Ein anderer Wochenrückblick ist möglich: Pünktlich zum Wochenende blickt die REPORTER-Redaktion mit einem Augenzwinkern auf jene Themen zurück, die uns und die Medien insgesamt beschäftigt haben. Diese Woche: Die heiligste aller Reden und ein nie enden wollender Albtraum.

Wow. Was für eine Rede. „Unser Weg, unser Ziel“. Da hat der Premierminister aber mal richtig tief in die Kiste künftiger Wahlsprüche gegriffen. So mancher Möchtegernpolitiker wird da ganz neidisch angesichts so viel rhetorischen Talents. Xavier Bettel war halt einfach in seinem Element. Endlich konnte er wieder frohe Botschaften verkünden, ohne einen Plan zur Umsetzung vorlegen zu müssen.

Endlich war auch wieder Zeit, den guten alten Parlamentarismus voll ausleben zu können. Erstaunlicherweise fanden ausgerechnet die Parteien, die in der Regierung sind, alles supi, während die Opposition alles eher so lala einschätzte, wie auch „RTL“ herausfand. Was für ein Zufall, das gab es echt noch nie!

Vor allem bietet die Rede zur Lage der Nation für fleißige Redenschreiber die Gelegenheit, mal die schönsten Metaphern auszupacken, für die sonst einfach kein Platz ist. Ganz passend ist etwa Martine Hansens Aussage zur Klimakrise: „Als CSV sti mir fir eng Klimapolitik mat de Leit am Boot.“ So kann man natürlich alle Bevölkerungsgruppen ansprechen. Immerhin werden auch Klimaleugner, wenn es hart auf hart kommt, mit im Boot sitzen. Einen Klassiker lieferte indes Hansens Parteikollege Gilles Roth: „Mir hu kee weidere Wee fonnt, dowéinst hätt ech der Regierung gären ee Kompass geschenkt.“ Wir hätten uns dann zumindest erwartet, dass die CSV der Regierung auch tatsächlich einen Kompass schenkt. Sie hatte wohl aber einfach keinen gefunden, vielleicht liegt es auch daran, dass sie selbst den Norden verloren hat.

Absoluter Experte für griffige, weil gar nicht sperrige Metaphern ist jedoch Pierre Gramegna. „D’Riewen hunn d‘Dréchent net gäer, se hunn net gäer wann et ze vill reent, se hunn an sech och guer net gäer wann d’Wieder, also den Klima, ze vill onbestänneg an extrem ass. D’Riewen sinn an sech e gudde Barometer vum Klimawandel.“ Treffend formuliert, so versteht auch der letzte DP-Wähler die Klimakrise: Wenn es an unseren Wein geht, dann hört der Spaß auf!

Jesus Gramegna

Heiliger als die Rede zur Lage der Nation war natürlich nur noch das „Triple A“ des Finanzministers. Das nebenberufliche Liberal-Model lud die Abgeordneten in seine Weinberge ein. Als bibelfester Haushaltsherr kündigte er an, fast alle Kinder könnten von einem kostenlosen Mahl profitieren. Zuerst nahmen die Mindestlohnempfänger das Angebot an, dann erhöhte Jesus Gramegna die Lohnobergrenze für Berechtigte, bis am Ende selbst Kinder von Eltern berechtigt sind, die ein Gehalt beziehen, das viermal den Mindestlohn darstellt.

Jünger Sven Clement zeigte sich empört. Da könne man doch nicht mehr von mittlerem Einkommen sprechen, hier würden Menschen mit einem Gehalt von fast 9.000 Euro unterstützt. Da sprach Jesu Gramegna: „So wird es kommen, dass die Letzten die Ersten sind und die Ersten die Letzten.“ Jeder solle in das Reich des Triple A aufgenommen werden können.

Immer mehr Schulden, dafür aber bibelfest: Pierre „Jesus“ Gramegna mit seiner eigenen Bibel. (Screenshot: Wort.lu)

Aber genug vom Gleichnis des heiligen Pierre. Die schönste Mitteilung durfte nicht Xavier Bettel, sondern der beste Parlamentspräsident aller Zeiten zu Beginn des „Etat de la Nation“ verkünden. Das Parlament habe jetzt eine bessere Belichtung und eine bessere Tonqualität, so Fernand Etgen – vor allem aber gibt es endlich neue Bürostühle. Wurde auch Zeit: Die Stühle von Jean-Marie Halsdorf und Lydie Polfer zeigten auch wirklich bereits deutliche Verschleißspuren und mussten dringend ausgetauscht werden.

Nun hat die CSV allerdings ein Problem. Jean-Marie Halsdorf kündigte nämlich an, den neuen, bequemeren Sitz nie mehr herzugeben. Da hilft auch der beste 50-Punkte-Plan nichts.

50 shades of CS-grau

Die CSV tut sich bekanntlich schwer damit, den Weg aus der Opposition zu finden. Mal versucht sie es mit Müsli-Wasserstoff-Konservatismus à la Paul Galles, dann kommt Laurent Mosar wieder um die Ecke und predigt Law-and-Order und zum Schluss sagt Claude Wiseler dann auch noch „Asyltourismus“. Die neueste Volte bei diesem zwanglosen Werte-Shopping legte nun Martine Hansen ein. Denn bei den Debatten zur Rede zur Lage der Nation präsentierte die Co-Fraktionschefin endgültig den Weg aus der Krise für die CSV. Und der heißt K&K: Konservativer Kommunismus. Von wegen freier Markt, das Land braucht Planwirtschaft. Denn mittlerweile sei die Realität in Luxemburg „knëppelhaart“, weiß Martine Hansen. Ein kleines rotes Büchlein hat die Partei zwar noch nicht, dafür aber einen 50-Punkte-Plan. Und den trug die Fraktionschefin dann auch flugs in ganzer Länge vor dem Zentralkomitee der kommunistischen …, Pardon, der Chamber, vor.

Neben einem 9-Punkte-Programm für die Schule, je einem 13-Punkte-Plan für die Wohnungskrise und das Klima und einem 6-Punkte-Plan für die Wirtschaft gab es dann auch noch eine kleine, protektionistische Kirsche auf den kommunistischen Kuchen: Die Forderung nach einer luxemburgischen „Lex Koller“. Damit soll der Wohnungsmarkt vor ausländischen Investoren geschützt werden. Der selbsternannte „letzte Kommunist“ des Landes, Ex-Premier Jean-Claude Juncker, dürfte stolz gewesen sein auf seine konservativen Jungpioniere. Selbst der ehemalige Finanzminister und beste Freund der „High Net Worth Individuals“, Luc Frieden, beteiligt sich mittlerweile an der „Operation Zarte Morgenröte“ seiner Partei. Im Gespräch mit „Radio 100,7“ zeigte er sich nämlich „erstaunt“, dass es immer noch keine Reform der Grundsteuer gebe. Zudem sei eine Spekulationssteuer auf unbebautes Land und leerstehende Immobilien in einem „Solidaritätseffort richteg a noutwenneg“, so Luc Frieden. Na dann. #HastaLaVictoriaSiempre

Alle für einen

Kommunistisch unterwegs war diese Woche auch Xavier Bettel. In seiner Rede zur Lage der Nation hielt er sich zwar, wie gesagt, mit allzu konkreten Punkte-Plänen zurück. Doch unterschwellig präsentierte auch der Premierminister einen neuen strategischen Ansatz. Scheinbar ist eine Stimme Mehrheit dem ersten Bürgermeister des Landes nicht mehr genug. Neues Staatsziel: Die absolute Majorität im Parlament muss her. Natürlich vorerst ohne Wahlen, versteht sich. Dafür inspiriert sich Xav bei unseren Nachbarn und wendet klassisches Angela-Merkel-Kung-Fu an: Einfach die Forderungen der Opposition nach gewisser Zeit übernehmen und als die eigenen darstellen. #BettelRaute

Sven Clement, selbst politischer Freibeuter mit Hang zur absoluten postmodernen Beliebigkeit, hat den Trick natürlich sofort durchschaut und erkannte einen „moove Fuedem“ in der Rede des Premiers. Schließlich sei die Idee eines Klima-Bürgerrats ein Vorschlag der Piraten. Auch Martine Hansen war vom Bettel-Karate geflasht: „Mir hunn dat dach schon 2018 gefuerdert.“ Selbst knallharte Falken wurden ob der Worte von Xav plötzlich ganz handzahm. Fernand Kartheiser (ADR) wurde fast übel vor lauter Zustimmung: „Mir hunn eng Rei vun Sozial-Mesüren, déi annoncéiert gi sinn, wat eng gutt Saach ass. Dat mécht wahrscheinlech Konsensus a ganz villen Aspekter.“

Wenn Xavier Bettel es vor den nächsten Wahlen dann noch schafft, zehnmal schnell hintereinander „asymmetrische Mobilisierung“ zu sagen, dann dürfte dem Wahlerfolg endgültig nichts mehr im Weg stehen. Wobei eine Koalition zwischen allen Parteien im Parlament die Journalisten vor Probleme stellen dürfte. Denn Flaggen-Metaphern sind mit sieben Parteien gelinde gesagt schwierig. „Gambiaika-Koalition“ flutscht einfach schlecht über die Zunge. Und ob die ADR eine Regenbogen-Koalition am Ende wirklich mittragen würde, ist eher unwahrscheinlich. Deshalb schon jetzt unser Vorschlag für das blau-rot-lila-schwarz-grün-hellbau-dunkelrote Bündnis: die Matsch-Koalition. Denn darin spielt doch jeder gern.

Neues von Lydie Gaga

Apropos neue Koalitionen. Laurent Mosar fürchtete schon fast, er müsse mit den Grünen zusammenarbeiten. Eines Abends wacht der „Alderman of the city of Luxemburg“ auf und stellt fest, dass er in eine ungeheure Bürgerversammlung geraten ist. Er hielt diese grünversiffte Versammlung anfangs nur für einen Albtraum und stellte sich erst langsam den verschiedenen Konsequenzen der Mobilitätspolitik seiner Partei. Also ein bisschen. Der Schöffe der Stadt Luxemburg saß zwar auf dem Podium der Veranstaltung zum neuen Mobilitätsplan für die Hauptstadt, doch zu Wort kam er nicht.

Für einen kurzen Moment dachte Laurent Mosar, es wäre ein einfacher Traum. Spätestens als Lydie Polfer sagte, sie sei froh, dass Paris versuche, die Stadt Luxemburg nachzuahmen, konnte er aufatmen. „Wesst Dir, datt 87% vun de Strooßen an der Stadt Letzebuerg op Zone 30 sinn. Ah, a bon dat ass awer Fakt. Wat ech awer sou gutt wees wéi Dir, dat ass, datt dat net respekteiert gett“, so die Bürgermeisterin. Doch schnell verwandelte sich der Traum dann doch in ein Albtraum, der einfach nicht enden wollte.

Auf einmal fragt ein Mann aus dem Publikum, ob man vielleicht nicht erst Klimaziele für die Stadt festlegen sollte und den Mobilitätsplan danach diesen Zielen anpassen. „Wo kommen wir denn da hin!?“, dachte sich wohl Mosar. Er hatte keine Lust mehr und überließ Lydie Polfer und Fahrradfreund Patrick Goldschmidt die Bühne. Sein Albtraum hatte endlich ein Ende.

Wie nicht nur wir, sondern auch charismatische Parlamentspräsidenten wissen: Manche Albträume enden wohl nie …

„Re-fe-ren-dum!!!“ Parlamentspräsident Fernand Etgen im Angesicht des Pöbels. (Foto: Chambre des Députés)