Vicky Krieps ist die Schauspielerin der Stunde. Vor kurzem war sie neben Daniel Day-Lewis in „Phantom Thread“ zu sehen. Doch Vicky Krieps bleibt lieber auf dem Boden als auf dem Roten Teppich: Zur Entspannung denkt sie an luxemburgische Kuhfladen. Ein Porträt.

Vicky Krieps ist erschöpft, als wir uns an einem sonnigen Mainachmittag im Garten ihrer Berliner Wohnung treffen. Sie hat zwar gerade ein paar Wochen zwischen Dreharbeiten frei, dafür aber einen dreijährigen Sohn und eine siebenjährige Tochter. Sie setzt sich auf einen Gartenstuhl, legt die selbstgebastelte Kette ihrer Tochter ab.

Man nimmt ihr die Müdigkeit nicht übel. Die Luxemburger Schauspielerin ist 34 und hatte Ende letzten Jahres ihre erste große internationale Rolle in „Phantom Thread“ von Paul Thomas Anderson an der Seite von Daniel Day-Lewis. Darin spielte sie dessen Muse Alma. Paul Thomas Anderson hatte sie in dem deutschen Indie-Film „Das Zimmermädchen Lynn“ gesehen, und genauso ein frisches, noch unbekanntes Gesicht hatte er sich gewünscht. Eine glamourösere Rolle kann man sich kaum vorstellen, nicht nur wegen Daniel Day-Lewis, sondern den wunderschönen Haute-Couture-Kleidern, die Alma im Film trug.

Doch im Garten treffe ich jemanden, der auf dem Boden ist und darauf beharrt, dort zu bleiben. So habe ich sie auch in Erinnerung. Vicky Krieps und ich kennen uns schon sehr lange: Wir haben viele Tage unserer Kindheit zusammen verbracht, unsere Väter sind gut befreundet. Vicky Krieps’ Schwester war in meinem Alter, zu Vicky habe ich immer ein bisschen aufgeschaut. Sie war verträumt und cool.

Schauspielen, um zu verstehen

Und jetzt: Zwei Luxemburgerinnen in Berlin. Obwohl wir uns schon eine Weile nicht mehr gesehen haben, ist da diese Art von Vertrautheit, wie es sie nur zwischen Menschen gibt, die sich von klein auf kennen. Sie vermischt sich mit Distanz, geht aber auch nach Jahren nicht vollkommen verloren.

Vicky Krieps’ Großvater war ein bekannter LSAP-Minister und Europa-Abgeordneter, ihr Vater, der uns während des Interviews einen großen Teller Mozzarella mit Tomaten und Basilikum als Mittagessen bringt, leitete jahrelang das Kulturministerium, ihre Mutter kuratierte Ausstellungen. Mit 18 Jahren ging Vicky aber erst einmal nach Afrika zu einer NGO, um aus der Kleinlandidylle auszubrechen. Sicherlich sei das auch eine Flucht gewesen, sagt sie. Während ihrer Zeit dort entschied sie sich, Schauspiel zu studieren. Sie ging an die Zürcher Hochschule der Künste.

Mit jedem Händeschütteln verkauft man einen Teil seiner Seele.“

„Ich habe diesen Beruf in erster Linie gewählt, um die Menschen zu verstehen“, sagt sie. „Ich hätte in diesem Sinne auch Anthropologin, Philosophin, Psychologin oder Schriftstellerin werden können.“

Zuerst spielte sie vorwiegend Theater auf Schweizer und Luxemburger Bühnen, doch ihr Herz verliert sie an den Film. Das Medium ist ein Faszinosum für sie. „Mich begeistert, wie die Kamera es schafft, das zu vermitteln, was ich denke, obwohl ich wegschaue. Es ist so, als sei sie keine Maschine, sondern ein lebendiges Auge.“

Natürliche künstlerische Freiheit

Vicky Krieps leuchtet auf, wenn sie davon spricht, sie wirkt dann, als sei sie ganz bei sich. Es gehe bei diesem Vorgang weniger um sie als Person, sagt sie, weniger um ihr Ego, sondern darum, offen und transparent für die Gefühle und Emotionen zu sein, die einen beim Spielen durchlaufen.

Das Spiel von Vicky Krieps ist luftig, sehr variabel und natürlich. Wenn sie in „Phantom Thread“ rot wird, dann wird sie es wirklich. Weil sie Daniel Day-Lewis zum ersten Mal erst am Set getroffen hat. Auch hat man bei ihr das eigenartige Gefühl, dass sie gar nicht spielt. Vicky Krieps übernahm schon früh kleinere Rollen in großen Produktionen, war in „Hanna“ von Joe Wright oder „Anonymous“ von Roland Emmerich zu sehen, spielte aber meistens in europäischen Indie-Filmen mit. Dabei arbeitet sie seit jeher mehrsprachig.

Wenn sie in „Phantom Thread“ rot wird, dann wird sie es wirklich: Vicky Krieps spielte 2017 an der Seite von Daniel Day-Lewis. (Foto: Laurie Sparham/Focus Features, LLC.)

Ihre Sprachenvielfalt ermöglichte es ihr, in Anton Corbijns „A Most Wanted Man“, aber auch in französischen Filmen wie Philippe Claudels „Bevor der Winter kommt“ vor der Kamera zu stehen. Sowohl im Hollywood- als auch im Independent-Film, findet sie die künstlerische Freiheit, die sie liebt.

Gerade ist sie im Kino in Govinda van Maele’s Film noir „Gutland“ neben Frederick Lau zu sehen. Das ist nach dem Glamour von „Phantom Thread“ eine Rückkehr zu den Wurzeln: Der Film wurde im ländlichen Luxemburg gedreht, „dort, wo sogar die Felder ordentlich aussehen“, wie die Schauspielerin sagt. Ihre Figur Lucy lebt auf dem Bauernhof, eine aufgeweckte, alleinerziehende Mutter in einem sadistischen Umfeld.

„Vun der Long op d’Zong“

Auf Luxemburgisch würde man sie mit „Vun der Long op d’Zong“ beschreiben, von der Lunge auf die Zunge: Sie sagt, was sie denkt. Das hat Vicky Krieps an der Rolle gereizt, sie hatte sehr viel Spaß daran, in diesen luxemburgischen, sehr direkten, auch bäuerlichen Teil von sich reinzuspringen. Es ist auch genau das, was sie immer noch an Luxemburg schätzt: Nicht das schicke internationale Getue, sondern die ländliche Direktheit.

In ihrem Garten spricht sie von Herzen über ihre Weltsicht. Damit ist sie in ihrem Business eine Ausnahme. Auf den Medienrummel, der auf „Phantom Thread“ folgte, auf die Promotionsreisen nach Los Angeles und die ständigen Anfragen, die seitdem kommen, war sie nicht vorbereitet. Sie hat weder Interesse daran, ständig im Mittelpunkt zu stehen, noch an einer Hollywood-Karriere um jeden Preis.

Wenn Geld das höchste Gut ist, wird man leer.“

Für die Oscar-Gala im März hatte sie eine Einladung, aber sie sagt, sie hätte nicht gewusst, warum sie hätte hingehen sollen. Sie war ja schon mal bei den Golden Globes. Sie wirkt wie jemand, dem dieser Zirkus nicht viel vormachen kann: „Dann rennt man auf einmal in Markenanzügen rum, weiß seinen eigenen Namen nicht mehr und wird immer unglücklicher. Mit jedem Händeschütteln verkauft man einen Teil seiner Seele.“

So sieht sie auch die MeToo-Debatte als Teil eines kapitalistischen, materialistischen Systems: „Wenn Geld das höchste Gut ist, wird man leer“, sagt sie. Und wenn Geld wichtiger als die Menschen ist, kann der Reichere über den anderen verfügen. Für Vicky Krieps waren die Jahre seit der Wahl von Trump und dem Brexit deprimierend, aber sie ist wach: „Ich weine, aber ich gebe nicht auf.“

Ein Hauch von Bigonville

Wie behält sie ihre Denkfreiheit und Mündigkeit in ihrem Beruf, und wie bleibt man dabei entspannt? „Als ich in Beverly Hills mit einem Martini am Pool lag, habe ich mich bewusst darauf konzentriert, wie es in Bigonville riecht“, sagt sie. „Zum Beispiel nach Kuhfladen.“

Bigonville, dieses typisch luxemburgische Dorf unweit der belgischen Grenze – unaufgeregt, unvollendet und doch wunderschön. Vicky Krieps verbringt dort viel Zeit, wenn sie in ihre Heimat fährt. Ihre Wurzeln liegen dort, ihre Vorfahren stammen aus dem Dorf. Auf der ganzen Welt ist Bigonville ihr Lieblingsort.

Und doch lebt sie neunhundert Kilometer entfernt in der deutschen Hauptstadt, die unterschiedlicher nicht sein könnte, die sie nicht einschlafen lässt, weil an jeder Ecke Veränderung und Geschichte lauern. „Hier habe ich das Gefühl, dass ich immer auf Durchreise bin, als würde der Boden unter meinen Füßen sich bewegen wie Sand“, sagt sie. Aber auf Sand lässt es sich ja auch ganz gut stehen, wenn man bodenständig ist wie Vicky Krieps.