Die Allgemeinmediziner kommen in die Jahre. Ihr Altersdurchschnitt liegt in Luxemburg mittlerweile bei etwa 55 Jahren. Das zeigt: Wird nicht gehandelt, wird ein Mangel an Hausärzten entstehen. Die Politik will das Problem aber nur bedingt wahrhaben.
„Ich kenne zwar viele Leute, habe aber kaum Freunde.“ Dieser Satz stammt von einem Allgemeinmediziner aus Luxemburg. Er habe sein Privatleben praktisch für den Beruf aufgegeben – wie so viele seiner Generation, sagt der Mann, der nicht namentlich genannt werden will. Seine Praxis eröffnete er Anfang der 1980er Jahre, jetzt plant er seine Rente. Bis er die antreten kann, könnte es aber noch dauern. Erst einmal muss er jemanden finden, der seine Praxis übernehmen will. Und das ist alles andere als einfach.
Vor allem deshalb, weil in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren zwischen Ärzten seines Alters und jungen Praktizierenden eine Art Generationslücke entstanden ist. „In unserem Beruf sind zwei Punkte ausschlaggebend: Kompetenz und Einsatzbereitschaft“, sagt der Arzt. „Die nötige Kompetenz bringen die jungen Leute noch mit. Es fehlt aber an der Einsatzbereitschaft.“ Anders als für seine Generation, liege bei den „Jungen“ der Fokus nämlich nicht mehr auf dem Beruf, sondern auf Familie und Freizeit. „Sie wollen heute so wenig wie nötig arbeiten, aber so viel wie möglich verdienen.“
Es gelingt uns nicht, genügend Allgemeinmediziner auszubilden.“Dr. Guillaume Steichen, AMMD
Harte Worte. Das Problem ist allerdings bekannt. Jeder Hausarzt, der heute in Rente geht, muss eigentlich durch zwei ersetzt werden. Denn kaum jemand will heute noch 50 bis 60 Stunden pro Woche arbeiten. Das sagt nicht nur der Mediziner selbst, sondern auch Dr. Guillaume Steichen, Generalsekretär der Association des Médecins et Médecins Dentistes (AMMD).
Das große Nachwuchsproblem
„Die junge Generation will mehr Zeit für Familie, Freunde und Kinder. Sie ist nicht mehr dazu bereit, so zu arbeiten, wie es ihre Vorgänger getan haben – verständlicherweise“, sagt Steichen. Dadurch entsteht aber ein massives Problem: Arbeiten die jungen Ärzte weniger, werden automatisch mehr von ihnen gebraucht. Die sind aber, wenn denn überhaupt, nur schwer zu finden. Resultat: Ärztemangel.
Dass es in Luxemburg an Nachwuchs in der Allgemeinmedizin fehlt, steht für Steichen außer Frage. „Es gelingt uns nicht, genügend Allgemeinmediziner auszubilden“, sagt er. Viele Studenten würden lieber den Weg der Facharzt-Ausbildung gehen.
Warum das so ist, liegt auf der Hand: Sie werden besser bezahlt, haben feste Arbeitszeiten, sind oft in Kliniken angestellt, statt sich freischaffend auch noch um die Führung der eigenen Praxis kümmern zu müssen. All das, was Allgemeinmediziner in der Regel verwehrt bleibt. Zum Vergleich: Die CNS listet in ihrem Jahresbericht von 2017 1.159 Fachärzte auf – aber nur 517 Allgemeinmediziner.
„Alternde Mediziner“ als Befund
Hinzu kommt, dass die ältere Generation in den nächsten fünf bis zehn Jahren in Rente gehen wird. Tatsächlich geht aus einem Bericht der EU-Kommission hervor, dass im Jahr 2015 der Altersdurchschnitt der Allgemeinmediziner in Luxemburg bei 50 Jahren lag. Von „alternden Medizinern“ ist im Text die Rede. Steichen setzt den Altersdurchschnitt sogar noch etwas höher an und spricht heute von 55 Jahren.
Momentan haben wir noch keinen Ärztemangel in der Allgemeinmedizin. Wir wollen aber auch keinen bekommen.“Gesundheitsministerin Lydia Mutsch
Das zeigt auch eine Studie des Mediziners Dr. Marc Trierweiler. Er ist selbst Allgemeinmediziner in Luxemburg und hat die Lage seiner Kollegen im Jahr 2015 untersucht. Trierweiler spricht in seiner Analyse von 18 bis 20 Ärzten, die in Zukunft pro Jahr in Rente gehen werden. Dagegen werden seit 2004 „zwischen 12 und 14 Allgemeinmedizinern jährlich an der Universität Luxemburg ausgebildet“, heißt es. Das reiche aber nicht aus, um die ganzen Abgänge auffangen zu können. Wie viele Studenten noch aus dem Ausland hinzukommen, geht nicht aus der Studie hervor.
Das Gesundheitsministerium teilt hingegen mit, dass die Zahl an praktizierenden Allgemeinmedizinern zwischen 2010 und 2016 um 22 Prozent gestiegen sei. Ist das Problem demnach gar nicht so groß wie befürchtet?
Ministerium relativiert und beschwichtigt
Es sind nicht nur die Ärzte, die in Luxemburg altern. Auch die Bevölkerung wird größer und im Durchschnitt älter – und braucht immer mehr medizinische Pflege. Die Politik will die Problematik aber nur bedingt wahrhaben. Im Gespräch mit REPORTER sagt Gesundheitsministerin Lydia Mutsch (LSAP): „Momentan haben wir noch keinen Ärztemangel in der Allgemeinmedizin. Wir wollen aber auch keinen bekommen.“ Deshalb müsse der Beruf weiterhin gefördert werden.
Fakt ist: Die Seite eSanté des Gesundheitsministeriums listet aktuell insgesamt 542 Allgemeinmediziner in Luxemburg auf – bei einer Bevölkerung von 602.005 Einwohnern. Die CNS wiederum spricht in ihrem Jahresbericht von 2017 von 517 Allgemeinmedizinern.
In der Realität sind es aber viel weniger. Zunächst einmal unterscheiden sich die Zahlen von CNS und Ministerium deshalb, weil beide Verwaltungen Allgemeinmediziner nach unterschiedlichen Kriterien einstufen. Das Gesundheitsministerium zählt alle Ärzte auf, die eine Zulassung in Luxemburg („Autorisation médicale“) haben – auch, wenn sie gar nicht mehr praktizieren. Die CNS all diejenigen, die beruflich aktiv sind. Darunter fallen allerdings auch Mediziner, die in Krankenhäusern angestellt sind, als Betriebsarzt arbeiten oder in der Forschung – also nicht nur Freiberufler.
Wer will aufs Land?
Die öffentlich zugänglichen Zahlen vermitteln demnach ein falsches Bild der eigentlichen Situation. Das belegt auch eine Studie von Dr. Trierweiler. Daraus geht hervor, dass tatsächlich ein Viertel der Allgemeinmediziner weniger als zehn Prozent der Arbeit übernehmen. Im Umkehrschluss: 90 Prozent der Arbeit wird von rund 400 Allgemeinmedizinern geleistet.
Um diejenigen ausfindig zu machen, die „wirksam“ arbeiten, müsste man erst einmal alle herausfiltern, die nicht freiberuflich in einer Praxis arbeiten oder pro Jahr nur ein Minimum an medizinischen Akten verschreiben, um weiterhin bei der CNS als Arzt gemeldet zu bleiben.
Schwierig ist auch, wie die Ärzte demographisch verteilt sind. Im ländlichen Raum sind die Praxen teilweise nur spärlich gesät – allerdings gibt es dort häufig auch eine geringere Bevölkerungsdichte. Im Kanton Wiltz gibt es elf Hausärzte für 16.449 Einwohner – das sind 1.495 Personen pro Arzt. Im Kanton Luxemburg sind es 197 bei 179.369 Einwohnern, also ein Arzt pro 910 Einwohner. Vergleichsweise dramatisch ist hingegen die Situation im Kanton Vianden: dort gibt es einen praktizierenden Arzt für die Bevölkerung von 5.162 Personen.
Prämien für Absolventen
Wie kann das Problem also gelöst werden? Lydia Mutsch verweist darauf, dass der Medizinstudiengang 2020 in Luxemburg von einem auf drei Jahre ausgeweitet wird. Bisher konnten Studierende nur das erste Jahr ihrer Ausbildung hierzulande absolvieren. Danach mussten sie sich einen Platz im Ausland suchen. Einige Plätze sind bei Partneruniversitäten für luxemburgische Studierende reserviert. Alle, die keinen dieser Plätze bekommen, müssen sich aber selbst auf die Suche nach einer Universität machen. Trotz Bachelorstudiengang bleibt das Problem demnach für die Studenten aber das gleiche: Denn auch nach den drei Jahren an der Luxemburger Universität werden sie ihre Ausbildung im Ausland fortsetzen müssen. Und wer weiß schon, ob sie danach zurückkommen?
Die Ministerin legt aber zwei weitere Punkte dar, die Studenten dazu motivieren könnten, eine Laufbahn als Allgemeinmediziner anzustreben: Einerseits soll es künftig finanzielle Anreize für Berufseinsteiger in den Sparten der Allgemeinmedizin, der Onkologie und der Neurologie geben. Wie diese Stütze aber aussehen soll, steht noch nicht fest. Momentan bekommen Berufseinsteiger, die ihre Ausbildung zum Allgemeinmediziner nach dem Studium in Luxemburg absolvieren, einen Zuschuss von 2.500 Euro.
Gemeinschaftspraxen als Lösung?
Auch das Konzept der Gemeinschaftspraxen soll gefördert werden. Damit könnte man nicht nur im ländlichen Raum Ressourcen gut bündeln und dort eine bessere und flexiblere medizinische Versorgung garantieren – auch die Ärzte selbst könnten sich ihre Schichten flexibler einteilen.
Und wer sich für eine Gemeinschaftspraxis entscheidet, soll dabei entlohnt werden. Ein Startkapital mit einem Zuschuss von 10.000 Euro winkt für diejenigen, die sich mit anderen zusammentun. Die CNS soll außerdem für jede abgehaltene Sprechstunde in Gemeinschaftspraxen einen kleinen Betrag übernehmen. „Es braucht schon einen finanziellen Anreiz, damit die Ärzte sich auf das Projekt einlassen“, argumentiert Guillaume Steichen. AMMD und Gesundheitsministerium sind sich bereits einig, nur die CNS muss dem Projekt noch zustimmen.
Auch die unterschiedlichen Parteien wollen das Konzept der Gemeinschaftspraxen fördern – so steht es zumindest in ihren Wahlprogrammen. CSV will, dass sie „regional vernetzt“, die Grünen, dass sie 24 Stunden am Tag geöffnet sind. LSAP will sie fördern, damit sie unter anderem die Notaufnahmen entlasten. Und während CSV, LSAP und Déi Gréng nicht weiter erklären, wie sie diese Forderungen umsetzen wollen, will sich die DP für einen „finanziellen Anreiz“ bei der Gründung von Gemeinschaftspraxen stark machen.
Das Sprachproblem
Guillaume Steichen plädiert seinerseits dafür, das Luxemburger System auch für Ausländer attraktiv zu gestalten. „Wir sind auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen. Wenn wir gute Ärzte anziehen wollen, dann muss Luxemburg für sie auch ein attraktiver Standort sein.“ Eben durch ein gutes Gehalt und flexible Arbeitszeiten.
Bei Medizinern aus dem Ausland bleibt aber ein Problem bestehen – die Sprache. Denn der Hausarzt ist erster Ansprechpartner für die Patienten, er ist eine Bezugs- und Vertrauensperson. Gerade zwischen ihm und seinen Patienten scheint die Kommunikation deshalb besonders wichtig. Erst danach kommt, wenn nötig, ein Facharzt ins Spiel. Laut CNS suchen Patienten 2,9 Mal pro Jahr ihren Hausarzt auf.
Für unseren Protagonisten ist klar: Die Menschen wünschen sich, dass der Hausarzt immer erreichbar ist. Dabei hat er immer mehr zu tun, immer mehr Patienten. „Und wenn es dann auch noch an jungen Ärzten fehlt, die nachrücken, dann geht die Rechnung natürlich nicht mehr auf.“