Die Geschäftsmodelle von Medien beruhen zunehmend darauf, ihr Publikum einzubeziehen. Es heißt, dadurch könne ein wahrer Mehrwert geschaffen werden – und eine andere Art von Journalismus. Der Erfolg gibt diesen Modellen Recht. Und doch sind sie sich nicht einig, wie weit die Partizipation gehen soll.

Das Konzept ist einfach: Um zu wissen, welche Themen Leser interessieren, muss man seine Leser kennen. Nur so bleibt Journalismus relevant. Nur so fühlen sich Leser ernst genommen. Doch wie alle guten Ideen und notwendigen Konzepte hat auch das Einbeziehen der Leserschaft seine Grenzen.

„Wir müssen unseren Lesern zuhören und einen Dialog mit ihnen führen“, sagt Sebastian Esser, Mitgründer und Geschäftsführer von „Krautreporter“. Das 2014 per Crowdfunding gegründete digitale Magazin mit Sitz in Berlin versteht sich als dezidiert partizipative Plattform. Die Krautreporter suchen ganz bewusst den Dialog mit ihren zahlenden Lesern.

Vertrauen der Leser zurückgewinnen

Dabei gehe es nicht zuletzt darum, das Vertrauen der Leser zurückzugewinnen, so Sebastian Esser vergangene Woche bei einer Diskussionsrunde auf dem „International Journalism Festival“ in Perugia. Die Diagnose von Plattformen wie Krautreporter: Traditionelle Medien haben sich zu selten mit den tatsächlichen Erwartungen der Bürger auseinandergesetzt. Journalismus wurde lange von oben herab gepredigt. Journalisten merkten dabei nicht, dass sie oft an den Bedürfnissen ihrer Leser vorbei schrieben.

Krautreporter und andere Medien plädieren dagegen für mehr Leserverbundenheit. „Engaged journalism“ heißt die Devise. Mit der Einbindung der Leser in den redaktionellen Prozess soll Vertrauen und Legitimität zurückgewonnen werden. Doch es geht nicht zuletzt auch um ein Geschäftsmodell. Denn: Leser, die sich ernst genommen und mit ihrem Medium verbunden fühlen, sind in der Regel auch treue Leser.

Skepsis vor Medien ist wie Flugangst

Jennifer Brandel, CEO von Hearken, befasst sich insbesondere mit der Entfremdung der Journalisten von ihren Lesern. Ihre Firma bietet Wege und Konzepte an, um diese Distanz zu beheben. „Das Einbeziehen der Leser führt zu mehr Transparenz, Vertrauen und neuen Beziehungen“, sagt sie.

Das Prinzip: Wenn der Leser versteht, wie Journalismus funktioniert und ihm ein Blick hinter die Kulissen gewährt wird, vertraut er dem Journalisten. Zur Veranschaulichung gilt der Vergleich mit Menschen, die unter Flugangst leiden. Oft hilft schon ein Blick ins Cockpit und ein kurzes Gespräch mit dem Piloten, um die Ängste zu überwinden.

Dass Journalisten nicht nur schreiben, sondern auch zuhören, hat an sich nichts Revolutionäres. Auch in traditionellen Medien stehen Journalisten oft im Austausch mit ihren Lesern. Zudem beruht der Gedanke des „engaged journalism“ auf dem, was Business- und Marketingschulen im ersten Semester als allgemeine Weisheit anpreisen: Der Erfolg eines Produktes ist nur dann garantiert, wenn er eine Antwort auf ein bestimmtes Bedürfnis des Verbrauchers liefert.

Neue Medien und ihre Mitglieder

Neue partizipative Medien besinnen sich auf diese Erfolgsstrategie und gewähren ihren Kunden ein Mitspracherecht, das über die Kommentarsektion unter veröffentlichten Artikeln und die generelle Erreichbarkeit per E-Mail hinausgeht. Die Rede ist demnach auch weniger von Lesern als von „Mitgliedern“ – Journalismus als Community.

Wieso genau das so wichtig ist, erklärte vergangene Woche beim „International Journalism Festival“ auch die Chefredakteurin des dänischen Online-Magazins „Zetland“. Laut Lea Korsgaard sollte Journalismus kein Endziel an sich, sondern ein Weg zum Ziel sein. Und dieses lautet: eine Gemeinschaft zu schaffen. Journalisten und ihre Leser hätten oft das gleiche Interesse – nämlich, die Welt ein Stückchen besser zu machen. Demgemäß bezeichnet „Zetland“ seinen Journalismus auch idealistisch als „Kraft des Guten“.

Vor allem werden Leser bei „Zetland“ aber aktiv dazu aufgefordert, sich einzubringen. Sie sollen Themenvorschläge per E-Mail einreichen, die Journalisten auf Missstände aufmerksam machen, deren Existenz der Journalist bis dahin ignorierte. Auch REPORTER teilt diesen grundsätzlichen Ansatz der Partizipation – doch manche Modelle im Ausland gehen konzeptuell noch um einiges weiter.

Wie weit die Partizipation gehen kann

Dazu gehört das Modell von „De Correspondent“, das in den Niederlanden mittlerweile über 60.000 Abonnenten zählt und als Vorbild von Medien wie „Krautreporter“ oder „Zetland“ gilt. Die Macher von „De Correspondent“ sind überzeugt, dass 100 Leser gemeinsam mehr Wissen zu einem Thema haben, als es ein Journalist innerhalb von wenigen Tagen Recherche je ansammeln kann. Deshalb werden die Leser von Beginn an in die Recherche des Journalisten eingebunden.

Jennifer Brandel bringt es folgendermaßen auf den Punkt: „Ohne das Wissen des Lesers würden einige Stories nicht zustande kommen.“ „De Correspondent“ geht jedoch noch einen Schritt weiter. Der Journalist soll bereits vor der Veröffentlichung des Artikels seine Recherche mit dem Leser teilen. Damit soll ein ganz neues Level von journalistischem Fachwissen entstehen. Die Angst, dass ihnen dabei Konkurrenten „die Story stehlen“ könnten, hat man nicht, versichert Maaike Goslinga, Managing Editor von „De Correspondent“.

Ein ganz neues Niveau an Fachwissen

Hinzu kommt, dass die Leser als Experten herangezogen und selbst interviewt werden. „Wir haben die Identität unserer Leser überprüft und wissen, in welchem Bereich sie sich auskennen und als Experten fungieren können“, erklärt Maaike Goslinga.

Schreibt ein Journalist etwa einen Artikel über Medizin oder Umwelt, kann er sich wie selbstverständlich an jene Leser wenden, die in ihrer Berufsbeschreibung auf nachweisbare Art und Weise angegeben haben, in diesem Feld professionell aktiv zu sein. Das Wissen, auf das die Journalisten von „De Correspondent“ so zugreifen können, führt zu ausführlicheren und nuancierteren Artikeln der niederländischen Kollegen.

Vom Mitspracherecht zur Macht der Leser

Ein anderes Modell verfolgt die „Republik“ in der Schweiz. Dort ist der Grad der Partizipation der Leser niedriger als bei „De Correspondent“. Dafür sind die Abonnenten hier zugleich auch Verleger – sie haben gar ein Abstimmungsrecht, wenn es um strategische Businessfragen geht.

Der Wille des Lesers wird ganz nach der schweizerischen Referendum-Tradition respektiert. So befasste sich etwa eine Frage an die Verleger mit der Einstellungspolitik der Firma. Sollen wir eher einen Datenjournalisten oder einen Deutschland-Korrespondenten einstellen oder doch eher eine Satire-Rubrik einführen? Die „Republik“ setzt das um, was die Mehrheit für richtig befindet.

Eine solche Macht der Leser sieht Sebastian Esser von „Krautreporter“ allerdings kritisch. „Ich denke nicht, dass es gut ist, Geschäftsentscheidungen von der Community abhängig zu machen“, sagte er in Perugia. „Wir fragen den Leser nach Artikelideen und Informationen. Wir fragen ihn nicht nach seiner Meinung.“

Partizipation als wirtschaftliches Gebot

Das Einbeziehen der Leser hat eindeutig eine menschliche Komponente. „Wir zeigen den Lesern, dass wir keine massenproduzierte Webseite sind, sondern, dass echte Menschen die darauf veröffentlichten Inhalte produzieren“, argumentiert Sebastian Esser. Ihre Vorgehensweise fördere die menschliche Beziehung zwischen Lesern und Journalisten.

Und eine Beziehung, das wissen Marketingforscher, führt zu Kundenbindung. PR- und Marketingprofis raten sämtlichen Medien demnach, auch aus rein wirtschaftlichen Gründen, ihre Kunden, also Leser, Zuhörer oder Zuschauer, stärker einzubeziehen. So betont auch Anna Masera, Public Editor der altehrwürdigen italienischen Tageszeitung „La Stampa“: „Wir dürfen die Leser nicht von oben herab betrachten.“

„Wenn der Leser eine Verbindung zur Marke spürt, bleibt er am Ball und unterstützt ein Medium auch langfristig“, sagt etwa auch Catalina Albeanu, Digital Editor des Magazins „DOR“ in Rumänien.

Doch führt das stärkere Einbeziehen der Leser in den redaktionellen Prozess tatsächlich zu einem größeren Vertrauen in das Medium? Diese Frage weiß auch Sebastian Esser von Krautreporter nicht zu beantworten. „Im Moment sieht es eher nicht danach aus“, gesteht er in Anbetracht der firmeninternen Statistik. Hinzu kommt seine Einsicht: Die große Mehrheit der Leser bleibt schließlich dann doch „nur“ Leser und will überhaupt nicht journalistisch „mitmischen“.

Und REPORTER…?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, jene Themen zu identifizieren, die den Leser interessieren und unterschiedliche Modelle, ihn einzubinden. Auch wir von REPORTER haben diese analysiert. Unsere Strategie der Einbindung unserer Abonnenten hinterfragen wir regelmäßig.

Selbstkritisch müssen wir feststellen: Seit unserem Launch hat nicht alles so geklappt, wie wir uns das vorstellen. Das Forum, das wir als zusätzliches Angebot für unsere Abonnenten erdacht hatten, haben wir mittlerweile abgeschaltet. Wir werden Ihnen jedoch in den kommenden Wochen unsere neuen Ideen und Möglichkeiten zur Partizipation mitteilen. Andererseits war ein weiterer Teil der Partizipationsstrategie durchaus von Erfolg gekrönt. Wir erhalten von unseren Abonnenten regelmäßig viele interessante Anregungen für Themen oder auch für konkrete Recherchen.

Ein wichtiger Aspekt unseres Konzepts sind zudem unsere Live-Events. Eine Erfahrung, die auch andere Medien teilen. Nicht umsonst stellte ein Journalist beim „International Journalism Festival“ den Vergleich mit Tinder auf – der schnellen und manchmal oberflächlichen Datingplattform, bei der es vielen hinter ihrem Bildschirm eben nicht um eine langfristige und aufrichtige Beziehung gehe. Der unmittelbare menschliche Kontakt bleibe schließlich am natürlichsten und authentischsten, so die Schlussfolgerung.


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