Die Kontroverse um die widerwilligen Kandidaten auf der „Demokratie“-Liste offenbart ein durchaus luxemburgisches Phänomen. Bei fast jeder Wahl seit 1945 kandidierten Randparteien, die meistens schnell wieder verschwanden. Ein historischer Rückblick. 

Er ist der wohl unermüdlichste Kandidat der vergangenen 50 Jahre: Sechs Mal trat Jemp Bertrand zwischen 1968 und 1999 bei den Parlamentswahlen an. Ins Parlament gewählt wurde er nie. Einen bleibenden Eindruck hinterließ er trotzdem. Denn der streitbare Steuerbeamte grenzte sich konsequent vom etablierten Luxemburger Parteiengefüge ab.

Nach einer Kandidatur für die Demokratische Partei (DP) bei den Wahlen von 1968, ging Bertrand eigene Wege. 1974 gründete er seine erste Partei, die „Liberal Partei Lëtzebuerg“. Das „Lëtzebuerger Land“ berichtete damals, es hätten 60 bis 80 Leute der Gründungsversammlung im Café du Commerce beigewohnt. Allerdings seien „höchstens die Hälfte der Zuhörer“ der Einladung „aus gesinnungsmäßiger Neigung zum querulaten Gemeinde- und dissidenten Parteipolitiker“ gefolgt. Die restlichen Anwesenden seien Journalisten und „Beobachter der anderen Parteien“ gewesen, denen die Veranstaltung „höchst lächerlich oder wenigstens folkloristisch“ vorkam.

Die vier Parteien des Jemp Bertrand

Bertrand ließ sich allerdings nicht durch öffentliche Kritik beirren. Seine Karriere liest sich wie die Chronik eines politischen Randdaseins: Bei den Parlamentswahlen 1974 und 1979 trat seine „Liberal Partei“ jeweils mit einer kompletten Liste im Zentrumsbezirk an, ohne einen Sitz zu ergattern. In der Folge gründete er drei weitere Parteien, die bei den Nationalwahlen antraten: 1989 die „Republikanesch Partei“, 1994 die „Partei fir regional a réel Politik“ und 1999 „De Stéierzueler“.

Wahlspot der „Republikanesch Partei“ des Jahres 1989. (Quelle: RTL/Hei Elei, CNA)


Der gebürtige Münsbacher, der 2008 verstarb, verkörpert ein Phänomen, das zu Wahlen dazugehört wie Elefantenrunden und Plakate. Seit 1945 nahmen an fast jedem Wahlgang neugegründete Parteien Teil, die nach den Wahlen oft schnell wieder in Vergessenheit gerieten. Dass dieses Jahr keine Ausnahme bildet, ist spätestens seit der Polemik um unfreiwillige Kandidaten auf der „Demokratie“-Liste bekannt.

Das Rekordjahr 1989

Den bisherigen Höhepunkt dieser Entwicklung gab es bei den Parlamentswahlen 1989 als sich insgesamt 16 Parteien zur Wahl stellten. Elf davon waren zuvor noch nie angetreten. Neben der „Republikanesch Partei“ des hartnäckigen Jemp Bertrand waren es das „Aktiounskomitee 5/6 Pensioun fir jiddfereen“ (die spätere ADR), die „Gréng Alternativ Allianz“ (GRAL), die „Gréng Lëscht Ekologesch Initiativ“ (GLEI), die „Ekologisten fir de Norden“, die „Lëscht fir den Éislécker an eng regional Politik“ (LERP), die „RSP – Géint Rassismus a Faschismus“, die „Bürgerpartei Luxemburg“ (ein Kandidat), „Firwat nët“, die „National Bewegong“, und die ebenfalls „Lëscht fir de moderéierte Lëtzebuerger – Krëschtlech Volléksdemokraten“.

Politisch waren gleich mehrere dieser Gruppierungen dem rechts-nationalen Spektrum zuzuordnen. Die von Pierre Peters gegründete rechtsradikale „National Bewegong“ trat in drei Bezirken (Süden, Zentrum und Osten) unter dem unmissverständlichen Slogan „Lëtzebuerg de Lëtzebuerger“ an. Im Norden wurde das nationalistische Lager von der LERP vertreten, und auch hinter der „Lëscht fir de moderéierte Lëtzebuerger“ im Zentrum steckte eine von Georges Dessouroux angeführte ausländerfeindliche Partei. Dessouroux‘ nationalistische Vergangenheit veranlasste die Piratepartei 2013, ihn von ihrer Wahlliste zu streichen.

Wahlspot der „National Bewegong“ des Jahres 1989. (Quelle: RTL/Hei Elei, CNA)


In ihrer Radikalität bilden die offen nationalistischen Parteien der späten 1980er und frühen 1990er eine Ausnahme. Eine ablehnende Haltung gegenüber Einwandern ist jedoch ein wiederkehrendes Leitmotiv unter Luxemburger Randparteien. Jemp Bertrand forderte bereits 1974 „die nationale Arbeitskraft zu erhalten, um die Ausländer fernzuhalten“. Auch bei „Demokratie“ und „Déi Konservativ“, die dieses Jahr erstmals antreten, spielt das Thema „Immigration“ eine wichtige Rolle. So fordern die „Konservativ“ in ihrem Programm eine „restriktivere und konsequentere Asylpolitik“. Die „Demokratie“-Liste forderte indes ein Referendum darüber, ob „Flüchtlinge die die öffentliche Ordnung gefährden das Land verlassen müssen.“

Nicht zum Scheitern verdammt

Bislang konnte sich keine dieser Parteien dauerhaft am rechten Rand des Parteienspektrums etablieren. Das außergewöhnlich vielfältige Parteienfeld von 1989 zeigt aber auch, dass Parteigründungen nicht per se zum Scheitern verurteilt sind. Denn zwei Parteien, die heute fester Bestandteil der Luxemburger Parteienlandschaft sind, sammelten damals erstmals nationale Wahlkampferfahrung. Die heutige ADR ergatterte als „Aktiounskomitee 5/6 Pensioun fir jiddfereen“ vier Abgeordnetenmandate. Die grünen Splittergruppen „Gréng Alternativ Allianz“ und „Gréng Lëscht Ekologesch Initiativ“ brachten es beide auf jeweils zwei Mandate.

2003 wurde übrigens das Wahlgesetz geändert, um zu verhindern, dass neue Randparteien sich ungezügelt vermehren. Seither werden in jedem Bezirk 100 Unterschriften von Bürgern verlangt, um eine Kandidatenliste anzumelden. Zuvor waren nur 25 Unterschriften nötig. Bislang hatte die Änderung nur mäßigen Erfolg, denn seither trat bei jeder Parlamentswahl mindestens eine neugegründete Partei an: 2004 die „Fräi Partei Letzebuerg“ (FPL), 2009 die „Biergerlescht“ des ehemaligen ADR-Abgeordneten Aly Jaerling, 2013 die Partéi fir Integral Demokratie (PID) und die Piratenpartei, und dieses Jahr „Demokratie“ und „Déi Konservativ“.

Für beide Parteien wird es, auch abgesehen von internen Kontroversen, eine Herausforderung eine langlebige Parteibasis aufzubauen. Sollte es nicht klappen, bleibt hartnäckigen Kandidaten immer noch die Option Ausschau nach einer neuen Partei zu halten. Jean Erfeld hat mittlerweile Übung darin. Der frühere Milchmann wagt im Oktober seinen vierten Versuch: Nach „Déi Lénk“ (1999), der selbstgegründeten „FPL“ (2004) und der „Biergerlescht“ (2009), versucht er es diesmal bei „Déi Konservativ“. Jemp Bertrand lässt grüßen.