Artensterben und Fische mit gestörtem Hormonhaushalt: Das sind die Folgen von Arzneimitteln und anderen Mikroverunreinigungen, die über die Kläranlagen in die hiesigen Gewässer geraten. Sie fügen der Umwelt teils erheblichen Schaden zu. Luxemburg ist auf das Problem nur bedingt vorbereitet.

Es ist längst kein Geheimnis. Den Luxemburger Gewässern geht es schlecht. Blaualgen, Artenrückgang, Stickstoffmangel: Bereits seit Jahren ist die Qualität von Luxemburgs Flüssen und Bächen ein Problem. Nur drei Gewässer seien in einem guten Zustand, geht aus dem Bewirtschaftungsplan von 2015 hervor. Erst seit letztem Jahr sind die hiesigen Kläranlagen EU-konform. Ausschlaggebend war insbesondere der umfassende Ausbau der „Bleesbréck“ im Norden des Landes.

Obwohl ein Teil der Anlagen jetzt Stickstoff und Phosphat aus dem Schmutzwasser eliminieren können, bedeutet das noch lange nicht, dass nur noch sauberes Abwasser in Luxemburgs Flüsse läuft. Insbesondere Mikroverunreinigungen (sog. „polluants émergents“) kann aktuell nicht einmal die neue „Bleesbréck“ beseitigen.

Es handelt sich dabei um Spuren von Arzneimitteln, Pflanzenschutzmitteln, Bioziden und anderen Chemikalien, die teils vollständig ins Abwasser gelangen. Sie können bereits in geringen Mengen erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, geht etwa aus dem Infoblatt „Klärli“ des Abwassersyndikats SIDEN hervor. Nur ein Teil der Stoffe wird im Rahmen von EU-Richtlinien reglementiert – Medikamente fallen zum Beispiel nicht darunter.

Chemikalien nehmen zu

So können Kläranlagen gar zur Verschlechterung der Wasserqualität beitragen. Das Problem ist bekannt. Im Bewirtschaftungsplan für Luxemburg für 2015 bis 2021 steht, dass kommunale Kläranlagen „Einleiter von Mikroverunreinigungen (…) sind, die im häuslichen und gewerblichen Abwasser vorhanden sind, aber nur teilweise oder gar nicht von konventionellen Kläranlagen“ entfernt werden können. Lösungsansätze stecken jedoch noch in den Kinderschuhen.

Dabei nimmt die Anzahl der Mikroschadstoffe, die in die hiesigen Gewässer gelangen, zu. „In kommunalen Abwässern werden vermehrt Mikroschadstoffe […] nachgewiesen“, steht etwa in der bereits erwähnten Klärli-Ausgabe. Das liege zum einen daran, dass die Labortechnik immer präziser wird. Zum anderen an Luxemburgs Wachstum, erklärt Jean-David Maennlein, Vizedirektor des SIDEN. Da die hiesigen Kläranlagen oft an kleine Flüsse und Bäche angeschlossen sind, steigt der Druck auf diese Gewässer.

Medikamente im Wasser

Ein Beispiel für die hohe Belastung der Gewässer ist etwa die hohe Konzentration an Arzneimitteln: Viele Medikamente bauen sich im Körper nicht ab, bevor sie ausgeschieden werden und über das Schmutzwasser in die Gewässer fließen. Laut den Werten, die das Wasserwirtschaftsamt im Rahmen der EU Watch list für aufkommende Schadstoffe erhebt, sind insbesondere die Flüsse Sauer und Alzette stark belastet. Am meisten durch den Entzündungshemmer Diclofenac, das Hormon Estron sowie mehrere Antibiotika.

Der Cocktail im Wasser gerät in die Nahrungskette, schließlich laufen unsere Bäche auch irgendwann ins Meer.“Jean-David Maennlein, Vizedirektor des Abwassersyndikats SIDEN

Es überrascht also nicht, dass Krankenhäuser als Hotspots für Mikroverunreinigungen gelten. Durch sie gelangen Medikamente in hohen Konzentrationen ins Schmutzwasser. Laut Luc Zwank, Vizedirektor des Wasserwirtschaftsamts, sind sie zumindest meistens an große, leistungsstarke Kläranlagen angeschlossen. Problematischer seien hingegen Alters- oder Pflegeheime, die oft in ländlicheren Gebieten an kleinere Anlagen angrenzen.

Doch auch die kumulierte Menge des Schmutzwassers kleinerer Anschlüsse ist problematisch. Auch hier gelangen etwa Arzneimittel, Wasch-und Reinigungsmittel und andere Chemikalien aus dem häuslichen Gebrauch ins Abwasser, schreibt etwa das deutsche Bundesumweltamt. Ein Großteil der Medikamente gelange auf diesem Weg ins Luxemburger Abwasser, so ein Experte.

Artensterben und Verweiblichung

Wie sich die Chemikalien genau auf Ökosystem und Umwelt auswirken, ist noch nicht bis ins Detail erforscht. Das liegt unter anderem daran, dass man es mit einem Cocktail aus unterschiedlichsten Chemikalien zu tun hat. Hinzu kommen weitere Belastungen, wie Nährstoffüberschuss oder Temperaturanstieg, die auf die Wasserqualität einwirken. So ist es laut Experten sehr schwer zu ermitteln, welcher Faktor sich wie stark auf die Umwelt auswirkt, und was die Langzeitfolgen sind.

Klar ist jedoch, dass die Mikroschadstoffe das Ökosystem erheblich stören. Die Folgen sind etwa höhere Sterblichkeitsraten, Artenrückgang, Veränderungen der DNA oder hormonelle Störungen bei den Organismen. Es kann sogar zur Verweiblichung männlicher Organismen kommen, schreibt das Bundesumweltamt. Pflanzengifte, die im Gewässer landen, schaden ebenfalls dem Ökosystem, sagt Luc Zwank.

Die Abwasseranlage Bleesbréck. (Foto: Matic Zorman)

Auch Luxemburg ist davon betroffen. „Eine Beeinflussung von Gewässerorganismen, insbesondere durch Hormone, ist (…) festzustellen“, steht etwa in der letzten Klärli-Ausgabe. „Unsere Frösche wissen nicht mehr, ob sie männlich oder weiblich sind“, drückt es ein Arzt im Gespräch mit REPORTER aus.

Besonders gefährlich sind Antibiotika, die zusammen mit resistenten Keimen ins Wasser gelangen. Sie heizen das Gesundheitsrisiko der Antibiotikaresistenzen weiter an. Je größer die Anzahl an Bakterien, denen Antibiotika ausgesetzt sind, desto mehr Resistenzen bilden sich. Das Umweltbundesamt spricht in diesem Zusammenhang gar davon, dass „Kläranlagen ein Hotspot für die Verbreitung von Antibiotikawirkstoffen und Antibiotikaresistenze“ seien. Letztlich hat man es so auch mit einem Problem für die öffentliche Gesundheit zu tun.

Modernisierung soll weiter gehen

Was tun? Laut Luc Zwank arbeiten die zuständigen Stellen bereits an Lösungen. So werden die luxemburgischen Kläranlagen weiter modernisiert, einige von ihnen sollen mit einer sogenannten vierten Reinigungsstufe ausgestattet werden. Aktuell werden solche Projekte bis zu 75 Prozent vom Staat mitfinanziert.

Alle Schadstoffe kann auch die vierte Reinigungsstufe nicht herausfiltern.“Luc Zwank, Vizedirektor des Wasserwirtschaftsamts

Die Mikroschadstoffe werden bei diesem Verfahren mithilfe von Aktivkohle oder Ozonierung eliminiert. Doch alle Schadstoffe können auch so nicht vollständig herausgefiltert werden. Nachdem Luxemburgs Kläranlagen also gerade erst EU-konform geworden sind, steht bereits die nächste Sisyphusarbeit bevor.

Ein erstes Projekt wird auf der „Bleesbréck“ entstehen. Das war bereits im Genehmigungsprozess für die Modernisierung der Anlage vorgesehen. Doch ein solcher Ausbau braucht Platz und kostet Geld, warnt Jean-David Maennlein. Beim SIDEN-Projekt ist von fünf bis zehn Millionen Euro die Rede, hinzu kommen die Betriebskosten die bei der vierten Reinigungsstufe entstehen. Kleinere Gemeinden mit geringen Einwohnerzahlen können solche Projekte kaum tragen.

Auch mehrere Pilotprojekte sind bereits in Planung. So hat etwa das Centre Hospitalier Emile Mayrisch (CHEM) bereits an mehreren Studien zur Schadstoffreduzierung teilgenommen. Am neuen Standort des „Südspidol“ soll eine dezentralisierte Kläranlage mit vierter Reinigungsstufe entstehen. Der Bau ist eine Auflage des Wasserwirtschaftsamtes.

Fehlende Expertise

Es reiche jedoch nicht, lediglich auf bessere Kläranlagen zu setzen, warnen Experten der Weltbank. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht zur weltweiten Wasserqualität heißt es: Genauso wichtig sei es, auf Prävention und Aufklärung zu setzen und die Problematik bereits an der Quelle anzugehen. Etwa indem man die Zivilgesellschaft über die Risiken der Schadstoffe und deren Eingrenzung aufkläre und sie für die sachgemäße Entsorgung von Medikamenten sensibilisiere.

Doch dies setzt mitunter eine intensive Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Verwaltungen voraus. So fällt das Problem der Schadstoffe theoretisch auch in die Kompetenz des Gesundheitsministeriums und des Verbraucherschutzes. Während Letzteres aber auf Nachfrage angibt, seine Kompetenzbereiche noch zu prüfen, ist im Gesundheitsministerium lediglich eine Person mit der Problematik befasst. Laut Luc Zwank führe man „immer mal wieder“ Aufklärungskampagnen. „Man könne sich auch überlegen, die Ärzte mehr zu sensibilisieren“, so der Vizedirektor des Wasserwirtschaftsamtes.

Indes drängt die Zeit für umfassende Maßnahmen. Denn mit dem Bevölkerungsanstieg und Wirtschaftswachstum des Landes werden die Schadstoffe in den ohnehin stark belasteten Gewässern weiter zunehmen. In diesem Punkt sind sich die Experten und zuständigen Behörden einig.