Als Spiegel-Korrespondent in Istanbul erlebt Maximilian Popp die repressive Politik der türkischen Regierung hautnah. Im Interview mit REPORTER spricht er über persönliche Risiken, Nuancen der Pressefreiheit und den Mut der türkischen Journalisten.
Trotz seines jungen Alters hat Maximilian Popp bemerkenswerte journalistische Erfahrung aufzuzeigen: 1986 in Passau geboren, wurde er bereits mit 19 an der renommierten Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg aufgenommen. Seit 2010 schreibt er für das Nachrichtenmagazin „Spiegel“ über Themen wie Migration und Rechtsextremismus.
Doch sein aktueller Posten wäre wohl auch für noch erfahrenere Kollegen eine Herausforderung: Seit 2016 berichtet Popp als fester Korrespondent aus der Türkei. Kurz nach dem Putschversuch im Juli 2016, ersetzte er Hasnain Kazim als Spiegel-Korrespondent in Istanbul. Sein Vorgänger hatte das Land bereits vor dem Putschversuch verlassen müssen, weil seine Arbeitserlaubnis nicht erneuert wurde.
REPORTER: Seit Juli 2016 sind in der Türkei zahlreiche Journalisten verhaftet worden. Dennoch haben Sie uns dieses Interview ohne langes Zögern zugesagt. Wie vorsichtig müssen Sie ihre Worte in den nächsten paar Minuten abwägen?
Maximilian Popp: In der Türkei ist zur Zeit fast jedes Thema ein „heikles“, denn die Regierung hat grundsätzlich ein Problem mit Kritik. Dieser öffentliche Druck darf aber nicht dazu führen, dass wir Journalisten uns nicht mehr äußern. Im Gegenteil, es ist gerade unser Job, auch über umstrittene Themen zu schreiben. Da gehören Presse- und Meinungsfreiheit ohne Zweifel dazu.
Gibt es denn überhaupt noch Pressefreiheit in der Türkei?
Die Pressefreiheit ist natürlich stark eingeschränkt hier. Das betrifft aber vor allem die türkischen Medien: Als türkischer Journalist weiß man eigentlich bei jedem Artikel, dass es der letzte sein könnte, den man für eine gewisse Zeit schreibt. Man lebt mit dem ständigen Risiko, verhaftet zu werden. Ganz so dramatisch ist die Situation für uns Auslandskorrespondenten nicht, denn deutsch- und englischsprachige Medien berichten ja zum Teil extrem kritisch aus der Türkei. Wenn die Pressefreiheit ganz abgeschafft wäre, würde es all diese Texte ja nicht geben.
Inzwischen reicht die leiseste Kritik, um ins Visier der Regierung zu geraten.“
Warum haben türkische Journalisten mit größeren Einschränkungen zu kämpfen?
Einen türkischen Journalisten kann man relativ einfach wegsperren. Solchen Verhaftungen wird meist keine große internationale Aufmerksamkeit geschenkt. Der Wirbel ist aber sehr viel größer, wenn Journalisten aus dem Ausland ins Gefängnis kommen. Das hat der Fall von Deniz Yücel eindrucksvoll gezeigt: Als der deutsch-türkische Korrespondent der „Welt“ verhaftet wurde, musste die türkische Regierung sich rechtfertigen, weil es einen internationalen Aufschrei gab. Deniz bekam Gott sei Dank Unterstützung von der deutschen Regierung, und es mobilisierte sich ein Freundeskreis, der seine Freilassung forderte. Dieses „Privileg“ haben viele türkische Kollegen und Kolleginnen leider nicht. Noch schlimmer ergeht es den kurdischen Journalisten. Die sind oft komplett auf sich alleine gestellt sind, wenn Sie in Schwierigkeiten kommen.

Hat das zur Folge, dass türkische Journalisten sich mit kritischer Berichterstattung zurückhalten?
Meine türkischen Kollegen haben sicher bei verschiedenen Themen eine Schere in Kopf, weil Sie Angst vor Repressionen haben. Trotzdem finde ich es unglaublich beeindruckend, wie viele Kollegen hier immer noch ihrer Arbeit nachgehen, und den Mut aufbringen gegen diese Schere im Kopf anzukämpfen. Viele zahlen dafür einen hohen Preis, wie der Investigativjournalist Ahmet Şık, der mehrere Monate im Gefängnis saß, oder Ahmet Altan, der gerade zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Trotzdem zeigen viele weiterhin ein unerschütterliches journalistisches Ethos.
Bei welchen Themen können Sie sich als deutscher Korrespondent mehr erlauben als Ihre türkischen Kollegen?
Puh, da bräuchten wir mehr als ein Interview, um alles aufzuzählen. Eigentlich zählt alles dazu, was die Politik, die Gesellschaft oder die Wirtschaft dieses Landes betrifft. Inzwischen reicht die leiseste Kritik, um ins Visier der Regierung zu geraten. Die großen Tabuthemen für türkische Journalisten sind aber ohne Zweifel die Korruption der Regierung, der Abbau der Demokratie und der zunehmend autoritäre Kurs des Erdogan-Regimes.
Aber auch deutsche Journalisten können in der Türkei in Schwierigkeiten geraten. Ihr Vorgänger als Spiegel-Korrespondent, Hasnain Kazim, hat das Anfang 2016 am eigenen Leib erfahren: Er musste die Türkei verlassen, weil seine Arbeitserlaubnis nicht erneuert wurde. Haben Sie problemlos eine Akkreditierung erhalten, als Sie seinen Posten übernommen haben?
Ich musste damals mehrere Monate warten, schließlich habe ich die Arbeitserlaubnis dann bekommen. Allerdings muss dieses Dokument jedes Jahr erneuert werden, und das bereitet natürlich zum Jahreswechsel immer Kopfschmerzen. Nicht nur ich, sondern alle Korrespondenten aus dem Ausland leben dann hier in der Ungewissheit, ob ihre Arbeitserlaubnis um ein weiteres Jahr verlängert wird.
Wird die Arbeitserlaubnis nur denjenigen erteilt, die nicht zu kritisch sind?
Ich glaube nicht, dass die Regierung im Detail auf die einzelnen Texte schaut. Die Vergabe ist oft sehr willkürlich, so dass sich nicht in letzter Konsequenz sagen lässt, warum einige Kollegen die Akkreditierung bekommen und andere nicht. Damit will man den Journalisten ganz allgemein vermitteln: Passt auf, was ihr schreibt! Die Akkreditierung wird als Druckmittel gebraucht, um Unsicherheit zu verbreiten.
Kompromisse bei der eigenen Berichterstattung zu machen, ist eine rote Linie, die ich nicht überschreiten möchte.“
Verspüren Sie da bei ihrer Arbeit manchmal selbst eine Schere im Kopf, weil Sie Ihre Arbeitsgrundlage in der Türkei nicht gefährden wollen?
Nein, diese Schere gibt es bei mir überhaupt nicht. Ich bin hier um wahrhaftig und kritisch über dieses Land zu berichten und das tue ich auch. Wenn das irgendwann dazu führt, dass ich ausgewiesen werde, dann muss ich eben damit leben. Kompromisse bei der eigenen Berichterstattung zu machen, ist eine rote Linie, die ich nicht überschreiten möchte.
Der Entzug der Arbeitserlaubnis scheint im Vergleich zu anderen Maßnahmen noch vergleichsweise harmlos. Ihr Kollege Deniz Yücel, zum Beispiel, saß ein Jahr lang ohne Anklage in einem Hochsicherheitsgefängnis. Haben Sie Angst, dass Ihnen irgendwann das Gleiche passieren könnte?
Ich würde nicht sagen, dass ich hier in ständiger Angst lebe. Ich mache mir natürlich hin und wieder Sorgen und frage mich dann, wie sicher es hier noch ist. Aber ich fühle mich nicht akut bedroht. Wenn das der Fall wäre, dann würde ich das Land verlassen. Denn ich habe nicht vor, als Märtyrer in einem türkischen Knast zu landen. Wenn ich damit rechnen müsste, dass morgen die Polizei bei mir vor der Tür steht, dann würde ich versuchen zuvor auszureisen. Leider hat man das manchmal nicht selbst in der Hand.
Es gibt doch Kollegen, die in viel extremeren Gebieten unterwegs sind. Zum Beispiel in Syrien, im Irak oder in anderen Krisen- und Kriegsregionen.“
Es fällt mir ehrlich gesagt schwer zu glauben, dass solche Gedanken überhaupt keinen Einfluss auf Ihre Arbeit haben…
Es gibt doch Kollegen, die in viel extremeren Gebieten unterwegs sind. Zum Beispiel in Syrien, im Irak oder in anderen Krisen- und Kriegsregionen. So extrem ist die Situation in der Türkei nicht. Hier muss man zwar eine gewisse Sorge haben, dass die Regierung mit Repressionen reagiert, wenn man kritisch berichtet. Aber wenn man sich, wie ich, dafür entscheidet als Korrespondent aus der Türkei zu berichten, dann kennt man ungefähr die Bedingungen, auf die man sich einlässt.
Und Sie kommen bislang zurecht mit diesen Bedingungen?
Was meine eigene Arbeit betrifft, wurde ich bislang hier nicht groß belangt. Die Regierung kritisiert zwar ab und zu öffentlich was ich im „Spiegel“ schreibe. Aber das ist ja ihr gutes Recht. Politiker in Deutschland tun das ja auch, wenn ein Artikel ihnen nicht gefällt. Ich kriege auch regelmäßig „Hassmails“ von Lesern. Die sind aber weder im Ton noch in der Aggressivität anders als jene, die ich in Deutschland von Rechten und Rassisten bekommen habe, als ich über Migration berichtet habe.