Frauen haben in Luxemburg laut Gesetz das Recht auf einen gewollten Schwangerschaftsabbruch. Dennoch bleiben Abtreibungen ein Tabuthema. Der andauernde Vorbehalt von Ärzten und fehlende Statistiken erschweren zudem eine offene gesellschaftliche Debatte.
Eigentlich ist es pures Glück: Eine Frau wird schwanger, bekommt ein Baby, gründet ihre eigene kleine Familie. Doch die Realität kann auch eine ganz andere sein. Denn nicht immer ist der Gedanke an Nachwuchs ein positiver und nicht immer will eine Frau auch Mutter sein.
Gründe dafür gibt es viele. Die Schwangerschaft ist nicht gewollt, es gibt keinen Partner oder kein unterstützendes Umfeld, die Frau kann sich ein Kind nicht leisten, fühlt sich noch zu jung oder schon zu alt, oder will einfach keinen Nachwuchs. Die Entscheidung für einen Abbruch kann leicht- oder schwerfallen. Es soll aber die Frau sein, die sie fällt. Eigentlich.
Heute gibt es in Luxemburg fast so viele Abtreibungen wie Geburten.“Dr. Robert Lemmer
Denn obwohl Abbrüche legal sind: Über ihren Verlauf und mögliche Probleme, seien sie körperlicher, psychischer oder gar administrativer Natur, wird öffentlich nicht gesprochen. Dabei wirkt sich die Weise, wie die Gesellschaft mit dem Thema umgeht, auch auf das Empfinden der Frau aus. Wird es wie ein Tabu behandelt, fühlt es sich notgedrungen auch wie ein Tabu an.
Und sogar unter Gynäkologen ist es eines. „Natürlich ist es keine schöne Angelegenheit, eine Abtreibung durchzuführen“, sagt Dr. Robert Lemmer, Präsident der Société Luxembourgeoise de Gynécologie et d’Obstrétique. Er kenne Kollegen, die gegen Abbrüche seien – und die diese auch nicht durchführen. „Das ist eine persönliche Einstellung und die muss man natürlich auch akzeptieren“, so der Arzt.
Frauen sollen selbst entscheiden – aber…
Das macht die Prozedur für die betroffenen Schwangeren schwierig. „Luxemburg hat zwar in den vergangenen Jahren Fortschritte gemacht – dennoch wird die Abtreibung immer noch stigmatisiert“, sagt Catherine Chéry. „Wir hatten schon Patientinnen, die zu uns gekommen sind, weil ihr Arzt ihnen die Abtreibung verweigerte“, so die Leiterin des Beratungszentrums Planning Familial.
„Ihnen wird für etwas ein schlechtes Gewissen gemacht, das ihnen rechtlich zusteht.“ Schwangerschaftsabbrüche seien Teil des Aufgabenbereichs von Frauenärzten und die persönliche Einstellung der Mediziner dürfe keine Rolle spielen, meint Chéry. Er dürfe der Frau für ihre Entscheidung kein schlechtes Gewissen machen.
Das Paradoxe daran: Frauen haben zwar laut Gesetz ein Recht auf eine Abtreibung. Allerdings ist laut dem gleichen Text auch kein Arzt dazu verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.
Keine konkrete Zahlen
Dass das Thema bei Ärzten, Patienten und innerhalb der Bevölkerung ein Tabu ist, zeigt auch der Fakt, dass es keine Zahlen zu gewollten Abtreibungen gibt. Dr. Robert Lemmer schätzt: „Heute gibt es in Luxemburg fast so viele Abtreibungen wie Geburten.“
Die Geburtenrate ist dabei klar: Im Jahr 2016 kamen laut Statec 6.050 Kinder zur Welt. Zu den Abtreibungen gibt es aber keine Zahlen. Bei dieser Frage spielen sich Gesundheitsministerium und Gesundheitskasse gegenseitig den Ball zu. Daten liefert weder der eine, noch der andere. Aus dem Sozialversicherungsministerium heißt es, man habe keine Zahlen. Das Thema Abtreibung gehe nur die Patientin und den behandelnden Arzt etwas an – und sonst niemanden. Um beide zu schützen, würde man keine Daten sammeln.
Lediglich das Planning Familial führt eigene Statistiken: Dort wurden im Jahr 2016 580 medikamentöse Abtreibungen durchgeführt, im Jahr 2017 waren es 538. Der Großteil der Abtreibungen wird demnach woanders durchgeführt.
Ohne Statistiken lässt sich das Thema aber nur schwer erfassen. Auf welche Art wird wie häufig abgebrochen? Zu welchem Zeitpunkt? Aus welchen Gründen? Diese Fragen können nur anhand von Daten beantwortet werden. Und das Fehlen von Statistiken erschwert laut den Experten eine allgemeine gesellschaftliche Debatte.
„Niemand will sich die Finger verbrennen“
Ein Blick auf die Onlineplattform eSanté des Gesundheitsministeriums zeigt, dass in Luxemburg 104 Frauenärzte tätig sind. „Aber nur 50 bis 60 davon arbeiten in Krankenhäusern. Es sind vor allem sie, die Abtreibungen durchführen“, so Dr. Lemmer. „Eigentlich kann jeder Arzt, der in Luxemburg praktiziert, eine medikamentöse Abtreibung durchführen“, sagt der Experte. „Alles, was er dafür braucht, ist ein Abkommen mit einem Krankenhaus. Aber es will sich natürlich niemand die Finger verbrennen und seinen Ruf riskieren.“ Die Möglichkeit ist demnach da, aber längst nicht jeder traut sich an das Thema ran.
Eine Frau, die sich dazu entscheidet, eine Schwangerschaft abzubrechen, will, dass das schnell geht.“Catherine Chéry, Planning Familial
Das zeigt: Frauen könnten von vielen Medizinern Hilfe bekommen. In Wirklichkeit ist die Zahl derjenigen, die Abbrüche vornehmen aber begrenzt. Wie viele genau? Auch dazu gibt es keine Daten.
Muss die Schwangere aber erst einmal einen Arzt finden, der sich ihr annimmt, verliert sie wertvolle Zeit. Zum Zeitdruck kommt hinzu, dass sie ihre persönliche Geschichte und ihre Entscheidung immer wieder begründen muss. Auch das kann belastend sein.
Warum das Planning Familial händeringend einen Frauenarzt sucht? Lesen Sie hier den Artikel „Ein Rekrutierungsproblem mit Folgen“
„Eine Frau, die sich dazu entscheidet, eine Schwangerschaft abzubrechen, will, dass das schnell geht“, so Catherine Chéry. „Den Meisten fällt es nicht leicht, über ihre Entscheidung zu sprechen. Je länger die Suche nach einem Arzt dauert, der den Eingriff vornimmt, desto belastender wird der Prozess.“
Abtreibungen sind nicht registriert
Doch damit hört das Problem nicht auf. Was seit Jahren fehlt, ist ein Tarif für gewollte Abbrüche bei der CNS. Auf Nachfrage von REPORTER verweist die Pressestelle der Gesundheitskasse auf den Tarif, der unter dem Akt 6A71 geführt wird. Mit diesem Akt werden aber nicht nur Abtreibungen, sondern auch Eingriffe bei Fehlgeburten oder ungewollte Abbrüche (beispielsweise wegen Komplikationen) abgerechnet. Wie viele gewollte Abtreibungen sich tatsächlich darunter befinden, ist demnach unmöglich festzustellen.
Abtreibungen sind immer noch ein Tabuthema und Ärzte befürchten immer noch, als „Abtreiber“ wahrgenommen zu werden.“Catherine Chéry, Planning Familial
Eine weitere Schwierigkeit: Das Abrechnungsformular 6A71 gilt nur für operative Eingriffe („Evacuation d’un utérus gravide par curetage ou aspiration“), nicht aber für medikamentöse Abbrüche. Da aber laut Experten die meisten Abtreibungen medikamentös vollzogen werden, werden sie gar nicht von der CNS erfasst. Damit die Frauen, die mithilfe von Medikamenten abtreiben wollen, überhaupt etwas für die Behandlung zurückbekommen, muss demnach getrickst werden. „Manche Ärzte berechnen den Abbruch als Ultraschall, manche berechnen eine herkömmliche Sprechstunde“, so Dr. Lemmer. „Einen Tarif für Abtreibungen gibt es aber bis heute nicht.“
Der politische Diskurs fehlt
Dr. Lemmer sieht die Wurzel des Problems mit den fehlenden Tarifen in der Politik. „Die Regierung hat sich dafür eingesetzt, dass das Gesetz durchkommt. Also hätte sie sich auch dafür einsetzen müssen, dass das Tarifverzeichnis der Gesundheitskasse angepasst wird“, sagt er. Dass die Gesundheit und die Sozialversicherung auf zwei Ministerien aufgeteilt seien, würden die Gespräche nicht gerade einfacher machen. „Der eine verweist auf den anderen – es ist wie bei einem Ping-Pong-Spiel.“ Schon der frühere Gesundheitsminister Mars Di Bartolomeo (LSAP) habe Rückerstattungstarife für gewollte Abbrüche versprochen. „Geschehen ist aber bis heute nichts“, so Lemmer.
Auch Catherine Chéry sieht den fehlenden Tarif als Problem an. Und das lässt sich ihrer Meinung nach nicht so leicht lösen. „Abtreibungen sind immer noch ein Tabuthema und Ärzte befürchten immer noch, als „Abtreiber“ wahrgenommen zu werden. So lange das so ist, werden die Gespräche nur schleppend vorangehen“, meint sie. Nicht nur aufseiten der Politik, sondern auch aufseiten der Ärzte – und der Gesellschaft.
Die Ärzte hoffen aber weiter. „Ende Januar soll es wieder ein Treffen zu Gesprächen geben“, versichert Dr. Lemmer. Er setzt auf den neuen Gesundheitsminister Etienne Schneider – und hofft, dass das Dossier jetzt wieder ins Rollen kommt. Weder das Gesundheitsministerium noch das Sozialversicherungsministerium wollten diese Gespräche allerdings bestätigen.
Schwangerschaftsabbrüche – das sagt das Gesetz
Gewollte Schwangerschaftsabbrüche („interruption volontaire de grossesse“ – kurz IVG) sind seit 2014 bis zur 12. Schwangerschaftswoche, beziehungsweise bis zur 14. Woche nach der letzten Regelblutung straffrei. Der Gesetzestext gilt als einer der liberalsten Europas. Die Abtreibung wurde aus dem Strafgesetz gestrichen, die Zwangsberatung wurde zum optionalen Beratungsgespräch, der Begriff Notlage („détresse“) wurde aus dem Gesetz entfernt. Außerdem wird Abtreibung seitdem laut Gesetzestext als Teil des öffentlichen Gesundheitswesens angesehen.
Eine Schwangere, die sich für eine Abtreibung entscheidet, muss mindestens drei Tage vor dem Termin einen Frauenarzt aufgesucht haben. Dieser muss die Schwangerschaft und das Stadium anhand eines Ultraschalls bestätigen. Der Abbruch muss von einem in Luxemburg zugelassenen Arzt, in einem Krankenhaus, oder beim Planning Familial durchgeführt werden.
Der operative Eingriff, also die Ausschabung oder Absaugung des Fötus, muss von einem Frauenarzt gemacht werden. Der medikamentöse Abbruch kann auch von einem Arzt durchgeführt werden, der kein Facharzt für Frauenheilkunde ist. Dafür benötigt er eine Vereinbarung mit einem Krankenhaus, das eine Gynäkologie-Abteilung hat und einen 24-Stunden-Bereitschaftsdienst anbietet. Er kann nach dieser Frist erfolgen, wenn zwei Ärzte schriftlich bestätigen, dass eine Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren oder des Ungeborenen besteht.
Minderjährige Schwangere brauchen ein Einverständnis der Eltern, eines gesetzlichen Vertreters oder einer volljährigen Vertrauensperson. Sie müssen vor dem Eingriff eine psychologische Beratungsstelle aufsuchen.