Bei der Aufnahme der Migranten auf den gestrandeten Rettungsschiffen „Lifeline“ und „Aquarius“ zeigte sich Luxemburg diesen Sommer solidarisch. Das Großherzogtum nahm insgesamt 20 Schutzbedürftige auf. Doch wer entscheidet, wer nach Luxemburg kommen darf und wie läuft die Umverteilung ab?
Nach diesem Sommer stehen vermutlich sowohl die „Aquarius“ als auch die „Lifeline“ symbolisch für die Solidaritätskrise in Europa. Nachdem die beiden Schiffe Migranten aus dem Mittelmeer gerettet hatten, irrten sie tagelang in internationalen Gewässern. Keiner der Küstenstaaten wollte sich mit den Menschen herumschlagen, die auf dem Weg nach Europa in Seenot gerieten.
Die vielen Aufrufe zu europäischer Solidarität stießen nur auf ein geringes Echo. Erst als sich ein paar wenige Mitgliedsstaaten bereit erklärten, Schutzsuchende bei sich aufzunehmen, durften die Schiffe in Malta und Spanien andocken und hunderte Menschen konnten endlich an Land. Letzte Woche navigierte auch die „Aquarius 2“ hafenlos durch die Gewässer.
Unter den wenigen Staaten, die sich diesen Sommer solidarisch zeigten, war auch Luxemburg. Im Juni teilte Premierminister Xavier Bettel auf Twitter mit, dass das Großherzogtum 15 Menschen aufnehmen würde, die Malta an Bord der Lifeline erreichten. Zwei Monate später folgte die Aufnahme von fünf weiteren Menschen, die von der Aquarius gerettet wurden. Sie wurden am 9. September von Malta nach Luxemburg gebracht.
As an act of humanity & solidarity Luxembourg agreed to welcome 15 migrants from the #Lifeline ship – in accordance with EU legislation & on the basis of EU relocation agreements.
— Xavier Bettel (@Xavier_Bettel) June 27, 2018
Unterschiedliche Prozeduren
Doch wie entscheidet sich, wer nach Luxemburg kommen darf und wer nicht? Tatsächlich verteilen die maltesischen Autoritäten die betroffenen Menschen nicht aufs Geratewohl auf die solidarischen Staaten, erklärt ein hoher Beamter der Immigrationsdirektion des Außenministeriums.
In beiden Fällen reiste eine Delegation aus Vertretern der Immigrationsdirektion sowie des Aufnahme- und Integrationsamtes OLAI in die maltesische Hauptstadt Valletta. Die Vertreter interviewten potentielle Kandidaten und wählten die Migranten mit den größten Chancen auf internationalen Schutz aus.
Handelt es sich um Umsiedelungen im Rahmen des EU-Umverteilungsprogrammes – nicht zu verwechseln mit dem ‚Resettlement’ von Menschen mit Flüchtlingsstatus – verlaufen die Prozeduren anders. Zwischen 2015 und 2017 hat Luxemburg 557 solche Schutzsuchende aus Italien und Griechenland aufgenommen. Hier führe man in der Regel keine solchen Interviews, so der Beamte der Immigrationsdirektion. „Da machen unsere Beamten hauptsächlich Sicherheitsrecherchen, damit wir kein Risiko eingehen.“
Ferner klären in diesen Fällen OLAI-Vertreter die Menschen vor Ort über Luxemburg, die Lebensbedingungen, und kulturelle Werte wie Gleichberechtigung und Solidariät auf. „Da muss man auch einem gewissen Enttäuschungspotential vorgreifen. Wir zeigen zum Beispiel Fotos von den Asylunterkünften. Manche glauben, in Luxemburg würde gleich ein Haus auf sie warten.“
Wer darf kommen?
Im Fall der Rettungsschiffe in Malta sah die Lage aber anders aus. „Es gab keinen institutionellen Rahmen. Man muss sich die Leute deshalb gezielt aussuchen“, erklärt der Beamte der Immigrationsdirektion. Die maltesichen Autoritäten trafen eine Vorauswahl.
Sie hatten Verbrennungen, waren unterernährt und dehydriert. Viele haben Traumatisches erlebt.“SOS Mediterranée
Dabei beachteten sie von Luxemburg vorgegebene Kriterien – allen voran die Wahrscheinlichkeit, dass den Migranten internationaler Schutz gewährt werden kann. Weitere Kriterien waren die Integrierbarkeit und die Verwundbarkeit der Schutzbedürftigen sowie die Frage, ob es sich um Familien mit Kindern handelte. Ihnen sollte der Vorzug gewährt werden. Die Interviews vor Ort wurden demnach nur mit ausgewählten Kandidaten geführt.
Betreuung bereits in Malta
Zur Luxemburger Delegation gehörten auch Psychologen, die eine angemessene Betreuung der Migranten garantierten. Einige der Ankömmlinge hatten bereits viel durchgemacht, erklärt eine Sprecherin der Organisation SOS Mediterranée, die die „Aquarius“ im Mittelmeer einsetzt. „Sie hatten Verbrennungen, waren unterernährt und dehydriert. Viele haben Traumatisches erlebt.“
Zum Beispiel haben wir darauf geachtet, dass die Delegationen sich nach etwaigen Familienmitgliedern vor Ort erkundigten.“ Glen Cachia, Rotes Kreuz Malta
Einmal in Hafen hatten die Rettungsschiffe keine Verantwortung mehr über die Migranten. Die Betreuung übernahmen dort die maltesischen Behörden sowie einige Nichtregierungsorganisationen, wie etwa der Jesuitische Flüchtlingsdienst und das maltesische Rote Kreuz. Auch die UN-Flüchtlingsagentur UNHCR sowie die Internationale Organisation für Migration seien vor Ort gewesen, erinnert sich Glen Cachia vom Roten Kreuz.
„Wir haben Rettungswagen und Feldbetten gestellt und allen Schutzsuchenden Telefonate mit ihren Familien ermöglicht“, erklärt die Koordinatorin des Roten Kreuzes in Malta. Gleichzeitig habe das Rote Kreuz sichergestellt, dass die Interviews mit den Delegationen korrekt verlaufen. „Zum Beispiel haben wir darauf geachtet, dass die Delegationen sich nach etwaigen Familienmitgliedern vor Ort erkundigten.“
OLAI kümmert sich um die Aufnahme
Laut Glen Cachia war Luxemburg also nicht das einzige Land, welches eine Delegation nach Malta schickte um die Schutzbedürftigen im Rahmen ihrer Umverteilung zu interviewen.
Die Interviews dienen aber nicht nur der Selektion, sondern auch dazu, die Aufnahme der Migranten zu koordinieren, heißt es aus dem Integrationsministerium. Die Luxemburger Delegation stand zum Beispiel in engem Kontakt mit den OLAI-Beamten in Luxemburg, erklärt eine Sprecherin des Integrationsamtes.
Dabei ging es zum Beispiel um Fragen der medizinischen Begleitung der Schutzbedürftigen. „Hat jemand ein Handicap, dann müssen wir uns im Voraus darauf einstellen können“, so die Sprecherin. Der OLAI organisiert auch eine etwaige psychologische Betreuung der Menschen und die Einschulung von Kindern.
Ferner musste die Sprache der Ankömmlinge im Vorfeld geklärt werden. Unter den Ankömmlingen an Bord der waren etwa vier Menschen aus Eritrea. Sie sprechen Tirigna. Für sie musste der OLAI musste einen Übersetzer organisieren.
Einmal in Luxemburg angekommen, durchlaufen die Migranten die gleichen Prozeduren wie alle anderen Menschen, die hierzulande ihren Antrag auf internationalen Schutz stellen, ergänzt der OLAI.
Pause bei der Solidarität
Rund 6.500 Euro kostete der Flug nach Luxemburg der insgesamt 20 Migranten aus Malta. Wer die Aufnahme der Schutzsuchenden an Bord der „Lifeline“ und „Aquarius“ bezahlt, ist noch nicht vollständig geklärt. Ein Teil soll durch den EU Asyl-und Migrationsfonds gedeckt werden, bestätigt das Außenministerium auf Nachfrage. Ausstehende oder zusätzliche Beträge, sowie die Kosten für „andere Missionen“ will das Staatsministerium tragen.
Will Luxemburg weiterhin als solidarischer Partner gelten, läge es angesichts der aktuellen Lage nahe, dass weitere solche Missionen folgen. Doch als die „Aquarius 2“, ein weiteres Schiff der SOS Meditéranée, letzte Woche Mal nach einem Hafen suchte, war Luxemburg nicht unter den Staaten, die sich bereit erklärten, die Menschen an Bord aufzunehmen.