Die Islamische Republik Iran hat ein kompliziertes Verhältnis zur Musik. Doch in den letzten drei Jahrzehnten hat sich einiges verändert. Die Politik ist aber nie fern.

Der weitläufige Tajrish-Platz ist das Herz von Teherans Norden. Hier wird im Basar gefeilscht, im großen blauen Schrein gebetet oder in einem der zahllosen Coffeeshops der Lifestyle von europäischen Metropolen imitiert. Tajrish ist in den letzten Jahren auch zu einem beliebten Standort von Straßenmusikern avanciert. An der Fußgängerbrücke spielen Geiger, am Metro-Eingang Santur-Virtuosen und an einer Ladenecke versuchen sich zwei Teenager mit Rocksongs als Gitarrenduo.

Musik in den Straßen von Teheran — das wäre noch vor zehn Jahren eher schwierig, vor zwanzig Jahren jedoch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen. Denn der heutige Iran hat eine kompliziertes Verhältnis zur Musik: Die Islamische Revolution von 1979 führte in dem Land nicht nur zu einem politischen Einschnitt, sondern auch dazu, dass die kulturelle Landschaft des Iran umgekrempelt wurde. Romane und Gedichte wurden zensiert, universitäre Einrichtungen auf Staatslinie gebracht und Kunst weitestgehend aus dem öffentlichen Raum verbannt.

In ihrem anti-imperialistischen revolutionären Eifer sahen die neuen Herrscher Musik – zumal oft verwestlicht – als einen der Hauptgründe für die Korrumpierung der Jugend. Khomeini verglich Musik mit Opium, das die Menschen einlulle und ihnen die Kraft zum Denken nehme. Daher ließ der Revolutionsführer ein Totalverbot gegen jede Art von Musik verhängen.

Doch die puristische Staatsutopie der Islamischen Revolution wurde schon bald von der Wirklichkeit eingeholt. Musik ist seit Jahrhunderten ein wichtiger Bestandteil iranischer Kultur und lässt sich als solcher nicht so einfach illegalisieren. Tatsächlich wird Musik als solches in der klassischen islamischen Rechtslehre nicht geächtet: Im Koran findet sich kein Musikverbot und einflussreiche Theologen wie der persische Philosoph Al-Ghazali aus dem 11. Jahrhundert sprachen sich deutlich für die Musik aus.

Wiederbelebung der Musik

Wenige Monate nach der Revolution endete die auferlegte Stille und Musik wurde von staatlicher Seite „wiederbelebt“. Sänger, die im Dienste der Revolution texteten, wurden gefördert. Im Iran-Irak-Krieg der achtziger Jahre avancierte Musik zu einem wichtigen staatlichen Propagandainstrument. Wer jedoch Tonträger mit “verbotener” Musik besaß, konnte sich auf einen Besuch der Sittenpolizei gefasst machen. Seit den neunziger Jahren duldete der Staat vor allem oberflächliche Populärmusik, die keine politischen Botschaften oder anzüglichen Liedtexte enthält.

Weder werden die islamischen Parteien aufhören, unsere Kultur mit Füßen zu treten, noch werden die Iraner ihre Kultur aufgeben. Dieser Widerspruch wird fortbestehen.“Sänger Shajarian

Wer heute im Iran als Musiker auftreten will, muss zunächst einen aufwändigen bürokratischen Genehmigungsprozess durchstehen. Dennoch bieten öffentliche Konzerte den Iranern – mehr als andere Kunstarten – die Kollektiverfahrung eines Live-Auftritts. Zwar existiert in Großstädten auch eine Theaterszene, jedoch hat diese längst nicht die Reichweite der Musikwelt.

Protestlied mobilisiert Massen

Gleichzeitig wuchs im Untergrund eine lebendige Musikszene heran, die ihren kreativen Stoff aus den realen Missständen in der Islamischen Republik zieht. Je größer die Diskrepanz zwischen den Versprechen der Revolution und der ökonomischen Realität, desto einfallsreicher wurden die Musiker. Genauso wie die Filmemacher lernten Sänger Rede- und Singverbote mit geschickten Anspielungen zu umgehen. Zensur macht kreativ. Jene Untergrundmusikszene im Iran stößt im Westen auf Interesse, zuletzt in Filmen wie „Raving Iran“. Diese können zwar spannend, aber auch reduzierend wirken, stellen sie doch den Iran durch die verengte Brille eines kulturellen Dissidententums dar, welche das Land wie ein trostlosen Polizeistaat aussehen lässt.

Während den Wahlprotesten der „Grünen Bewegung“ von 2009 spielte Protestmusik eine wichtige Rolle in der Mobilisierung der Massen. Der von allen Iranern geliebte klassische Sänger Mohammad Reza Shajarian stellte sich damals hinter die Demonstranten. Er sang das Protestlied „Sprache des Feuers“ ein, das zur Hymne der aufgebrachten Jugend avancierte. Seitdem hat selbst Shajarian im Iran Konzertverbot. In einem Interview mit dem Autor fand Shajarian im Jahr 2011 deutliche Worte: „Weder werden die islamischen Parteien aufhören, unsere Kultur mit Füßen zu treten, noch werden die Iraner ihre Kultur aufgeben. Dieser Widerspruch wird fortbestehen.“

Politisches Statement mit dem Musikgeschmack

Im Iran kann sich wohl kaum jemand so deutlich zu Missständen äußern wie Shajarian. Doch auch im Kleinen benutzen Iraner ihren Musikgeschmack um ein politisches Statement zu machen. Nahid Siamdoust, Anthropologin an der Yale Universität, beschreibt dies in ihrer Studie The Soundtrack of the Revolution: „Die angespannte Beziehung der Regierung zur Musik hat dieser speziellen Kunstform eine größere politische Bedeutung gegeben, sodass allein schon ihre Präsenz oder die Teilhabe an bestimmten musikalischen Formen (…) eine bestimmte Haltung aufzeigen sowie eine soziale oder politische Position darstellen.“ So kann ein Taxifahrer durch die Musik, die er in seinem Autoradio abspielt, den Fahrgästen seine politische Meinung demonstrieren – ob es vorrevolutionärer Pop ist oder etwa eine Koranrezitation.

Obgleich im Iran seit der Revolution viele musikalische Freiräume entstanden sind, so erscheint eines bisher nahezu unmöglich: Der Solo-Auftritt von Sängerinnern vor gemischtem Publikum. Die Abwesenheit der weiblichen Solostimme ist bis heute eines der wichtigsten Merkmale der kontemporären iranischen Musikszene. Das steht im starken Kontrast zur Ära des letzten Schahs, in der Pop-Diven wie die beliebte Sängerin Googoosh Hochkonjunktur hatten. Doch auch hier gibt es langsam Zeichen auf Veränderungen: Im Oktober 2014 sang die von Shajarian ausgebildete Vokalistin Mahdiyeh Mohammadkhani zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik in einer renommierten Konzerthalle vor Männern und Frauen.

Im Jahr 2015 jedoch folgte ein Rückschlag, als bei mehreren Konzerten Frauen von Sicherheitskräften von der Bühne verscheucht wurden. Doch auch das Gesangsrecht von Frauen könnte sich bald durchsetzen. Denn, so schreibt Siamdoust, der Iran besitzt heute einen großen Reichtum an talentierten Sängerinnen und Instrumentalistinnen, die auf die Bühnen des Landes streben wollen — „ein Faktum, dem die politischen Entscheidungsträger des Iran früher oder später ins Gesicht schauen müssen.“