In den USA wollen die Republikaner das Recht auf Abtreibung aushebeln. In einigen Bundesstaaten sind Abtreibungen schon jetzt mit enormen Strapazen für die Patientinnen verbunden. Ein Ortsbesuch im Pink House, der letzten Klinik für Schwangerschaftsabbrüche im Bundesstaat Mississippi.
Amerika befindet sich im Kriegszustand, nicht gegen ein feindliches Regime oder eine Terrorgruppe, sondern gegen die eigene weibliche Bevölkerung. Ein „War on Women“ breite sich im Land aus, hieß es vergangene Woche bei den vielen Protestmärchen, die durch die Straßen der USA zogen und das Recht auf weibliche Selbstbestimmung verteidigten.
Genau dieses sehen viele Frauen nämlich stark gefährdet, nach dem Doppelschlag der Republikaner gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. Anfang Mai unterzeichnete der Gouverneur des Bundesstaats Georgia das „Fetal Heartbeat“-Gesetz, das Abtreibungen nach dem angeblichen Einsetzen des embryonalen Herzschlags in Woche sechs verbietet und durch das daraus entstehende enge Zeitfenster einen Schwangerschaftsabbruch quasi unmöglich macht. Nur eine Woche später wurde im Nachbarstaat Alabama ein noch restriktiveres Gesetz unterzeichnet, das nicht einmal Inzest oder eine Vergewaltigung als legitimen Grund für eine Abtreibung toleriert. Ein Paukenschlag, der sich schon lange angekündigt hatte.
Republikaner verschärfen Kampf gegen Abtreibung
Nicht erst seit Donald Trump das Amt des Präsidenten bekleidet, ist die Autonomie der Frau gesellschaftliche Verhandlungssache und Debattenfokus. Gerade im konservativen Bibelgürtel der USA, der sich über die Südstaaten und Hochburgen des evangelikalen Protestantismus erstreckt, ist das Thema Abtreibung seit Jahrzehnten emotional umkämpft. Im Fokus steht dabei eine Grundsatzentscheidung des Obersten Gerichts von 1973. Damals urteilten die Richter im Fall Roe vs. Wade, dass Frauen mindestens bis zum Zeitpunkt, an dem der Fötus lebensfähig ist, ein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch haben.
Hier geht es nicht nur um die Babies, hier geht es um Dominanz über den weiblichen Körper.“Kim Gibson, „Pro Choice“-Aktivistin
Immer wieder gab es Bestrebungen das Urteil zu kippen, bisher ohne Erfolg. Doch das, so hoffen es die Abtreibungsgegner, könnte sich schon bald ändern. Die aktuelle Gesetzesoffensive der Republikaner ist der Versuch, das Thema wieder vor das Oberste Gericht zu bringen und eine Rückabwicklung der Frauenrechte zu erzwingen.
Die Gesetze in Georgia und Alabama, genau wie ähnliche Bestrebungen in Arkansas, Louisiana, Ohio und anderen Bundesstaaten, stehen im Konflikt mit Roe vs. Wade und könnten deshalb bewirken, dass der Supreme Court sich erneut mit dem Urteil befasst. Durch die zwei Richter Nominierungen von Donald Trump, gibt es derzeit ein fünf-zu-vier Mehrheitsverhältnis für die Konservativen am Obersten Gericht. Richter Clarence Thomas bezeichnete Roe vs. Wade im Februar gar als „gravierendste Fehlentscheidung in der Geschichte des Supreme Court“. Auch wenn es noch sehr viel Ungewissheit darüber gibt, wie das Gericht im Ernstfall abstimmen würde, spüren die Abtreibungsgegner, dass das Momentum auf ihrer Seite ist.
„Pro Life“-Bewegung wächst seit Trumps Wahlsieg
In „God’s own country“ ist die Gesellschaft tief gespalten, wenn es um Schwangerschaftsabbrüche geht. Umfragen zufolge, liegen Gegner und Befürworter etwa gleich auf. Während die Mehrheit der Amerikaner es aber bei der privaten Meinungsäußerung belässt, setzt sich eine kleine aber enorm mächtige Gruppe gegen Schwangerschaftsabbrüche zur Wehr.
Ultrakonservative Republikaner und radikale Christen führen die „Pro Life“ Bewegung an, die mit Donald Trump auch den Präsidenten auf ihrer Seite hat. Die Bewegung ist ein wesentlicher Bestandteil der Trump-Koalition im Volk und erhält seit seinem Wahlerfolg mächtig Zuwachs. Für sie ist der Rechtsruck der Politik ein Zeichen dafür, dass ihr langjähriger Protest endlich bis zu den Hebeln der Macht durchgedrungen ist.
Schon jetzt sind viele Bundesstaaten fest in der Hand dieser konservativen Koalition und stemmen sich gegen die liberale Agenda der Demokraten. Gesetze wie sie in Georgia und Alabama erlassen wurden, sind in fast allen republikanischen Staaten zu finden und haben Abtreibungen für viele Patientinnen zum Spießrutenlauf gemacht. Enorme Kosten, gesellschaftliche Stigmatisierung und begrenzter Zugang zu Abtreibungskliniken, sind nur einige der Hürden, die Frauen in den Südstaaten überwinden müssen. In sechs Bundesstaaten gibt es sogar nur noch eine Klinik, in der Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen werden, so zum Beispiel in Mississippi. Auch hier wurde ein „Fetal Heartbeat“-Gesetz umgesetzt.
Eine Klinik für drei Millionen Einwohner
In der Bundeshauptstadt Jackson liegt das „Pink House“, in dem die Jackson Women’s Health Organization denen Frauen hilft, die sich für einen Abbruch ihrer Schwangerschaft entscheiden. Viele von ihnen müssen für den Eingriff hunderte Kilometer zurücklegen. Bei drei Millionen Einwohnern im Bundesstaat ist das Pink House ihre einzige Option. Viele Patientinnen kommen aus den Nachbarstaaten, in denen es auch nur noch sehr wenige Kliniken gibt, die einen Abbruch durchführen.

Immer wieder hat die lokale Politik versucht mit sogenannten „TRAP laws“, also Regulierungen zur Flurbreite oder Türanzahl in solchen Kliniken, das Pink House in die Schließung zu treiben und ein Abtreibungsverbot durch die Hintertür zu erzwingen. Solche Einschüchterungsversuche sind für die Klinik Alltag. Nicht nur in Form von Gesetzen und Verordnungen, sondern auch persönlichen Anfeindungen. Die Ärzte des Pink House werden aus anderen Bundesstaaten eingeflogen, weil kein Arzt in Mississippi den Eingriff vornehmen und sich den „Antis“ aussetzen will.
An jedem Tag, an dem die Klinik Patientinnen behandelt, versammeln sich die Abtreibungsgegner vor dem Pink House und protestieren gegen das „Geschäft mit dem Tod“, wie sie es nennen. Kim Gibson stellt sich Ihnen entgegen und eskortiert die Patientinnen auf dem Weg vom Auto in die Klinik. „Das hat nichts mit Protest zu tun“, sagt Kim mit Blick auf die Gruppe, die sich um die Patientinnen schart und sie von der „Tötung Unschuldiger“ abbringen wollen. „Wer Frauen auf ihrem Weg zum Arzt belästigt und sie als Mörderin bezeichnet, protestiert nicht, sondern schikaniert und deshalb müssen wir leider hier sein – um diese Frauen zu beschützen.“
„Wir sind die erste Verteidigungslinie“
Kim wuchs in Mississippi auf, der „Drittwelt-Theokratie“, wie sie es nennt, und engagiert sich seit Jahren für das Recht auf Abtreibung. Die Wahl von Donald Trump war für sie jedoch ein Wendepunkt: „Danach war vieles anders, auf einmal fühlten sich die Abtreibungsgegner bestätigt und hatten die höchste politische Autorität auf ihrer Seite“. Kim sagt, ihr freiwilliges Engagement bei der Klinik helfe ihr die Missstände in ihrer Heimat besser zu verarbeiten. „Hier geht es nicht nur um die Babies, hier geht es um Dominanz über den weiblichen Körper. Und dieser Kampf reicht von diesem Bürgersteig bis zum Obersten Gericht. Wir sind die erste Verteidigungslinie.“
Wir, das sind Kim und die anderen „Escorts“, die sich ehrenamtlich für die Sicherheit der Patientinnen einsetzen. Einige von Ihnen fahren drei Stunden zur Klinik, andere kommen morgens um sieben Uhr nach einer langen Nachtschicht. Es ist eine kräftezehrende Arbeit, denn meist sind die „Antis“ in deutlicher Überzahl und versuchen alles, um die Frauen zum Umdenken zu bringen.
Niemand hat weniger Kraft als ein ungeborenes Kind, deshalb müssen wir uns für es einsetzen, so will es Gott.“Coleman Boyd, „Pro Life“-Aktivist
Sie nennen sich „sidewalk counsellors“, sagen, dass sie nur hier sind, um den Frauen Beistand zu leisten, für sie zu beten und sie über ihre Alternativen zu informieren. Sie tragen Flugblätter zum Thema Adoption mit sich und verweisen an die sogenannten „Crisis Pregnancy Centers“. Diese privaten Einrichtungen sollen den Frauen während und nach der Geburt helfen, sie finanziell unterstützen und psychologisch betreuen. Mittlerweile gibt es in den USA doppelt so viele CPCs wie Abtreibungskliniken, die meisten werden von den Bundesstaaten heimlich mitfinanziert und von Abtreibungsgegnern geführt. „Leere Versprechen der Pro-Life Lobby“, meint Kim, „in Wahrheit bist du ihnen nach der Geburt komplett egal, es geht ihnen nur darum die Abtreibung zu verhindern, nicht um die Mütter.“
Zwei Weltbilder auf Kollisionskurs
Coleman Boyd kommt laut eigener Aussage seit über zehn Jahren zum Pink House, meistens mit seiner Frau und zwölf Kindern. Er ist eine Führungsfigur der „Operation Save America“, wie sich die Gruppe der Abtreibungsgegner nennt. „Niemand hat weniger Kraft als ein ungeborenes Kind, deshalb müssen wir uns für es einsetzen, so will es Gott“, sagt Boyd in pastoralem Ton. „Natürlich hat eine Frau das Recht über ihren Uterus zu entscheiden, sie kann auf Sex verzichten. Aber wenn in ihr neues Leben erwächst, dann verliert sie die Autonomie über ihren Körper.“

Coleman , auf dessen T-Shirt die Sätze „Evolution is a myth“ und „Homosexuality is a sin“ prangen, ist im Namen Gottes hier, wie er sagt. Er will die Frauen vor den „Lügen“ warnen, die ihnen in der Klinik erzählt werden und die „das Schlachten vereinfachen sollen“. Ob er Mitleid für die Frauen empfinde? Nein, denn er könne Mörder nicht unterstützen, wenn sie sich gegen die Adoption und für den Abbruch entscheiden. „Sie würden doch auch aufschreien, wenn ich meinen Sohn hier auf offener Straße umbringen würde“, bekräftigt Coleman mit einem Lächeln.
Was Coleman und Kim eint, ist ihr unermüdlicher Einsatz und der Glaube an die Richtigkeit des eigenen Handelns. Hier, auf dem Bürgersteig vor dem Pink House, kollidieren zwei Weltbilder und zwei Auffassungen davon, wie viel Autonomie eine Frau über ihren eigenen Körper haben darf. Bisher schützte das Gesetz die weibliche Selbstbestimmung, doch Zufluchtsorte wie das Pink House könnten zukünftig noch mehr unter Beschuss geraten. Kim sagt, sie fühle sich nicht hilflos, allenfalls ein wenig hoffnungslos. „Ich will das hier nicht machen, ich könnte auch in Kalifornien in der Sonne liegen, aber ich muss. Das bin ich mir und den Frauen schuldig“.