Darf Corinne Cahen als Ministerin Werbung für ihre Firma machen? Laut dem Premier handelt es sich dabei nicht um einen Interessenkonflikt. Der Verhaltenskodex für Regierungsmitglieder sieht ohnehin keine Sanktionen vor, sondern setzt letztlich auf Selbstkontrolle der Minister.

„Kaaft är Schong bei Chaussures Léon sàrl“: Dass die Inhaberin eines Schuhgeschäfts Werbung für ihre eigene Firma macht, ist an sich kein außerordentlicher Vorgang. Wenn die besagte Geschäftsfrau aber gleichzeitig Ministerin ist, erlangt die Sache durchaus eine andere Qualität.

So sah es jedenfalls die CSV, deren Sommer-Kampagne „Nolauschtertour“ mit dem Slogan „Wou dréckt de Schung?“ am Anfang der kleinen Kontroverse stand. Familienministerin Corinne Cahen (DP) veröffentlichte auf dem Onlinedienst Instagram ein Selfie mit dem Spruch „Kaaft är Schong bei Chaussures Léon sàrl, dann drécken se net“. Die CSV konterte wiederum in einem Facebook-Post mit dem Satz: „Hei dréckt de Schung vun der Deontologie awer richteg!“ Corinne Cahen bezeichnete ihre Aktion schließlich als harmlosen Witz, der Opposition fehle es an Humor.

Damit könnte man den Fall als politische Sommerloch-Posse zu den Akten legen. Doch wirft der Vorgang durchaus einige Fragen auf. Was darf ein Regierungsmitglied, und was nicht? Wo verläuft die Grenze zwischen seinem politischen Amt und seinen persönlichen finanziellen Interessen? Und hat sich die Regierung nicht einmal einen Verhaltenskodex gegeben, der solche Fragen unmissverständlich beantworten sollte?

Der Staatsminister bewertet nicht. Die Verhaltensregeln werden eingehalten.“Staatsminister Xavier Bettel (DP)

Fest steht: Corinne Cahen ist nicht nur Regierungsmitglied, sondern auch Inhaberin von „Chaussures Léon sàrl“. Seit 2012 gehören der Ministerin laut dem Handelsregister 100 Prozent der Anteile an der Firma. Dass sie Teilhaberin an diesem Unternehmen ist, geht auch aus der Liste über finanzielle Interessen hervor, die jeder Minister und jede Ministerin laut Verhaltenskodex für Regierungsmitglieder auf der Webseite der Regierung veröffentlichen muss.

Diese Tatsache an sich ist denn auch politisch kaum kontrovers. Kein Gesetz, und auch nicht der „Code de déontologie“, verbietet, dass eine Ministerin Anteile an einem Unternehmen besitzen darf. Was laut dem Kodex jedoch ausdrücklich nicht erlaubt ist: Dass ein Regierungsmitglied neben dem Ministergehalt eine andere Vergütung bezieht.

Werbung erlaubt, Vergütung nicht

Bleibt die Frage, ob ein Regierungsmitglied Werbung für die eigene Firma machen darf. „Ein Regierungsmitglied darf während seiner Amtszeit keiner anderen bezahlten Beschäftigung nachgehen“, lautet die Antwort des Staatsministeriums. Die Frage von „Werbung“ sei im „Code de déontologie“ nicht explizit und spezifisch beschrieben. „Sofern es mit einem Gehalt oder einer Gage verbunden wäre, ist es jedoch nicht erlaubt“, so Staatsminister Xavier Bettel (DP), der als Regierungschef für das Einhalten des Verhaltenskodex zuständig ist.

Auch das ist bei Corinne Cahen offenbar nicht der Fall. Beim Eintritt in die Regierung gab sie ihren bisherigen Job als Geschäftsführerin von „Chaussures Léon sàrl“ zugunsten ihres Ehemannes Robi Sinner auf. Seit 2015 ist auch Sinner, der bei der DP als Fraktionsmitarbeiter angestellt ist, nicht mehr Geschäftsführer. Gleichzeitig bezog Corinne Cahen als alleinige Teilhaberin seit 2014 auch keine Dividenden mehr. In den zehn Jahren zuvor zahlte sie sich insgesamt rund eine Million Euro an Reingewinn aus – vor 2012 gehörten Cahen 75 Prozent des Unternehmens.

Kurzfristig hat die Ministerin und Teilhaberin also keinen finanziellen Vorteil dadurch, dass ihr Geschäft gut läuft. Nach ihrem Ausscheiden aus der Regierung könnte die Ministerin natürlich durchaus von der Werbung für ihr Geschäft profitieren. Ihre Firma hat in den vergangenen Jahren einen Gewinn in Höhe von über einer Million angesammelt, der aber eben seit 2014 nicht ausgeschüttet wurde. Ab dem Moment, in dem sie nicht mehr Mitglied der Regierung ist, kann sie sich natürlich wieder Dividenden auszahlen.

Ein Kodex ist kein Strafgesetzbuch

Selbst wenn ein Regierungsmitglied aber neben seinem Mandat eine Vergütung erhalten würde, wäre dies nicht unbedingt mit Sanktionen verbunden. Dass etwas im Verhaltenskodex nicht erlaubt ist, bedeutet nicht zwangsläufig, dass es juristisch belangbar ist. Letztlich zähle immer noch das Strafgesetzbuch und mit dem Kodex würden keine neuen Tatbestände geschaffen, betonte Justizminister Felix Braz (Déi Gréng) beim Verabschieden des Dokuments vor knapp fünf Jahren. Jeder Minister riskiere jedoch bei Zuwiderhandlung die politische „Kapitalstrafe“, so Braz damals. Gemeint ist damit: der mögliche „Entzug des Vertrauens durch seine Kabinettskollegen“.

Im Verhaltenskodex heißt es denn auch, dass ein Regierungsmitglied einen möglichen Interessenkonflikt selbst beheben müsse, wenn er ihn denn als solchen ansieht. Im Zweifelsfall kann es sich auch „vertraulich“ zum Zweck eines Gutachtens an das mit dem Kodex geschaffene „Comité d’éthique“ wenden. Laut dem Staatsministerium wurde ein solches vertrauliches Gutachten bisher nicht beantragt. Der Ethikrat setzt sich aktuell aus den Ex-Ministerinnen Colette Flesch und Marie-Josée Jacobs sowie dem früheren Richter am Europäischen Gerichtshof Romain Schintgen zusammen.

Ansonsten kann übrigens nur der Staatsminister den Ethikrat anrufen, falls Fragen bezüglich der Interpretation des Verhaltenskodex bestehen. Dies ist bisher nur drei Mal geschehen. Zwei Mal ging es dabei um den Umgang mit offiziellen Geschenken, die ein Regierungsmitglied während der Ausübung seines Mandats erhält. Ein offizielles Register gibt einen Überblick über die erhaltenen Geschenke. Die dritte Anrufung betraf die Frage, ob der mittlerweile verstorbene Ex-Staatssekretär Camille Gira als Regierungsmitglied gleichzeitig Präsident des „European Energy Award“ sein durfte. Der Ethikrat verneinte diese Frage.

„Der Staatsminister bewertet nicht“ – oder doch?

Eine Entscheidung des Ethikrats wird es im Fall Corinne Cahen vermutlich nicht geben. Denn Xavier Bettel beantwortet die Frage, ob es sich beim Verhalten seiner Parteifreundin um einen Interessenkonflikt handelt, selbst mit: Nein. „Es handelt sich hier nicht um einen Interessenkonflikt“, so der Staatsminister auf Nachfrage von REPORTER. Auch bei den anderen Regierungsmitgliedern liege kein Fall einer Vermischung von privaten finanziellen Interessen und dem Amt vor.

Die Frage, wer letztlich entscheidet, was ein Interessenkonflikt ist, und was nicht, will Bettel dagegen nicht beantworten: „Wenn sich die Frage stellt, wird das Ethikkomittee mit dieser Frage befasst.“ Was Bettel nicht sagt: Letztlich ist es der Staatsminister, der entscheidet, wie der Verhaltenskodex zu interpretieren ist. Denn wenn der Premier den Ethikrat nicht damit befasst, kann dieser auch kein Gutachten abgeben. Und wenn ein Regierungsmitglied ein solches Gutachten beantragt, wird das entsprechende Gutachten nicht veröffentlicht.

Es handelt sich um eine humorvolle Reaktion auf eine Aktion der größten Oppositionspartei und sollte auch als solche gewertet werden.“Staatsminister Xavier Bettel (DP)

Und doch gibt es eine Passage des „Code de déontologie“, die auf das Verhalten von Corinne Cahen anwendbar ist. „Les membres du Gouvernement sont au service de tous les citoyens. Ils sont tenus d’accomplir leurs fonctions dans un esprit d’intégrité et d’impartialité“, heißt es in Artikel 1. Doch auch die allgemeine Frage, ob Cahens Werbung für das eigene Unternehmen mit dem Grundsatz der Unparteilichkeit übereinstimmt, will der Premier nicht kommentieren.

Auch zur bisherigen Bilanz bei der Umsetzung der Verhaltensregeln will sich Xavier Bettel auf Nachfrage nicht äußern. „Der Staatsminister bewertet nicht. Die Verhaltensregeln werden eingehalten“, verlautet es aus dem Staatsministerium. In mindestens einem Fall macht der Premier aber eine Ausnahme und bewertet doch. „Es handelt sich um eine humorvolle Reaktion auf eine Aktion der größten Oppositionspartei und sollte auch als solche gewertet werden“, so Bettels Einschätzung zum Fall der ministerialen Werbung für „Chaussures Léon“.