In Sachen Plastikverbot gilt Ruanda weltweit als Vorreiter. Seit rund zehn Jahren sind bestimmte Plastikprodukte aus dem ostafrikanischen Staat verbannt. Doch die von der autoritären Regierung verordnete Strategie hat ihren Preis.

Die Grünflächen sind stets haargenau getrimmt. Nicht ein Grashalm steht in die falsche Richtung. Die Straßen sind blitzeblank. Abfall sucht man vergebens – und sei es nur ein Kaugummipapier.

Wer schon einmal in die Hauptstadt Ruandas gereist ist, weiß, wieso die Republik im Osten Afrikas auch noch die „Schweiz von Afrika“ genannt wird. Jeden Morgen bringen fleißige Arbeiter die Parks und Straßen des Regierungsviertels in Kigali auf Vordermann, fegen die Bürgersteige, bis auch das letzte Staubkorn verschwunden ist.

Ruanda gilt als das sauberste Land Afrikas. Besonders im Umgang mit Plastikmüll ist der Staat der EU um Jahre voraus. In Europa ist der Kunststoff erst dieses Jahr, im Rahmen der EU-Plastikstrategie zum akuten Thema geworden. Im Oktober verabschiedete das Europäische Parlament ein Teilverbot für Einwegplastik – die Richtlinie muss jedoch noch vom Rat abgesegnet werden.

Staatlich verordneter Umweltschutz

In Ruanda gibt es bereits seit 2007 ein Verbot von Polyethylen-Plastik. Weitere Einschränkungen folgten. Plastiktüten, Kaffeekapseln oder Einwegbecher sucht man im afrikanischen Binnenstaat vergeblich.

Umweltschutz ist eine der großen Prioritäten von Ruandas autoritärem Präsidenten Paul Kagame. Über Radio und Fernsehen werden die Bürger für den respektvollen Umgang mit der Natur sensibilisiert. In den Schulen lernen die Kinder, welche Konsequenzen ihr Verhalten für das Ökosystem haben kann. Regelmäßig finden groß angelegte Aufräumaktionen statt.

Wer das Plastikverbot nicht befolgt, kann sogar mit Gefängnisstrafen rechnen.“Lis Kayser, Anthropologin

Wer am Flughafen von Kigali landet, muss erst sein Gepäck zur Durchsuchung vorzeigen. Nicht etwa weil die Autoritäten konsequent gegen Drogenschmuggel vorgehen. Sondern weil kein Plastik in das Land gebracht werden darf – nicht einmal die transparenten Handgepäckbeutel für Flüssigkeiten dürfen den Flughafen verlassen.

Dem Präsidenten Paul Kagame geht es aber nicht ausschließlich um den Naturschutz, erklärt Lis Kayser. Die Luxemburgerin hat ihre Masterarbeit über das Müllmanagement in Ruanda geschrieben. „Das Land soll attraktiv werden für Investoren. Es soll eine Art Singapur Afrikas werden.“

Ein Land mit einer modernen Vision

Dieser Wunsch kommt nicht von ungefähr. Seit den 1990er Jahren stand der afrikanische Binnenstaat stellvertretend für Leid und Elend. Beim Genozid gegen die Tutsi 1994 kamen rund eine Million Menschen ums Leben. Es folgte eine der schlimmsten humanitären Krisen dieses Jahrhunderts, als in den angrenzenden Flüchtlingscamps die Cholera ausbrach.

Es war die RPF-geführte Regierung unter Kagame, die das Land wieder aufbaute. Heute weichen in Kigali die traditionellen Lehmhütten modernen Hochhäusern. Die Naturparks werden streng reguliert. Supermärkte ersetzen die lokalen Märkte. Und erst kürzlich wurde der Import von Second-Hand Kleidern und Schuhen verboten.

Neu muss alles sein, und sauber. Im Rahmen der sogenannten „Vision 2020“-Strategie ist genau definiert, was Ruanda zukünftig sein soll: Eine moderne, wissensbasierte Nation mittleren Einkommens.

Militärstaat mit eigener Plastikpolizei

Die Umstellung auf ein mehr oder weniger plastikfreies Land folgte von einem Tag auf den anderen. Lange Übergangszeiten, wie sie die EU-Strategie vorsieht, gab es in Ruanda nicht. Das liegt auch an dessen Regierungsführung. Obwohl Ruanda sich formal als Demokratie bezeichnet, herrscht Kagame mit eiserner Hand. „Ruanda ist ein Militärstaat“, bestätigt Lis Kayser.

Menschenrechtsorganisationen wie „Human Rights Watch“ berichten regelmäßig von starken Einschränkungen der Redefreiheit, der Unterdrückung von politischen Gegnern, von Folter und Gewalt gegen die Zivilgesellschaft. Im weltweiten Index der Pressefreiheit liegt Ruanda auf dem 156. Platz.

„Die Gesetzeslage ist extrem streng. Es gibt regelmäßige Kontrollen. Wer das Plastikverbot nicht befolgt, kann sogar mit Gefängnisstrafen rechnen“, berichtet Lis Kayser. Damit das Gesetz eingehalten wird, wurde eigens eine Plastikpolizei gegründet.

Neu muss alles sein, und sauber: Ruandas Hauptstadt Kigali gehört zu den saubersten Städten Afrikas. (Foto: Charlotte Wirth)

„Doch die Ruander sind auch stolz darauf, dass das Verbot so effektiv umgesetzt wird“, ergänzt die junge Forscherin. Das liege auch an der intensiven Sensibilisierungsarbeit, die die Regierung seit dem Verbot unternehme. „Jeder hat verstanden, wieso Plastik nicht gut ist, was es mit der Natur anstellt und dass es auch der Gesundheit schadet.“

Zudem sei der gesellschaftliche Druck hoch: Wer sich nicht an die Regeln hält, verliert sein Ansehen. Jeden letzten Tag des Monats wird das Land sauber gemacht. Jeder ist per Gesetz dazu aufgefordert, am sogenannten „Umuganda“ teilzunehmen und seinen Dienst für die Gemeinschaft zu leisten. Es werden Straßen gefegt und ausgebessert, Bäume gepflanzt, oder Müll aufgesammelt.

Große Umstellung für Produzenten

Nicht nur die Hauptstadt, der gesamte Staat sei vergleichsweise sauber, wenn auch nicht so extrem wie Kigali, erzählt Lis Kayser. Die Ruander seien schon vor dem Plastikverbot sehr umweltbewusst gewesen. „Schon in den 1960ern hat das Land eine strenge Umweltschutzstrategie entwickelt. Da gab es in Europa noch nicht einmal eine Debatte zum Thema.“

Die Redefreiheit ist extrem eingeschränkt. Es ist unklar, wie viel Wahrheit in den positiven Berichten steckt.“Lis Kayser

Besonders für die Menschen, die mit Plastik oder dessen Produktion Geld verdienen, war die Umstellung schwierig, erklärt die junge Forscherin. Gerade auf den Märkten seien viele Menschen erst skeptisch gewesen, da Plastiktüten die billigste Verpackungsoption sind. „Doch sie mussten sich etwas einfallen lassen. Jetzt nutzen sie zum Beispiel Bastkörbe.“

Firmen, die zuvor Plastik produzierten, haben sich laut Kayser neu aufgestellt und sich zum Beispiel auf die Produktion von Plastik-Alternativen oder auf Recycling spezialisiert. Demnach eröffnete das Plastikverbot neue Marktnischen. Lis Kayser gibt aber auch zu bedenken: „Die Redefreiheit ist extrem eingeschränkt. Es ist unklar, wie viel Wahrheit in den positiven Berichten steckt.“

Recycling als neue Herausforderung

Die studierte Anthropologin kam im Zuge ihrer Recherchen zum Schluss, dass der Recyclingsektor in Ruanda sich in den letzten Jahren stark entwickelt hat. Die Müllabfuhr etwa wird nun von privaten Unternehmen organisiert. „In Kigali muss jeder einen Vertrag mit einer Müllabfuhrfirma haben.“

Obwohl die Preise proportional zum Einkommen berechnet werden, bedeutet das für viele Haushalte eine große finanzielle Bürde. Ruanda ist schließlich nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt. „Manche Haushalte tun sich zusammen, um den Vertrag bezahlen zu können“, erklärt Lis Kayser.

Umweltschutz als Teil der Modernisierung: Ruanda soll das „Singapur Afrikas“ werden. (Foto: Charlotte Wirth)

Aktuell werden nur rund zehn Prozent der Abfälle in Ruanda recycelt, so die Anthropologin. Die restlichen 90 Prozent landen auf Mülldeponien. Je mehr sich der Staat in Westafrika modernisiert, je mehr Müll produziert er.

Das Abfallsystem will die Regierung nun aber verbessern. Ein modernes Müllentsorgungssystem wurde bereits eingeführt. In einem zweiten Schritt will Kigali die Wiederverwertung von Abfallprodukten vorantreiben. Besonders aus den Plastikabfällen, die noch erlaubt sind, sollen neue Produkte entstehen.

Negative Folgen werden ausgeblendet

Von den negativen Konsequenzen des Plastikverbots wird aufgrund Kagames strenger Führung kaum berichtet – etwa darüber, welche Auswirkungen das Plastikverbot auf die ärmsten Bewohner Ruandas hat.

Die Journalistin Sophie Pilgrim hat 2016 versucht, diese Frage zu beantworten. Sie hat insbesondere jene Menschen befragt, die unter großem Risiko Plastik aus dem angrenzenden Kongo nach Ruanda schmuggeln. Besonders Händler und Lebensmittelverkäufer können sich die teuren Alternativen oft nicht leisten und landen deswegen regelmäßig im Gefängnis. Auch Human Rights Watch berichtete 2015 bereits von willkürlichem Vorgehen gegen Straßenverkäufer.

Vor diesem Hintergrund scheint klar: Zwar ist Ruanda der EU in Sachen Plastikbekämpfung einen großen Schritt voraus. Es ist aber fraglich, ob das System so gut funktionieren würde, wäre Ruanda kein autoritärer Staat. Den Preis für das strenge Verbot und für Ruandas Vision einer modernen Nation zahlen vor allem die ärmsten Bevölkerungsschichten.