Der Westen verurteilt Russlands Angriffskrieg in der Ukraine und will Moskau dafür dauerhaft bestrafen. In anderen Regionen sieht man den Konflikt jedoch weitaus pragmatischer. Warum so viele Staaten der Welt es sich mit Russland nicht verderben wollen.

Ein Originaltext aus dem „Economist“ *

Als die Führer der beiden größten Demokratien der Welt am 11. April ein virtuelles Treffen abhielten, zitierte Indiens Premierminister Narendra Modi (Nr. 1) beifällig den US-Präsidenten Joe Biden (Nr. 2): „Demokratien können liefern“, erklärte Modi. Als es jedoch um den Krieg in der Ukraine ging, erfuhr man nicht, was die Demokratien denn liefern sollten. Beide Staatsmänner bedauerten das Leid, das ukrainischen Zivilisten zugefügt wird. Während Biden keinen Zweifel daran ließ, wen er für dieses Elend verantwortlich macht, klang Modi nicht so überzeugt. Statt mit dem Finger auf Russland zu zeigen, forderte er eine „unabhängige Untersuchung“ der Gräueltaten, die aus der ukrainischen Stadt Butscha berichtet werden.

Indien ist vielleicht der unbequemste der Staaten, die sich der Kampagne des Westens, Russlands Präsidenten Wladimir Putin für den Überfall auf die Ukraine zu bestrafen, bewusst verweigern. Aber Indien steht damit nicht allein. In Asien, dem Nahen Osten, Afrika und Lateinamerika lehnen sogar langjährige Verbündete und Partner der USA deren Ersuchen ab, Sanktionen gegen Russland zu verhängen oder das Land zumindest zu tadeln.

Nur wenige Länder waren dabei so unverfroren wie Pakistan, das unter seinem – inzwischen gestürzten – Premierminister Imran Khan ein Handelsabkommen mit Russland unterzeichnete, kurz nachdem die Vereinten Nationen am 2. März in einer Resolution die Invasion verurteilt und den Rückzug Russlands gefordert hatten. Viele Staaten unterlassen es, Russland offen zu kritisieren oder zu bestrafen, was auf Handelsvereinbarungen, ideologische Verpflichtungen, strategische Ziele oder bloße Furcht zurückzuführen ist.

Realpolitik und andere Prioritäten

So hat etwa die Türkei wirtschaftliche Gründe, sich zurückzuhalten, weil sie 45 Prozent ihres Erdgases aus Russland bezieht, aber außerdem sind auch türkische Staatsbürger durch den Krieg bedroht. Am 13. März hat der türkische Außenminister mitgeteilt, er verhandele derzeit mit Russland darüber, Dutzende von türkischen Staatsbürgern aus der ukrainischen Stadt Mariupol, die von russischen Bomben in Schutt und Asche gelegt wurde, zu evakuieren. Einen Monat später sitzen immer noch viele dort fest.

Indien hat seinerseits mehrere Gründe, sich Russland nicht zum Feind zu machen: seine Tradition der Neutralität in weltweiten Konflikten, seine strategische Priorität, China die Stirn zu bieten, seine Abhängigkeit von russischen Rüstungsgütern. Als weiteres Motiv für die Neutralität könnte gerade das demokratische Prinzip gelten, denn es kommt bei der einheimischen Bevölkerung gut an, wenn man „den Löwen am Schwanz zieht“, das heißt, wenn man die USA oder Großbritannien ärgern kann.

Aus all diesen Gründen wird die Frage, warum Indien bei dieser demokratischen Initiative die USA nicht unterstützt, von hohen Regierungsbeamten, die die Außenpolitik gestalten, mit zynischer Verachtung kommentiert. Es ist schwierig zu beurteilen, inwieweit die Länder, die gegen eine Isolierung Russlands sind, das vom Westen organisierte Sanktionssystem unterlaufen könnten. Insgesamt gesehen, dürften die 40 Staaten, die gegen die UN-Resolution zur Verurteilung der Invasion gestimmt oder sich der Stimme enthalten haben, vermutlich geopolitisch bedeutsamer sein als in wirtschaftlicher Hinsicht. Zusammen stehen sie für ein Viertel des weltweiten BIP und 20% der weltweiten Exporte. Allerdings sind sie für die russische Wirtschaft nicht besonders wichtig. Ihr mittleres Pro-Kopf-BIP beträgt etwa ein Drittel des globalen Durchschnitts, das heißt, ihre Nachfrage dürfte nicht mehr als ein Viertel der russischen Exporte betreffen, die sie bereits jetzt beziehen. Außerdem sind sie nicht imstande, die hochentwickelten Güter und Dienstleistungen zu liefern, die Russland bisher aus dem Westen bezog.

Wir haben es hier überwiegend mit etwas zu tun, was man als geopolitischen Whataboutismus bezeichnen könnte.“Richard Gowan, „International Crisis Group“

Auf den ersten Blick hat Russland einige einsame Wochen bei den Vereinten Nationen erlebt. Die Invasion widersprach dem Grundprinzip der Organisation – „Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder“, wie es in der Charta heißt – so eklatant, dass die Staaten nicht nur die erste Resolution unterstützten, sondern auch eine zweite, in der Russland wegen der Bedrohung von Zivilisten getadelt wurde. Die erste Resolution wurde von 141 der 193 Mitgliedstaaten unterstützt, die zweite von 140. Vergangene Woche gingen die Mitglieder der UN über eine bloße Ermahnung hinaus, indem sie Russland aus dem Menschenrechtsrat ausschlossen. Dies war erst das zweite Mal, dass ein Land ausgeschlossen wurde (nach Libyen 2011), und zum ersten Mal traf es ein Mitglied des Sicherheitsrates. Russland, das vor der Abstimmung gewarnt hatte, dass es sogar eine Stimmenthaltung als unfreundlichen Akt betrachten würde, erklärte danach seinen Austritt aus dem Rat. „Man kann doch nicht seinen Austritt aus dem Rat erklären, nachdem man bereits ausgeschlossen wurde“, bemerkte dazu der Botschafter der Ukraine, Sergey Kislitsa.

Hier war das Ergebnis der Abstimmung wesentlich enger, nämlich 93 zu 24 Stimmen, bei 58 Enthaltungen. In vielen Teilen der Welt sei die Unterstützung der Ukraine fragil, warnen Diplomaten; das gilt auch für die Stimmenthaltungen, die in Gegenstimmen umschlagen könnten. Eines der möglichen Motive für die Stimmenthaltung könnte sein, dass die Sanktionen gegen Russland die Preise für Nahrungsmittel und Energie steigern werden. Ein europäischer Diplomat fasste es so zusammen: „Zwei Elefanten kämpfen miteinander, und die Kleinen müssen darunter leiden.“ Und er fährt fort: „Von vielen Seiten wird immer wieder behauptet, in diesem Krieg seien die Sanktionen das Problem, nicht der Angreifer. Das müssen wir immer wieder zurückweisen, und es kommt von überall her, nicht nur von den Indiens und Pakistans dieser Welt.“

Ein ähnliches Argument besagt, der Westen konzentriere sich auf einen europäischen Konflikt, der nicht von wirklich globaler Bedeutung sei, während er Konflikte und Verstöße gegen die Menschenrechte in anderen Teilen der Welt bagatellisiere oder ignoriere. Für diese Kritiker ist eine selbstgerechte, inkonsequente Haltung in Fragen des Völkerrechts eine Spezialität der Großmächte. „Wir haben es hier überwiegend mit etwas zu tun, was man als geopolitischen Whataboutismus bezeichnen könnte“, sagt Richard Gowan von der Denkfabrik „International Crisis Group“ (ICG).

Kritik an heuchlerischem Westen

In den vergangenen Jahren haben die mangelnde Bereitschaft der reichen Länder, in die Bekämpfung des Klimawandels zu investieren, sowie die langsame und ungleiche Verteilung der Covid 19-Impfstoffe dazu geführt, dass die Bewegung der blockfreien Staaten, die im Kalten Krieg neutral blieben, wieder an Stärke gewonnen hat. „Ich habe in den letzten Jahren in den UN einen grundlegenden Trend beobachtet, wonach viele Länder der südlichen Welt immer häufiger gemeinsam auftreten, um Kritik am Westen zu äußern“, sagt Richard Gowan. „Diese Länder verspüren heute ein stärkeres Gefühl der Einigkeit und des gemeinsamen Ziels, als dies in den Zeiten des Kalten Krieges der Fall war.“

Vor allem im Nahen Osten und in der Türkei wird die Sorge des Westens um die Souveränität der Ukraine als eigennützig und heuchlerisch angesehen, was auch mit Amerikas Irakkrieg und der von der NATO geführten Bombardierung Libyens im Jahr 2011, durch die der Diktator Muammar al-Gaddafi gestürzt wurde, zu tun hat. Auch die freundliche Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge in Europa stößt auf Unverständnis, wenn man sie mit der Aufnahme der syrischen Flüchtlinge vergleicht. Diese Sichtweise ist unter den arabischen Staaten weit verbreitet. Überraschend ist nur das Ausmaß, in dem sogar Partner der USA sich zu diesem Vorgehen veranlasst sehen.

93 zu 24 Stimmen, bei 58 Enthaltungen: Erstmals wurde mit Russland ein Mitglied des Weltsicherheitsrates aus dem UN-Menschenrechtsrat ausgeschlossen. (Foto: UN Photo/Manuel Elías)

Einige Diplomaten waren überrascht, als sich der irakische UN-Botschafter zu der Resolution, mit der die Invasion verurteilt wurde, der Stimme enthielt, wobei er auf den „historischen Hintergrund“ seines Landes verwies – eine offensichtliche Anspielung auf die amerikanische Invasion, der er möglicherweise seinen Job verdankt. Sogar Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate (UAE) sahen mehr Kosten als Nutzen in der Unterstützung des Westens, obgleich sie nur schwache Verbindungen zu Russland haben. Sie wollen einem wichtigen Partner, der zusammen mit der OPEC die Erdölpreise hochgetrieben hat, nicht vor den Kopf stoßen. Außerdem sehen sie hier eine Möglichkeit, ein Signal zu senden. Sie wollen mehr Hilfe von Amerika bei den Problemen in ihrem Hinterhof, wie z.B. den Raketen- und Drohnenangriffen aus dem Jemen und den vom Iran unterstützten Milizen, die von Beirut bis Bagdad Chaos verbreiten. „Wenn ihr nicht für uns da seid, sind wir auch nicht für euch da“, wie ein arabischer Offizieller bemerkte. Im Nahen Osten haben nur Israel und Libyen für den Ausschluss Russlands aus dem Menschenrechtsrat gestimmt; die Stimmenthaltungen der Golfstaaten waren für westliche Diplomaten besonders enttäuschend.

Die russische Propaganda in der Region schürt den Groll gegen den Westen. Die staatlichen russischen Medien, wie zum Beispiel das arabische Programm des Netzwerks RT oder das türkische Programm von Sputnik, sind populär, und das Außenministerium verfügt über eine Reihe von Diplomaten, die im Gegensatz zu ihren westlichen Kollegen fließend Arabisch sprechen. „Jedes Mal, wenn ich den Fernseher einschalte, sehe ich einen Russen, der den Krieg rechtfertigt,“ sagt ein westlicher Botschafter in Jordanien. Während die großen arabischen Fernsehkanäle, die Reporter vor Ort in der Ukraine haben,  sich nicht scheuen, von den Schrecken des Krieges zu berichten, wird ihr Programm häufig von prorussischen oder antiwestlichen Meldungen unterbrochen. Letzten Monat brachte „Sky News Arabia“, das seinen Sitz in den UAE hat, eine Sendung darüber, wie „betrügerische“ westliche Länder versuchten, Wladimir Putin zu „dämonisieren“.

Die Freunde meines Feindes

Mit Ausnahme von notorischen Verbündeten Russlands wie Kuba, Nicaragua und Venezuela unterstützten die Länder Lateinamerikas die ersten beiden UN-Resolutionen, in denen Russland wegen des Krieges verurteilt wurde. Einige von ihnen, darunter Brasilien und Mexiko, schreckten jedoch davor zurück, Russland aus dem Menschenrechtsrat auszuschließen, und es besteht in der Region nur wenig Bereitschaft, sich dem Sanktionssystem anzuschließen. Sich vom Westen unabhängig zu zeigen, ist ein beliebtes Spiel in Lateinamerika, wobei einige Staaten versuchen, die Macht der USA in der westlichen Hemisphäre dadurch einzuschränken, dass sie „den roten Teppich für unsere Gegner ausrollen“, wie Benjamin Gedan von dem Think tank „Wilson Centre“ bemerkt. Anfang Februar bediente sich der argentinische Präsident Alberto Fernandez dieser Strategie, als er in Moskau mit Putin zu Mittag speiste, während die russischen Truppen für die Invasion in der Ukraine aufmarschierten. Im Hinblick auf den Weltwährungsfonds erklärte Präsident Fernandez bei dieser Gelegenheit: „Ich bin entschlossen, die Abhängigkeit Argentiniens von dem Fonds und den Vereinigten Staaten zu beenden. Wir müssen den Weg für andere Länder freimachen, und dabei kommt Russland eine sehr wichtige Rolle zu.“

Diese Länder wollen nicht erleben, dass Uncle Sam ihnen befiehlt, dies oder jenes zu tun, und sie sagen dann: Yes, sir.“Sergej Lawrow, russischer Außenminister

Seit der Invasion hat sich Russland nach Kräften bemüht, diese Haltung zu fördern. Ende März erklärte Außenminister Sergej Lawrow, bestimmte Länder „würden niemals das globale Dorf unter dem Kommando des amerikanischen Sheriffs akzeptieren“. Während er unter anderem Argentinien, Brasilien und Mexiko nannte, fuhr er fort: „Diese Länder wollen nicht erleben, dass Uncle Sam ihnen befiehlt, dies oder jenes zu tun, und sie sagen dann: Yes, sir.“ Am 5. April nahm Russland Argentinien in seine Liste der 52 „befreundeten Länder“ auf, mit denen es wieder Direktflüge durchführen will. Allerdings hat Argentinien als Vorsitzender des Menschenrechtsrates für den Ausschluss Russlands aus diesem Gremium gestimmt.

Brasiliens Präsident und starker Mann, Jair Bolsonaro, macht seinerseits kein Geheimnis daraus, dass er Putin und dessen „maskuline Eigenschaften“ bewundert. Auch Bolsonaro hat im Februar Moskau besucht, wobei er die Beziehungen zwischen beiden Ländern als eine „mehr als perfekte Ehe“ beschrieb. Offensichtlich ist es eine Ehe, die durch Dünger am Leben erhalten wird. Zwar hat auch Brasilien die Invasion verurteilt, doch Bolsonaro hat inzwischen erklärt, wegen der lebenswichtigen Bedeutung importierter Düngemittel für Brasilien, von denen über ein Fünftel aus Russland stammt, könne er die Beziehungen zu Russland nicht abbrechen. Jair Bolsonaro sagt nun, Brasilien werde in dem Konflikt neutral bleiben – ein Standpunkt, der dem seiner politischen Gegner und, wie Umfragen zeigen, auch dem der Öffentlichkeit entspricht. Auch Mexiko, das die Invasion verurteilt hat, verfolgt seit jeher eine Politik der Neutralität und der Nichteinmischung in Dinge, die sich weit außerhalb seiner Grenzen ereignen. Es kommt hinzu, dass Präsident Andres Manuel Lopez Obrador die Demokratie nicht so wichtig nimmt. Er ist auch seiner linksorientierten Partei verpflichtet, von der einige Mitglieder nach der Invasion eine Freundschaftsgruppe mit Russland gegründet haben.

Russische Sympathien in Afrika

In Afrika hat Russland die größte Sympathie gefunden. Fast die Hälfte der afrikanischen Länder – 25 von 54 – hat sich bei der ersten UN-Abstimmung der Stimme enthalten oder hat nicht an der Abstimmung teilgenommen. Wegen der kolonialistischen Vergangenheit lehnen es einige von ihnen ab, etwas zu unterstützen, das sie als Problem des Westens betrachten. Andere dagegen handeln aus zunehmender Verbundenheit mit Russland. Das gilt für Südafrika, die andere große Demokratie, die sich dem Aufruf des Westens zu einer einheitlichen Haltung verschlossen hat. Das Land hat sich bei allen UN-Abstimmungen der Stimme enthalten.

Im südlichen Afrika betrachten viele Länder Russland als Nachfolger der Sowjetunion, welche die Guerillabewegungen, die gegen Kolonialismus und Rassentrennung kämpften, bewaffnet und ausgebildet hatte. Diese Nostalgie erklärt zum Teil die Annäherung Südafrikas an Russland während der Präsidentschaft von Jacob Zuma von 2009 bis 2018. Die Beziehungen Südafrikas zum Westen wurden außerdem durch die Bombardierung Libyens belastet. Im Jahre 2015 veröffentlichten führende Mitglieder des „African National Congress“ eine außenpolitische Schrift, in der sie den Zusammenbruch der Sowjetunion beklagten, da dadurch „das Gleichgewicht der Kräfte völlig zugunsten des Imperialismus verändert“ worden sei. Damit waren die USA und der Westen gemeint.

Treffen der BRICS-Staaten im Juni 2019: Die Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine deuten durchaus auf eine Renaissance des Konzept der „blockfreien Staaten“ hin. (Foto: IMAGO / Russian Look)

Durch den Abgang von Präsident Zuma – er steht derzeit in einem Korruptionsprozess vor Gericht – wurde die Begeisterung des ANC für Russland nicht abgekühlt. Präsident Cyril Ramaphosa übernimmt Argumente des Kreml, wenn er erklärt, die NATO sei wegen ihrer Osterweiterung für den Konflikt verantwortlich. Außerdem kritisierte er die Sanktionen des Westens gegen Russland. Einer der Gründe dafür könnte finanzieller Natur sein. Obwohl der bilaterale Handel insgesamt unerheblich ist, ist Russland der zweitgrößte Markt für südafrikanische Äpfel und Birnen und der viertgrößte für Zitrusfrüchte. Sogar als unter russischer Flagge fahrende Schiffe von europäischen und amerikanischen Häfen abgewiesen wurden, konnte der Frachter „Wasily Golownin“ am 4. April in Kapstadt anlegen. Südafrika soll derzeit dabei sein, einen 2-Milliarden Dollar-Vertrag für Gaslieferungen von Gazprom, einem in Staatsbesitz befindlichen russischen Energiekonzern, auszuhandeln.

In anderen Teilen Afrikas ist der wachsende Einfluss Russlands darauf zurückzuführen, dass das Land Waffen verkauft oder Söldner entsendet. In fünf der 17 afrikanischen Länder, die sich bei der ersten UN-Abstimmung der Stimme enthielten, wurden russische Söldner festgestellt: Zentralafrikanische Republik, Madagaskar, Mali, Mosambik und Sudan. Viele weitere Stimmenthaltungen oder Nichtteilnahmen entfallen auf Käufer von russischen Waffen. Dazu gehören: Algerien, Angola, Sudan und Uganda, wie aus Untersuchungen des „Internationalen Instituts für Friedensforschung“, einem Stockholmer Think tank, hervorgeht. Eritrea, ein Gulag-Staat, gehört zu den fünf Ländern der Welt, die am 2. März für Russland gestimmt haben.

Mögliche Druckmittel des Westens

Im weiteren Verlauf des Konflikts wird sich der Westen zunehmend mit der Frage befassen müssen, wie entschlossen er seinen eigenen Einfluss einsetzen soll, um diese Abtrünnigen zu bekehren. Einigen Ländern könnte eine Gelegenheit geboten werden, um ihre Beziehungen zum Westen zu verbessern. Das könnte für Pakistan gelten, zumal Premierminister Khan nun durch ein Misstrauensvotum gestürzt wurde. Der Handel mit Russland ist für Pakistan bedeutungslos, und seine Streitkräfte, die dort das Sagen haben, zeigen Anzeichen von Unzufriedenheit wegen der starken und zunehmenden Abhängigkeit von China.

General Qamar Bajwa, der Stabschef der pakistanischen Armee, schlug kürzlich überraschend versöhnliche Töne gegenüber dem Westen an. In einer Rede vom 2. April legte er China nahe, seine Grenzstreitigkeiten mit Indien beizulegen, und sagte dann, die „Aggression“ der Ukraine durch Russland könne nicht geduldet und müsse „unverzüglich beendet“ werden. Er bemerkte weiter, dass der Krieg zeige, wie sich ein kleineres Land durch starke Moral und den geschickten Einsatz von einfacher Technologie verteidigen könne – eine Anspielung auf Pakistans Konflikt mit Indien, seinem mächtigen Nachbarn.

Sie können davon ausgehen, dass wir ziemlich genau wissen, wo unsere Interessen liegen, und dass wir auch wissen, wie wir diese Interessen wahrnehmen und fördern können.“Subrahmanyam Jaishankar, Außenminister Indiens

Im Falle Indiens kann der Westen noch größeren Einfluss ausüben. Insgesamt gesehen, hat Russland mit einem BIP, das etwas mehr als die Hälfte des BIP Indiens ausmacht, nur einen Anteil von einem Prozent am gesamten Handel Indiens. Der Handel mit dem Westen ist wesentlich bedeutsamer. Gemäß einem Gesetz, das Sanktionen gegen Länder ermöglicht, die „bedeutende Geschäfte“ mit Russland tätigen, hat Amerika 2018 gegen China und 2020 gegen die Türkei Sanktionen verhängt, weil sie das Raketenabwehrsystem S-400 von Russland gekauft hatten. Indien hat das gleiche System gekauft, doch die Regierung Biden hat bisher noch nicht entschieden, die gleichen Sanktionen anzuwenden. „Wir haben noch keinen Beschluss gefasst,“ sagte Außenminister Antony Blinken, als er auf einer Pressekonferenz nach dem Treffen von indischen und amerikanischen Regierungsmitgliedern am 11. April zu diesem Thema befragt wurde. Inzwischen hat Indien nicht nur aufgehört, Russland zu kritisieren, sondern es hat auch seine Importe von russischem Erdöl gesteigert.

Präsident Bidens Strategie sieht offensichtlich vor, Indien für sich zu gewinnen, statt es unter Druck zu setzen, ein Vorgehen, das bisher nur wenig erfolgreich war. Als Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar auf derselben Pressekonferenz von Journalisten gefragt wurde, ob Indien seine Abhängigkeit von Russland nicht verringern werde, dankte er den Presseleuten sarkastisch für ihre „Ratschläge und Anregungen“ und fuhr fort: „Sie können davon ausgehen, dass wir ziemlich genau wissen, wo unsere Interessen liegen, und dass wir auch wissen, wie wir diese Interessen wahrnehmen und fördern können.“


* Dieser Artikel basiert auf einem Originaltext aus dem „Economist“, den Reporter.lu im Rahmen einer Syndizierungspartnerschaft veröffentlicht.


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From The Economist, translated by Hermann J. Bumb, published under licence. The original article, in English, can be found on www.economist.com