Das Referendum vom 7. Juni 2015 jährt sich heute zum dritten Mal. Seitdem hat sich das politische Klima im Land merklich verschlechtert. Daran tragen die etablierten Parteien eine Mitschuld. Ein Kommentar.
80,87 Prozent. 78,02 Prozent. 69,93 Prozent: Das sind die Zahlen, die aus Regierungssicht das Debakel des Referendums von 2015 verdeutlichen. Die klare Ablehnung der drei von der Dreierkoalition zur Abstimmung gestellten Fragen steht für die Ewigkeit. Das Wahlrecht ab 16 Jahren, das Wahlrecht für Nicht-Luxemburger bei Parlamentswahlen und die Beschränkung der Mandatsperiode von Ministern sind damit vom Tisch und werden es auf Jahre hin bleiben. Das sind aber nur die offensichtlichsten Folgen der damaligen Volksbefragung.
Schwerer wiegt die mit dem Referendum eingesetzte Verschlechterung des politischen Klimas. Vor allem mit der Frage des Ausländerwahlrechts hat die Regierung Geister gerufen, die das ganze Land nicht mehr so schnell los wird. Damit sind nicht die fast 80 Prozent der Wahlberechtigten gemeint, die aus wohl überlegten und unterschiedlichsten Gründen bei dieser Frage mit Nein gestimmt haben. Gemeint sind vielmehr die nationalidentitären Trittbrettfahrer, die sich nicht nur leidenschaftlich für das Nein eingesetzt haben, sondern bis heute die Mehrheit des Wahlvolkes für ihre ebenso durchsichtige wie rückständige Agenda in politische Geiselhaft nehmen.
Die Folgen des „80-Prozent“-Diskurses
Ohne das Referendum gäbe es diese Bewegung in Luxemburg in dieser Form nicht. Ohne die Art und Weise, wie die Kampagne im Vorfeld der Abstimmung geführt wurde, gäbe es auch weitaus weniger Argumente für die sogenannte Kluft zwischen „Volk“ und „Elite“. Denn in dem einen Punkt haben die Referendumsprofiteure nicht ganz Unrecht. Nur weil sich eine überwältigende Koalition aus Regierung, Medien, Unternehmern, Gewerkschaften, Kirchen und Kulturschaffenden für das Ausländerwahlrecht ausgesprochen hatten und das wahlberechtigte Volk dennoch anders entschied, konnte der Mythos der vernachlässigten, sich gegen das Establishment aufbäumenden „80 Prozent“ entstehen.
Im Rückblick ist aber ebenso klar: Nur durch die Polarisierung der Referendumskampagne gibt es jene Bewegung, die sich die „politische Mitte“ nennt und der Öffentlichkeit bei jeder Gelegenheit vorgaukelt, dass sie, ja nur sie diese „80 Prozent“ vertrete. Ihre Forderung: Luxemburg den Luxemburgern. Oder zumindest: „Luxembourg first“. Damit trifft sie zwar bei einigen Menschen im Land durchaus einen Nerv. Doch letztlich hat sie mit ihren rückwärtsgewandten Parolen den politischen Diskurs zum Teil schon vereinnahmt. Siehe etwa die Debatte um die Förderung der luxemburgischen Sprache – ein durchaus legitimes Anliegen, das allerdings vor dem Referendum von manchen Aktivisten bei weitem nicht so emotional und verbittert angeführt wurde wie heute.
Die Veränderung der politischen Kultur
Letztlich verändert diese Dauerpolarisierung die politische Kultur und behindert den gesellschaftlichen Fortschritt. Und genau darum ging es der regierenden Koalition aus DP, LSAP und Grünen eigentlich. Sie wollte die Erneuerung und hatte eine progressive Vorstellung der Weiterentwicklung der luxemburgischen Demokratie. Doch sie erreichten bis zu einem gewissen Grad das Gegenteil, nämlich die Rückkehr zu alten Reflexen und neuen ideologischen Fronten.
Nun kann man einwenden, dass das Referendum nur ein Ventil für etwas war, das ohnehin in der Gesellschaft schlummerte. Das Referendum an sich war vielleicht nicht das Problem. Nüchtern betrachtet hat Blau-Rot-Grün sogar dazu beigetragen, dass die politischen Verhältnisse jetzt offen liegen – in gewisser Weise ein Akt der Transparenz. So sieht es auch der Premier. Xavier Bettel will in diesem Zusammenhang bis heute nicht wie andere Koalitionspolitiker von einem „Fehler“ oder von Versäumnissen sprechen.
Die Frage der politischen Verantwortung
Doch ganz aus der Verantwortung kann man die Regierungsparteien nicht lassen. Auch die Opposition nicht – doch ohne den Entschluss der Regierungsparteien wäre es nicht so weit gekommen. Sie haben die Abstimmung über die drei Fragen aus politischem Kalkül durchgedrückt. Sie haben die Debatte darüber halbherzig bis dilettantisch geführt. Sie haben es letztlich vermasselt.
Ursprünglich wollten sie die CSV in den umstrittenen verfassungsrelevanten Fragen der Kirchenfinanzierung und des Ausländerwahlrechts mit dem Referendum unter Druck setzen. Bei ersterer Frage ist die Rechnung aufgegangen, denn die größte Oppositionspartei ließ sich auf einen Deal ein, um die verpflichtende Finanzierung der Religionsgemeinschaften aus der Verfassung zu streichen. Bei letzterer Frage ging das Vorgehen der Koalition aber bekanntlich komplett nach hinten los.
Beides wird jedenfalls für diese Regierung in die Geschichte eingehen: Der historische Schritt hin zu einer Trennung von Kirche und Staat und das historische Versäumnis des Referendums vom 7. Juni 2015.