Radio 100,7“ zumindest nicht ausschließen.

Weitere Gesetze werden ausgesetzt

Anders sieht es für Menschen aus, die im medizinischen Bereich tätig sind oder waren. Sie müssen sich für die „reserve sanitaire“ melden, um personelle Engpässe zu vermeiden. Bei Firmen und anderen Staatsbürgern wird hingegen auf Freiwilligkeit gesetzt. Die Logistikeinheit des Krisenstabs erhielt in den letzten Tagen von mehreren Unternehmen Schutzmasken. Freiwillige können sich von nun an über das Rekrutierungsportal GovJobs.lu auf Stellen bewerben.

Weitere Maßnahmen betreffen etwa die Funktionsweise der Gemeinden und des Zivilschutzes. Vor dem Ausnahmezustand waren Gemeinderäte und der Vorstand des CGDIS nur beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte der Mitglieder physisch präsent sind. Jetzt können sie entweder einem anderen Mitglied eine Vollmacht erteilen oder selbst per Video oder Telefon zugeschaltet sein. Auch in diesem Kontext wurden einzelne Dispositionen aus geltenden Gesetzen außer Kraft gesetzt.

Ein weiterer Kernpunkt ist die Verlängerung von Fristen. Die Aufenthaltsgenehmigung von nicht-europäischen Ausländern und Menschen, die Asyl beantragt haben bis zum Ende der Krise verlängert. Das Umweltministerium hat zudem beschlossen die Fristen für alle Berichte und Anfragen die Unternehmen einreichen müssen, zu verlängern. Weitere Fristverlängerungen wurden bereits beschlossen, ohne jedoch gesetzlich vorgeschrieben zu sein. Die Steuerverwaltung hat zum Beispiel die Frist zur Einreichung der Steuererklärung um drei Monate verlängert.

„Die Polizei wird sehr streng sein“

Verpflichtend sind hingegen die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. „Jeder muss zuhause bleiben. Das ist die Grundregel“, sagte Xavier Bettel (DP). Eine Ausnahme gilt nur für Menschen, die arbeiten müssen, Lebensmittel einkaufen gehen, zum Arzt müssen oder allein Sport betreiben. „Radio 100,7“ hat eine vollständige Liste der Ausnahmen erstellt.

Auch für Unternehmen hat die Regierung die Auflagen verschärft. Laut der Verordnung vom 18 März sind alle kommerziellen und handwerklichen Aktivitäten, bei denen Kunden empfangen werden, verboten. Eine Ausnahme gilt für Reparaturarbeiten. „Die Polizei wird hier sehr streng sein“, warnte Minister Bausch vergangene Woche. „Wer erwischt wird, wird sofort bestraft.“

Wie die Handelskammer bemängelt, werden jedoch gleich im nächsten Artikel der Verordnung alle handwerklichen Aktivitäten, die nicht in der Werkstatt stattfinden, verboten. Es zeigt die Schwäche der schnellen Vorgehensweise im Ausnahmezustand. Die fehlende unmittelbare Kontrolle durch den Staatsrat oder das Parlament kann zu missverständlichen Bestimmungen führen. In Krisenzeiten hat dies jedoch keinerlei Folgen.

„Kompletter Shutdown“ bleibt unwahrscheinlich

Wer gegen die neuen Regeln verstößt, muss mit einer Strafe von 145 Euro rechnen. Bei mehrfachen Verstößen kann die Strafe auf 250 Euro steigen. Für Unternehmen liegt sie bei 4.000 bis 8.000 Euro. Die Maßnahmen sollen natürlich eine abschreckende Wirkung haben. Die Regierung versuche aber weiterhin, einen „kompletten Shutdown“ zu verhindern, sagte François Bausch. Tatsächlich scheint das auch zu gelingen. Laut Gesundheitsministerin Paulette Lenert (LSAP) musste die Polizei in den vergangenen Tagen kaum noch eingreifen.

Ab wann ein „Shutdown“, also eine völlige Ausgangssperre zu rechtfertigen ist, ist jedoch schwer zu sagen. Italien hat zum Beispiel erst nach zwei Wochen die bereits strenge Ausgangssperre verschärft. Dadurch wurden etwa Unternehmen, die nicht lebenswichtige Produkte herstellen, geschlossen.

Nur das Parlament kann indes entscheiden, ob eine Maßnahme unverhältnismäßig ist. Während dem „Etat de crise“ behält es die Möglichkeit, Entscheidungen der Regierung per Gesetz zu stoppen. Das ist angesichts dem doch begrenzten Ausmaß der bisherigen Maßnahmen sowie der breiten „nationalen Union“ (Xavier Bettel) zwischen den Parteien aber eher unwahrscheinlich.


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