Die Idee eines Verfassungsreferendums ist naiv und gefährlich. 20 Jahre arbeitete das Parlament hinter verschlossenen Türen am neuen Text. Jetzt ist es zu spät, die Bürger zu beteiligen. Ein Kommentar.

Mamer, Kinneksbond – es ist knapp ein Monat vor dem Referendum mit den drei Fragen. Fred Keup steht auf, bekommt das Mikrofon und wendet sich an die sechs Abgeordneten, die oben auf der Bühne sitzen. Die Vertreter der Parteien hatten zuvor ihre Positionen zu Ausländerwahlrecht, Wählen ab 16 und der Mandatsbegrenzung langatmig vorgestellt.

„Chamber on Tour“ nannte sich das. Die Politiker wollten ganz pädagogisch die Fragen der Bürger beantworten, doch die Bürger wollten vor allem ihre Meinung sagen. Die Stimmung an jenem Frühlingsabend war eindeutig die eines dreifachen Nein. Ein Heimspiel für Keup.

Salbungsvolle Politiker, „besorgte Bürger“ und am Ende ein Nein: Das gleiche Szenario wie 2015 droht, sollten Parlament und Regierung das Volk im Herbst 2019 über die neue Verfassung abstimmen lassen. Das Desaster wäre allerdings noch größer, denn bei einem Nein wäre fast das gesamte Parlament desavouiert. Und das Land würde eine Verfassung behalten, die man sich wie ein 150-jähriges Haus vorstellen muss, das Bretter und Nägel notdürftig zusammenhalten.

Die alternativlose Reform

Das Referendum von 2015 war dilettantisch vorbereitet aber sinnvoll. Die drei Fragen waren zwar teils so bizarr formuliert, dass selbst Vizepremier Etienne Schneider (LSAP) sie falsch verstand. Trotzdem waren die Alternativen klar: Ausländerwahlrecht ja oder nein?

Kommt es frühestens 2019 zur Abstimmung über die gesamte Verfassungsreform, dann ist bereits heute klar, wie die Politiker argumentieren werden: „Es ist eine notwendige Reform“, „Sie bekommen als Bürger neue Rechte“, „Der Stellenwert des Luxemburgischen wird gestärkt“, „Sogar Tiere erhalten mehr Rechte“.

Und das Killerargument wird sein: „Es gibt keine Alternative“. Tatsächlich ist es keine Option, die aktuelle Verfassung weiter in Kraft zu lassen. Doch das äußerst knappe Ja zum EU-Verfassungsvertrag 2005 war eine deutliche Mahnung, dass das Wahlvolk sich ungern als Klatschvieh missbrauchen lässt. Genau wie 2005 wird auch der neue Verfassungstext den Bürger als Ganzes vorlegt werden. Das heißt, das Volk stimmt über Alles und Nichts ab. In 133 Artikeln finden sich zweifellos Punkte, die ein Bürger gut findet, aber genauso welche, die er ablehnt. Was dann?

Ein Gewirr an politischen Kompromissen

Natürlich hat das Volk in einer Demokratie das Recht, mitzubestimmen, wie Christoph Bumb betont. Doch das läuft nicht immer wie erwartet. „Die Erfahrungen der letzten Referenden haben gezeigt, dass oft über Dinge diskutiert wurden, die nicht der Frage entsprachen, über die abgestimmt wurde“, sagte CSV-Spitzenkandidat Claude Wiseler dem Radio 100,7. Genau das ist aber die Folge, wenn die Politik Fragen stellt, die als solches nicht zu beantworten sind.

Die Abgeordneten arbeiten seit 1999 am neuen Verfassungstext und achteten immer darauf, dass eine Zweidrittelmehrheit hinter dem Text steht. Die dafür nötigen, ungezählten Kompromisse lassen sich nicht einfach wieder aufdröseln. Wenn diese aufgekündigt werden, dann könne man die neue Verfassung „mit einem Begräbnis dritter Klasse beerdigen“, sagte der Präsident der Verfassungskommission Alex Bodry (LSAP) dem Radio 100,7.

Es ist die Verantwortung jener Parteien, die die Kompromisse ausgehandelt haben, dazu zu stehen und im Parlament darüber abzustimmen. So funktioniert eine parlamentarische Demokratie.

Wenn es ernst wird, dann fragt man den Bürger nicht

Das Parlament entschied alleine, wenn aus Sicht der Parteien um wichtige Fragen ging. Als der Großherzog 2008 das Euthanasiegesetz nicht unterschreiben wollte, regelte die Politik das unter Männern im Staatsministerium. Das Parlament beschloss, dass der Großherzog Gesetze nicht mehr sanktionieren muss. Das Volk wurde nicht gefragt.

Als sich die Regierung im Januar 2015 mit den Glaubensgemeinschaften auf neue Konventionen einigte, beschlossen LSAP, DP, déi Gréng und die CSV die Trennung von Kirche und Staat in die neue Verfassung einzuschreiben. Sie nahmen eine Resolution an, die vorgibt, wie die entsprechenden Artikel geändert werden Die geplante vierte Frage zu Trennung von Kirche und Staat strich das Parlament aus dem Referendum. Alles war geregelt, die Bürger brauchte man nicht.

Aus der „dunklen Dunkelkammer“

Das ist eine Konstante: Während den 20 Jahren in denen die parlamentarische Kommission an der neuen Verfassung arbeitete, war sie selten am Austausch mit den Bürgern interessiert. Zwischen 2005 und 2009 arbeitete die damalige Verfassungskommission völlig abgeschottet an einem ersten Entwurf. „Als wir 2009 den ersten Text machten, haben wir versucht die Reform während der Wahlkampagne anzusprechen“, erklärte der damalige Präsident der Kommission Paul-Henri Meyers (CSV) Radio 100,7. „Dann waren schließlich doch andere Themen wichtiger“, so Meyers.

Jean-Claude Juncker sagte 2005, der EU-Verfassungsvertrag sei in der „dunklen Dunkelkammer“ des Konvents entstanden. Wenig anders war es in Luxemburg: Die Parlamentskommission ignorierte weitgehend Vorschläge aus der Zivilgesellschaft und der Experten der Uni Luxemburg. Dann kam 2015 der Sinneswandel: Bürger konnten nun Vorschläge über die Seite Ärvirschléi.lu einreichen. Doch das aufwändige Prozedere blieb ein Feigenblatt. Das Ergebnis fiel mit Änderungen zu Tier- und Kinderrechten äußerst bescheiden aus.

Am Ende sollen die Bürger klatschen

Der einzige Grund für ein Referendum ist die Legitimierung der neuen Verfassung durch das Volk. Doch die Entstehungsgeschichte des Textes ist geprägt von einer Überheblichkeit der Politik. Und so wünschen sich die „Gründungsväter“ im Wesentlichen, dass die Bürger ihr grandioses Werk zum Abschluss beklatschen – indem sie einen Stimmzettel abgeben.

Das ist naiv und gefährlich. 1999 erschien es als denkbar, dass die Luxemburger auf „ihre“ Parteien hören und das neue Grundgesetz abnicken. Doch inzwischen haben soziale Medien – die es damals nicht gab – die politische Debatte auch hierzulande verändert. Kleine Gruppen finden in Facebook und Co. den idealen Verstärker – wie etwa „Nee 2015“. Sie werden sich die Gelegenheit eines Referendums nicht entgehen lassen.

Eine fehlende Strategie, ein falsches Verständnis von direkter Demokratie und das Unterschätzen von populistischen Strömungen führten zum politschen Desaster von 2015. Damit sich die Geschichte nicht wiederholt, ist es jetzt Zeit für Schadensbegrenzung. Deshalb gilt: Jeder, der für die neue Verfassung ist, muss eigentlich gegen das Referendum sein.