Die Debatte über Bildungsthemen fördern und Denkanstöße für Reformen geben: Genau das will eine neue Stiftung mit finanzieller Unterstützung des Staates erreichen. Wie sie das genau umsetzen will, ist allerdings noch nicht ganz klar. Eine Analyse.
„Bildung brauch d’Gesellschaft, d’Gesellschaft brauch Bildung“: Der Leitsatz der neu gegründeten „UP Foundation“ klingt erst einmal nicht nach einer revolutionären Idee. Es soll jedoch den Wunsch der Stiftung umschreiben, der da heißt: Kinder zu „mündigen und selbstbewussten Erwachsenen“ und „qualifizierten Arbeitnehmern“ machen. Beides gehört für die vom Bildungsministerium mitfinanzierte Stiftung zusammen.
Um diese Selbstentwicklung zu fördern, will die „UP Foundation“ Initiativen, Projekte und Programme unterstützen, die „helfen, das unterschiedliche Potenzial von Kindern und Jugendlichen zu entfalten“. Es bedürfe unterschiedlicher Ansätze, um die individuellen Stärken von Kindern zu fördern und zu verhindern, dass Schwächen im Lernprozess zum Hindernis werden. Um dies zu erreichen, will UP den Bürgerdialog rund um das Thema Bildung ankurbeln. Viel konkreter wurde man bei der Einweihung der Stiftung in der vergangenen Woche jedoch nicht.
Dabei können Denkanstöße zur Bewältigung der strukturellen Herausforderungen im luxemburgischen Bildungssystem sicher nicht schaden. Immerhin kämpfen nicht nur ausländische Schüler hierzulande noch oft mit einem rigiden Schulprogramm. Hinzu kommt das Problem der Schulabbrecher: Jedes Jahr sind es 1.700. Mehr als 3.000 Menschen zwischen 16 und 24 Jahren sind in Luxemburg weder in der Schule, noch in Ausbildung oder in Arbeit.
Unternehmergeist und Staatszuschuss
Die „UP Foundation“ setzt laut eigener Aussage auf kreative Lösungen. Gewissermaßen kreativ ist auch ihr Ansatz, sich nicht gegen das Schulministerium zu richten und nicht in dauerhafter Fundamentalopposition zur Regierungspolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte zu stehen. Dabei hätte eine Bürgerplattform gegen das aktuelle Schulsystem sicherlich genauso viel, wenn nicht sogar mehr Anhänger gefunden. Doch „UP“ will nicht meckern, sondern handeln bzw. die Politik zum Handeln auffordern.
Der Ansatz der Stiftung deckt sich mit der Lebenseinstellung mancher beteiligter Akteure, die zum Teil aus dem Unternehmermilieu stammen. Der Selbstständige und frühere CEO von Ernst & Young, Raymond Schadeck, ist Präsident des Verwaltungsrats, die Unternehmerin und kurzzeitige Abgeordnete von Déi Gréng, Christiane Wickler, Vizepräsidentin. Die Gruppe der Stiftungsgründer umfasst aber Vertreter aus unterschiedlichsten Bereichen der Gesellschaft.
Ich sehe die Stiftung ganz klar als Lobby.“Bildungsminister Claude Meisch
Ihr Motto für die Begleitung der Bildungspolitik lautet: Kooperation statt Opposition. Nicht nur die Beteiligung von Schadeck erinnert dabei an die Denkfabrik „5vir12“ vor den letzten Parlamentswahlen. Ganz so dringend und dramatisch wie damals der finanz- und wirtschaftspolitische Reformstau scheint die Lage des Bildungssystems für „UP“ aber nicht.
Ganz bewusst haben sich die „Denker“ bereits an das Bildungsministerium gewandt, als die Idee ihrer Stiftung noch in den Kinderschuhen steckte. Nach dem Motto: Gemeinsam erreichen wir mehr als allein bzw. gegeneinander. Gelohnt hat sich diese bewusst gesuchte Nähe bereits: Bildungsminister Claude Meisch (DP) nahm letzte Woche gleich an zwei Abenden höchstpersönlich an den Einweihungs-Events von „UP“ teil. Nicht zuletzt ist der Nutzen auch finanzieller Natur: 500.000 Euro steuert das Bildungsministerium der Stiftung als Starthilfe bei.
Keine politische Agenda
Dennoch pocht die neue Stiftung auf ihre Unabhängigkeit und besteht darauf, keine einseitige Interessengruppe zu sein. Die halbe Million Euro, die die Stiftung als einmaligen Zuschuss vom Ministerium erhalten hat, soll sie keineswegs zu einem Fan-Club der Regierung machen. Im Gegenteil: Die Steuergelder sollen dazu dienen, die Unabhängigkeit der Stiftung zu wahren und verhindern, dass ein Spender seine eigenen Interessen durchsetzen würde.
„Das neutralste Geld ist das der Bürger“, meint dazu die Direktorin der „UP Foundation“ Liz Kremer-Rauchs. Und um jegliche Neutralitätszweifel zu entkräften, lässt die Direktorin ihren Posten als Koordinatorin der Abteilung „Service projets et stratégies“ des Bildungsministeriums zumindest vorübergehend ruhen. Der Job sei schlicht inkompatibel mit ihrer neuen Mission, sagt sie.
Wir wollen eigentlich die Bandbreite von dem zeigen, was möglich ist, ohne dabei unbedingt in das Schulsystem einzugreifen.“UP-Direktorin Liz Kremer-Rauchs
Um die Bildungsdebatte anzukurbeln, wurde am ersten Diskussionsabend vergangene Woche der Dokumentarfilm „Une idée folle“ ausgestrahlt, in dem der Nutzen von alternativen Lernmethoden auf die Fähigkeiten der Kinder nahezu glorifiziert wird. „L’idée folle de créer l’école du 21e siècle“, so das Motto des Abends.
Doch sollen alternative Lernmethoden keineswegs im Mittelpunkt des angestrebten „Bürgerdialogs“ stehen, versichert Liz Kremer-Rauchs. Auch der konventionelle Frontalunterricht habe seine Daseinsberechtigung. „Wir wollen die Bandbreite von dem zeigen, was möglich ist, ohne dabei unbedingt in das Schulsystem einzugreifen“, formuliert es die Direktorin.
Der „UP Foundation“ geht es weniger um alternative Schulansätze oder pädagogische Konzepte als um einen innovativen Ansatz. Ganz konkret will UP aber noch nicht werden. Aus ihren Überzeugungen und Leitsätzen lässt sich allerdings bereits herauslesen, dass Konformität nicht unbedingt die Lösung für alle sein kann.
Kein konkretes Selbstverständnis
In Luxemburg hat sich in den vergangenen Jahren bereits viel getan, unter anderem in puncto öffentliche internationale Schulen. Unter den 156 öffentlichen Grundschulen bieten jedoch nur wenige alternative und innovative Lernmodelle an, die die unterschiedlichen Talente der Kinder gezielt aufwerten und fördern. Dieses Angebot begrenzt sich gegenwärtig auf die inklusive Schule „Eis Schoul“ in Kirchberg oder die Ganztagsschule „Jean-Jaurès“ in Esch/Alzette. Beide starteten als Pilotprojekte und sollen dies voraussichtlich noch länger bleiben – dies obwohl „Eis Schoul“ bereits ihr zehnjähriges Jubiläum feierte.
Dem Bildungsministerium zufolge bieten insgesamt sieben Privatgrundschulen aktuell ein anderes Schulprogramm an, wobei sich „anders“ auf das Angebot der öffentlichen Schulen bezieht und nicht unbedingt durch ein grundlegend anderes pädagogisches Konzept geprägt ist.
Ich denke, dass Fragen rund um Bildung ausführlicher und kontroverser diskutiert werden sollen.“Bildungsminister Claude Meisch
Doch auch das öffentliche Angebot wandelt sich. Ein Beispiel ist das Konzept der „bewegten Schule“, in dem die physische Bewegung während 15 bis 20 Minuten am Tag zum Bestandteil des Unterrichts wird – „lire en marchant, apprendre son vocabulaire dans l’escalier, décliner les verbes en chantant“, heißt es auf der diesbezüglichen Webseite. Die Idee wurde vor genau zwei Jahren im Bildungsministerium vorgestellt. Der Ansatz soll positive Auswirkungen auf den Lernprozess und die Konzentration der Kinder haben.
Wie sollen denn nun unterschiedliche Talente „differenziert gefördert“ werden, wie es die „UP Foundation“ will? Man habe keine Patentrezepte parat. „Es geht uns nicht unbedingt darum, die Schule zu reformieren, sondern darum, Denkanstöße zu geben“, so die recht abstrakte Antwort der Direktorin. Auf wiederholte Nachfrage hin sagt sie: „Es ist unser Ziel, das Bildungssystem weiterzubringen und eventuell zu verbessern.“
Keine Reformideenfabrik
Und wie sieht es der Bildungsminister? „Ich denke, dass Fragen rund um Bildung ausführlicher und kontroverser diskutiert werden sollen“, so Claude Meisch (DP) im Gespräch mit REPORTER. „Ich denke, dass eine Stiftung die Debatte ankurbeln und animieren kann.“
Für ihn steht die Daseinsberechtigung der Stiftung außer Frage. Zumal es in Luxemburg keine Kultur von Bildungsstiftungen gibt, wie das beispielsweise in Deutschland oder im anglo-amerikanischen Raum der Fall ist. Die Diskussionen dürften sich nicht auf die Vorschläge der Politik und die Forderungen von Gewerkschaften und Lehrpersonal beschränken, so Meisch im Hinblick auf den üblichen Verlauf der bildungspolitischen Debatte in Luxemburg. „Die Bildung ist im Sinne der Gesellschaft und ich denke, dass man der Gesellschaft auch die Möglichkeit geben sollte, sich diesbezüglich zu engagieren“, meint der Minister.
Der Bildungsminister ist jedenfalls bereit, sich auf die Debatte einzulassen. Wie weit diese führen wird, ist allerdings unklar. „Ich kann mir vorstellen, dass ‚UP‘ Initiativen ergreifen wird und im Rahmen der Debatte Vorschläge formulieren und die Arbeit der Regierung zum Teil auch kritisch betrachten wird“, sagt Meisch. Anders sieht das allerdings die Direktorin der Stiftung. „Es ist nicht unsere Rolle, dem Minister Vorschläge zu unterbreiten“, sagt Liz Kremer-Rauchs. Meisch versteht, wie das gemeint ist. „Es geht keineswegs darum, dass ‚UP‘ in unserem Auftrag ein neues Bildungssystem erfindet“, nuanciert er.
Innerhalb des Bildungsministeriums gibt es gegenwärtig keine Abteilung, die sich exklusiv mit Reformvorschlägen für die Zukunft befasst. Anders als es der Name der Abteilung „Service projets et stratégies“ vermuten lässt, ist diese nicht für das Formulieren von Reformideen zuständig, wie Meisch erklärt. Diese Abteilung sei mit der Umsetzung der innerhalb der Regierung vereinbarten Reformprojekte befasst – rund 100 Reformansätze seien es allein in dieser Legislaturperiode gewesen.
„Unabhängig, aber nicht neutral“
„UP Foundation“ ist noch auf der Suche nach ihrer Rolle. Bis auf Weiteres ist sie auf eine konstruktive Debatte aus und so sieht es auch Meisch. „Wenn ich sehe, wie sie sich aufstellen und sich konzeptuell definieren, sehe ich keinen Widerspruch zu der Art und Weise, wie wir als Bildungsministerium bereits versuchen, uns weiter zu entwickeln“, unterstreicht er.
Wird UP also Lobbyarbeit betreiben? „Nein, wir sind keine Lobby“ sagt Liz Kremer-Rauchs. Und auch hier ist sie mit Claude Meisch nicht ganz auf einer Wellenlänge. „Ich sehe die Stiftung ganz klar als Lobby“, betont er. Als Lobby für wen oder was, sagt er aber nicht. Und genau deshalb passt das Wort Lobby nicht in das Vokabular der „UP Foundation“ – weil sie sich selbst eben nicht als Interessenvereinigung sieht.
Klar ist jedenfalls bereits jetzt, dass die „UP Foundation“ sich früher oder später nicht komplett aus der Politik heraushalten können wird, wenn sie die Debatte wirklich bereichern will. Parteipolitik soll aber tabu bleiben. Oder wie es Liz Kremer-Rauchs selbst formuliert: „unabhängig, aber nicht neutral.“ Wie das möglich ist? „UP hat konkrete Werte und Ideale, zu denen wir stehen. Wir verfolgen keine Einzelinteressen, sondern denken an die nächste und übernächste Generation. Wir vertreten die Interessen der Bildung und des Kindes.“
Den Mangel an Konkretem versteht die Stiftung demnach als bewusste Entscheidung. Sie will den erst eingeleiteten Denk- und Debattenanstoß jedenfalls nicht in eine bestimmte Richtung beeinflussen.