Mehrere große Gesellschaftsreformen hat Felix Braz als Justizminister umgesetzt. Doch seine pragmatisch-pedantische Arbeitsweise ließ kaum Raum, um Déi Gréng in der Koalition in den Vordergrund zu bringen. Ein Porträt.

Es ist ein heißer Samstagvormittag. Déi Gréng tagen, um ihr Wahlprogramm zu beschließen. Fast alle sind leger gekleidet, nur Felix Braz erscheint im dunklen Anzug mit weißem Hemd.

Diese Szene ist anekdotisch und sagt trotzdem viel über den Menschen Felix Braz aus. Kein anderes Regierungsmitglied ist so mit seinem Amt verschmolzen wie der Justizminister. Zurückhaltung habe er sich auferlegt, sagte er dem „Luxemburger Wort“ im März. „Ich muss nicht auf jedem Foto sein.“ Als Minister repräsentiert er das gesamte Justizwesen, so sieht es der 52-Jährige.

Besonnen war Felix Braz bereits als Abgeordneter. Doch nun gesteht er, dass es ihm Mühe bereite, das „Kostüm des Wahlkämpfers“ überzustreifen. Das ist bizarr, da die Parteien seit einem gefühlten Jahr im Wahlkampfmodus sind. Tatsächlich war es Nachhaltigkeitsminister François Bausch, der in den letzten Monaten für die Abteilung „Attacke“ bei Déi Gréng zuständig war. Braz war so abwesend, dass selbst aufmerksame Journalisten fragten: „Was macht eigentlich Felix Braz?“

Anspruch und Wirklichkeit

Kein Vorwurf trifft Felix Braz härter. „Ich bin gekommen, um zu arbeiten“, sagt er REPORTER. Er betont, sein Ministerium habe in den letzten fünf Jahren „doppelt“ so viel gearbeitet, wie in den Legislaturperioden zuvor. Im Gespräch wiederholt er das mehrmals.

Das ist eine recht optimistische Einschätzung. Die offiziellen Zahlen des Portals Legilux zeigen ein anderes Bild. Zwischen 2009 und 2013 wurden 58 Gesetze verabschiedet, für die das Justizministerium verantwortlich war. Zwischen 2014 und 2018 – also die Zeit, in der die Texte tatsächlich von Braz stammten – waren es 61 Gesetze.

Es gibt kein Land, in dem in einer Legistlaturperiode so viele sensible Gesellschaftsreformen durchgeführt wurden.“

In die Nähe des von Braz zitierten Verhältnisses vom Einfachen zum Doppelten kommt man nur, wenn großherzogliche Verordnungen und noch nicht beschlossene Texte eingerechnet werden. Zwölf Gesetzesprojekte liegen noch im Parlament zur Bearbeitung und wurden nicht mehr beschlossen vor dem Ende der Legislaturperiode.

Doch Felix Braz ist enorm stolz darauf, wie er sein Ministerium aufstellte. „Mir ging es um Effizienz und nicht um politisches Storytelling“, sagt er. Aus diesem Grund habe er auch keine Vertrauten ins Haus geholt, sondern mit jenen Beamten gearbeitet, die bereits da waren – „unabhängig von ihrer Parteikarte“.

Herausragende Gesellschaftsreformen

Felix Braz vermittelt den Eindruck eines Menschen, der sich etwas beweisen muss. Seine Pedanterie, wenn er Gesetzestexte vorstellt, ist unter Journalisten legendär. Ein Grund mag sein abgebrochenes Jura-Studium sein. Er beendete seine Studien an der Sorbonne nach dem ersten Jahr, als er bei RTL eine Sendung auf Portugiesisch übernahm.

Heute muss sich Felix Braz im Grunde aber nichts mehr beweisen. Gerade im ersten Jahr seiner Amtszeit brachte er wichtige Gesetze durch. Am 18. Juni 2014 beschloss das Parlament die Ehe für alle und die Öffnung der Adoption für gleichgeschlechtliche Paare. Es sei eine Reform, auf die viele Menschen lange gewartet hätten, so Braz. Er freute sich über eine „sachliche Debatte, von wenigen Ausrutschern abgesehen“. Das sei keine Selbstverständlichkeit, meint der grüne Minister mit Verweis auf die französische Debatte. Und er dankte explizit der katholischen Kirche für ihre moderate Haltung. Zum großen Konsens trug auch bei, dass Braz sich auf eine Vorlage der vorigen CSV-LSAP-Regierung stützte und der CSV-Abgeordnete Paul-Henri Meyers blieb Berichterstatter.

Sie haben die Karre in den Sand gesetzt und sind dann abgehauen.“Früherer Asti-Präsident Serge Kollwelter

Am 2. Dezember 2014 nahm das Parlament eine weitere wichtige Reform der Dreierkoalition an: Die Abtreibung verschwand aus dem Strafrecht und es gilt eine klare Fristenlösung. Zwar gab es dabei mehr Proteste mit aus dem Ausland angereisten Gegnern. Doch auch dieses Gesetz ging vergleichsweise ruhig über die Bühne. Braz wäre nicht Braz, wenn er nicht selbst diesen Erfolg herausstreichen würde: „Es gibt kein Land, in dem in einer Legistlaturperiode so viele sensible Gesellschaftsreformen durchgeführt wurden.“

Historisches Scheitern …

Es schien als ob der Dreierkoalition alles gelingt – egal wie historisch. Anfang 2015 steht das Abkommen mit den Glaubensgemeinschaften zur Trennung von Kirche und Staat. Doch dann kam der 7. Juni 2015.

„Et war eng riicht an d’Gladder“, sagte Premierminister Xavier Bettel im Live-Interview mit REPORTER. Die Ablehnung des Ausländerwahlrechts durch die inzwischen berühmten 80 Prozent war ein Desaster. Es wird auf Jahrzehnte das Demokratiedefizit zementieren – genau das Gegenteil von dem, wofür sich Felix Braz seit langem einsetzt.

100.000 Menschen können morgen ihren Antrag auf die Luxemburger Nationalität einreichen, wenn sie das wollen.“

Ein Grund für dieses historisches Scheitern war Übermut. Denn die CSV war zu einem Kompromiss bereit: Im Verfassungsentwurf stand ein Artikel, der es dem Parlament erlaubt hätte, das Ausländerwahlrecht zu einem späteren Zeitpunkt mit einer Zweidrittelmehrheit einzuführen. Doch die Koalition beharrte auf einem Referendum und die CSV kündigte den Kompromiss auf.

Felix Braz
Foto: Matic Zorman

„Eng Topegkeet“, kommentiert der langjährige Asti-Präsident Serge Kollwelter im Gespräch mit REPORTER. „Sie haben die Karre in den Sand gesetzt und sind dann abgehauen“, so Kollwelter über die Koalitionäre. Tatsächlich betont auch Felix Braz, dass sich außer Xavier Bettel und ihm niemand in der Regierung öffentlich und aktiv für ein „Ja“ einsetzte. Braz ist sich aber keiner Schuld bewusst. Die Bürger hätten vor allem der Regierung einen Denkzettel verpasst und würden das Ausländerwahlrecht einfach ablehnen.

… und langfristiger Gewinn

Die Frage nach dem Zusammenhalt der Gesellschaft und des Demokratiedefizits treibe ihn weiter um, so Braz. Das „Nein“ zum Einwohnerwahlrecht sieht er aber nicht als Ablehnung der Ausländer.

Gewissermaßen machte Felix Braz aus dem „Nein“ das Bestmögliche. Er nahm die CSV beim Wort und hinterlegte im März 2016 einen Gesetzesentwurf, der den Zugang zur Luxemburger Nationalität deutlich vereinfacht. Etwas mehr als ein Jahr später nahm das Parlament den von allen Parteien außer der ADR mitgetragenen Text an. Die langwierige Konsenssuche des Felix Braz machte sich bezahlt.

Das Gesetz erlaubt es unter Umständen hierzulande geborenen Ausländern ganz einfach Luxemburger zu werden. Der sogenannte „droit du sol“ war in dieser Form noch vor wenigen Jahren undenkbar in Luxemburg. Und das ist nur einer der Fortschritte dieses Textes.

Das Gesetz wäre nicht so nuanciert, wenn ich nicht verantwortlich dafür gewesen wäre.“

„100.000 Menschen können morgen ihren Antrag auf die Luxemburger Nationalität einreichen, wenn sie das wollen“, sagt Braz und streicht die Bedeutung dieser Reform hervor. Trotzdem: Das Demokratiedefizit wird über die Nationalität nie völlig behoben werden. Dessen ist sich Braz bewusst.

Doch der Sohn portugiesischer Eltern kritisiert auch offen, dass so wenige ausländische Einwohner sich in die Listen für die Gemeindewahlen einschreiben. Als er durch das Land tingelte, um sein Nationalitätengesestz vorzustellen, habe er oft von Nicht-Luxemburgern gehört, es brauche unbedingt ein Ausländerwahlrecht bei den Nationalwahlen. Auch von jenen, die nie auf kommunaler Ebene gewählt haben. „Woher nehmt ihr die Freiheit, Forderungen zu stellen, wenn ihr diesen Schritt nicht macht?“, fragte Braz sie.

Niemand kann es besser als Braz, sagt Felix

Oft hat Braz seine ganz eigene Sicht auf die Welt. Sätze wie „das Anti-Terror-Gesetz trägt ganz klar eine grüne Handschrift“ hätten einem Grünen in den 1980er Jahren wohl einen Parteiausschluss und Ächtung auf Lebenszeit eingehandelt. Für Braz ist das jedoch kein Widerspruch.

Das herausragende Beispiel hierfür ist das „Vermummungsgesetz“. Anfangs wehrte die Dreierkoaliton sich gegen die Forderungen der CSV und ADR nach einem „Burka-Verbot“. Doch im November 2016 übte sich der LSAP-Präsident Claude Haagen in Populismus und fischte am rechten Rand. Gerade eimal fünf Tage nach den Pariser Anschlägen sinnierte er über „die Grenzen der Religionsfreiheit“ und meinte damit die Vollverschleierung. Der sozialistische Arbeitsminister Nicolas Schmit legte im April 2016 nach.

Ein Gutachten des Staatsrates zeigte dann, dass das Vermummungsverbot in manchen Gemeinden keine ausreichende legale Basis bot und von Gerichten womöglich gekippt würde. „Ich wollte mit einem Gesetz auf nationaler Ebene verhindern, dass es zu Debatten in 102 Gemeinden kommt“. Solche Burka-Diskussionen hätten schädlich sein können, ist Braz überzeugt. Letztlich gilt das von ihm ausgearbeitete Vermummungsverbot in öffentlichen Orten wie etwa Verwaltungen oder Krankenhäusern.

Selbstzweifel plagen Braz nicht: „Das Gesetz wäre nicht so nuanciert, wenn ich nicht verantwortlich dafür gewesen wäre.“ Das ist seine Überzeugung auch für andere Dossiers wie etwa das Anti-Terror-Gesetz. Dass ein grüner Justizminister fundamental gegen solche Einschränkungen der Grundrechte sein und sich gegen den Sicherheitswahn stellen müsste – das ist ein Gedanke, der Felix Braz fremd ist. Er lässt Journalisten regelmäßig verzweifeln, wenn er darauf beharrt, er habe seine Meinung beim Burka-Verbot nie geändert.

„Der Justizminister kann keine Parteipolitik betreiben“

Seine Kompromissbereitschaft war für die eigene Partei oft eine Zumutung. Déi Gréng stützten die Position von Felix Braz mit einem Kongressbeschluss zum Burka-Streit – allerdings unter Zähneknirschen. Braz nahm Schaden für seine eigene Partei in Kauf, um den populistischen Spielchen der LSAP zu genügen. Doch die Koalitionspartner dankten ihm das nicht.

Die LSAP setzte Rifkin-Prozess, Burka-Debatte und „Space Mining“ durch, obwohl davon nichts im Regierungsprogramm stand. Die Grünen hielten sich dagegen strikt an das Abkommen, ließen sich in den Debatten über die Steuerreform abhängen und setzten dabei quasi nichts von den eigenen Forderungen durch.

Ich ziehe keine rote Linien. Ich halte nicht viel davon zu sagen, dies und das ist nicht verhandelbar.“

Das hat auch mit Braz zu tun. Er sollte das „grüne Aushängeschild in der Regierung sein“, sagt er selbst. Doch gleichzeitig betont er: „Der Justizminister kann keine Parteipolitik betreiben.“ Als Minister müsse er das Erscheinungsbild einer unabhängigen Justiz wahren und könne nicht jedes Thema kommentieren.

Doch Braz gibt zu, dass beide Rollen – wie er sie versteht – schlecht zueinander passen. „Das war nicht einfach“, sagt er. Trotz der Freundschaft, die ihn mit Etienne Schneider und Xavier Bettel verbindet.

Braz hätte es allerdings auch anders machen können. Die deutsche Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) etwa zögert selten, zu einem Thema Stellung zu beziehen. Auch ihr Vorgänger im Amt, der heutige Außenminister Heiko Maas, verteidigte SPD-Anliegen offensiv in der Öffentlichkeit.

Pragmatisch bis zur Selbstaufgabe

Was niemand Felix Braz nehmen kann: Er hat eine Reihe von progressiven Gesellschaftsreformen umgesetzt. Mit der Ehe für alle oder der möglichen simplen Änderung des Geschlechts und des Namens im Personenstandsregister für transsexuelle Personen hat er das Leben zahlreicher Menschen ein Stück einfacher gemacht.

„Es sind wichtige Reformen“, sagt er. Doch dann kommt ihm sein Politikverständnis in die Quere und er setzt sein eigenes Erbe aufs Spiel. Premierminister Xavier Bettel verteidigt die Arbeit von Braz leidenschaftlich und warnt, dass die DP kein Koalitionsabkommen mit der CSV unterzeichnet, das diese Errungenschaften infrage stellt. Nicht so Braz: „Ich ziehe keine rote Linien. Ich halte nicht viel davon zu sagen, dies und das ist nicht verhandelbar“, sagt er, wenn er auf Bettels Festlegung angesprochen wird.

Wie weit geht der Pragmatismus des Felix Braz? „Unter dem Strich muss man genügend Substanz haben, um zu sagen, das ist es wert.“ Man kann ihm nur wünschen, dass es die CSV nicht darauf ankommen lässt.