Wie viel Geld wird die Bank mir leihen? Die Antwort auf diese Frage soll künftig gesetzlichen Regeln folgen. In Kraft gesetzt werden sie allerdings nur, wenn der Immobilienmarkt zur Gefahr für die Banken wird. Doch ein EU-Bericht warnt bereits vor einer riskanten Entwicklung.
Immobilien sind wie Fußball: Da redet jeder mit. Ganz praktisch dachten auch die Abgeordneten, als der Finanzminister ihnen neue Kontrollmittel für die Vergabe von Immobilienkrediten vorstellte. Diese sehen unter anderem vor, dass eine Person mit einem Netto-Monatseinkommen von 3.000 Euro maximal zwischen 150.000 und 450.000 Euro von einer Bank bekommen könnte.
Es geht um nichts weniger als die Frage, welche Wohnungen und Häuser für die Mittelschicht noch erschwinglich sind. „Wir wissen, dass man sich mit dieser Summe hierzulande und vor allem im Umkreis der Hauptstadt nicht viel leisten kann“, warnte der CSV-Abgeordnete und Bürgermeister von Mamer, Gilles Roth.
Auch Sven Clement (Piraten) sieht die Kontrollmittel als ungerecht an. Viele Menschen hätten nicht die Einkommen, um unter diesen Bedingungen noch eine kleine Wohnung zu kaufen. Tatsächlich lag der Durchschnittspreis für eine bestehende Wohnung Ende 2018 landesweit bei knapp 450.000 Euro – ganze elf Prozent mehr als ein Jahr zuvor.
Leitplanken für Immobilienkredite
Die hohen Preise in Luxemburg und Hinweise auf eine Überbewertung der Immobilien sind für den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) besorgniserregend. Denn schnell steigende Preise bedeuten auch immer höhere Kredite. Die Kreditvergabe stieg in Luxemburg zwischen 2016 und 2018 pro Jahr um sechs bis sieben Prozent, betont die EU-Behörde in einem neuen Bericht.
Das könnte mittelfristig zum Problem werden, wenn die Zinsen steigen oder die Einkommen in Luxemburg durch eine Wirtschaftskrise sinken würden. Das Risiko bestehe, dass dann manche Luxemburger Haushalte ihre Kredite nicht mehr bedienen könnten, so die Analyse des „Comité du risque systémique“. Dieses Gremium ist ein Zusammenschluss der Zentralbank und der Finanzaufsicht CSSF unter der Leitung des Finanzministers. Laut dem Finanzministerium besteht allerdings keine imminente Bedrohung, dass der Immobilienmarkt die Finanzstabilität in Schieflage bringen könnte.
In den vergangenen drei Jahren blieb die Situation relativ stabil.“Finanzminister Pierre Gramegna
Der ESRB hatte 2016 ein erstes Mal eine Warnung vor den mittelfristigen Risiken einer Immobilienkrise in Luxemburg ausgesprochen – neben sieben weiteren Ländern. Der am Montag dem Finanz- und Budgetausschuss vorgestellte Gesetzentwurf ist eine Reaktion darauf. Das Dokument sieht vor, der CSSF Mittel zu geben, um den Banken Leitplanken für die Kreditvergabe zu verordnen. Wirksam werden sie allerdings nur im Krisenfall: „Es sind Notfallmaßnahmen“, betont Catherine Bourin von der Bankenvereinigung ABBL.
Im ersten Entwurf war vorgesehen, dass die CSSF allein die Werte festlegen könne, die Banken beachten müssen. Dazu zählt etwa die Obergrenze des Kredits im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen des Bankkunden. Doch diese Eigenmächtigkeit der Finanzaufsicht störte den Staatsrat, der sich in seinem Gutachten formell dagegen stellte. Die Regierung reichte deshalb im August Änderungen beim Parlament ein. Die Obergrenzen sind nun festgelegte „Korridore“ – etwa von 400 bis 1.200 Prozent des jährlichen Nettoeinkommens. Diese 1.200 Prozent entsprechen dem obigen Rechenbeispiel von 450.000 Euro bei einem Nettolohn von 3.000 Euro pro Monat.
Käufer werden älter und einkommensstärker
Woher stammen die Werte für diese Korridore? Sind sie der Realität des Marktes angepasst? Dazu finden sich keine Informationen im Gesetzentwurf, was auch von der Opposition bemängelt wurde. Die Handelskammer wunderte sich in ihrem Gutachten, dass das Finanzministerium keine Impaktstudie durchgeführt habe.
Finanzminister Pierre Gramegna (DP) sagte am Rande der Kommissionssitzung lediglich, dass er über den Sommer die im Kreditgeschäft tätigen Banken zu Gesprächen empfangen habe. Doch selbst die ABBL hat keine Einschätzung zu den Werten, die das Ministerium festgelegt hat. Erst wenn diese Instrumente aktiviert würden, finde man heraus, ob sie angepasst seien, so die Chefjuristin Catherine Bourin.
Anders sieht das Jean-Paul Scheuren, Präsident der „Chambre immobilière“. Die Banken seien bei der Kreditvergabe heute bereits deutlich strenger als noch vor einigen Jahren. Das nun geplante Gesetz sei in diesem Sinne überflüssig. Denn um beim Rechenbeispiel der Abgeordneten zu bleiben: Mit einem Nettoeinkommen von 3.000 Euro habe man auch aktuell kaum Aussichten auf einen Kredit über eine halbe Million. Er stelle zudem fest, dass die Immobilienkäufer heute im Schnitt älter und einkommensstärker seien.
Die Akteure des Immobilienmarkts halten das Risiko für die Banken außerdem für sehr begrenzt. Die Banken seien hoch kapitalisiert und gegenüber Immobilienkrediten wenig exponiert, fasst Catherine Bourin zusammen. Dass ein Haushalt seinen Immobilienkredit nicht zurückzahlt, kommt in Luxemburg äußerst selten vor.
Luxemburger Haushalte hoch verschuldet
Im besten Fall kommen die Instrumente also nie zum Einsatz. „In den vergangenen drei Jahren blieb die Situation relativ stabil“, sagt Finanzminister Pierre Gramegna. Stabil heißt in diesem Kontext aber, dass die Preise weiter steigen, die Kredite anwachsen, die Vergabekriterien flexibel bleiben und vor allem die Verschuldung der Privathaushalte weiter zunimmt, wie der ESRB betont.
Der Verschuldungsgrad der Luxemburger Haushalte lag Ende 2018 bei 171 Prozent ihres verfügbaren Einkommens. Der EU-Durchschnitt liegt bei knapp 106 Prozent, betont das „Comité du risque systémique“. Nur in den Niederlanden sind die Haushalte noch höher verschuldet als in Luxemburg. Dort liegt das Verhältnis bei 196 Prozent, zeigen die Zahlen der EZB. In Deutschland sind es dagegen nur 83 Prozent. Zählt man nur die Immobilienkredite, liegt die Verschuldungsrate in Luxemburg bei 124 Prozent. Allerdings ist die Tendenz laut den Experten steigend, während sich in anderen EU-Ländern die Schuldenlage konsolidiert.
Ist die Lage also so dramatisch, dass die Leitplanken aufgebaut werden müssten, sobald das Gesetz verabschiedet ist? Glaubt man dem Finanzministerium und der ABBL lautet die Antwort: Nein. Im Gesetzentwurf ist die Latte sehr hoch gelegt: Das „Comité du risque systémique“ muss erst Fehlfunktionen oder ein Stabilitätsrisiko im nationalen Finanzsystem feststellen. Doch die Experten sehen das anders: Die Risikowächter des ESRB empfehlen die Maßnahmen zu „aktivieren“, sobald sie verfügbar sind – also sobald das Gesetz in Kraft ist. Eine Einschätzung, die ein Experte der Luxemburger Zentralbank teilt.
Maßnahmen mit politischer Sprengkraft
Brisanter als die Notwendigkeit von Leitplanken für Kredite ist allerdings eine ganz andere Empfehlung der EU-Risikowächter. Die Regierung solle die Anreize für den Kauf von Immobilien einschränken, denn diese führten zu der exzessiven Preissteigerung. Anstatt das Angebot an Immobilien hochzutreiben, müsse auch die Nachfrage kontrolliert werden.
Dabei geht es natürlich um sehr viel Geld und Anreize, an die sich die Bürger längst gewöhnt haben. Laut den Schätzungen im Budget kostet etwa der „bëllegen Akt“ den Staat dieses Jahr knapp 200 Millionen Euro, die Mehrwertsteuer von drei statt 17 Prozent beim Bau oder Renovieren des Eigenheims kommt ihn 245 Millionen Euro zu stehen und das steuerliche Absetzen von Zinsen auf Immobilienkrediten führt zu Mindereinnahmen von 84 Millionen.
Doch die massiven Steuervorteile für den Kauf eines Hauses oder einer Wohnung anzutasten, birgt enormen politischen Sprengstoff. Wenn es zu einer Immobilien- und neuen Finanzkrise kommen sollte, dürften aber selbst solche drastischen Maßnahmen nicht tabu sein.
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