Maxime Renahy spionierte von 2010 bis 2011 in der Finanzwelt für den französischen Auslandsgeheimdienst DGSE. In seinem Buch „Là où est l’argent“ beschreibt er seine Tätigkeit in Jersey und in Luxemburg. Doch warum wurde der 40-Jährige zum Geheimagenten und warum sagt er heute, der französische Staat mache seinen Job nicht?

Interview: Laurent Schmit

Was gab den Ausschlag, dass Sie zum Spion wurden?

Maxime Renahy: Bereits nach wenigen Wochen in Jersey sagte ich mir, dass ich die französischen Behörden informieren muss. In der Presse wird über Steuerhinterziehung berichtet. Doch es geht um mehr. Steuerparadiese dienen dazu, verbotene Investitionen zu tätigen, Insidergeschäfte einzufädeln und bei Insolvenzen zu betrügen. Und, es tut mir leid, aber Luxemburg ist genau wie Jersey ein Steuerparadies. Der Finanzplatz wird für völlig illegale Geschäfte missbraucht. Ich habe es als Investmentfondsverwalter innerhalb des Systems erlebt.

Was brachte gerade Sie dazu, diesen Schritt zu machen und warum empören sich nicht mehr Beschäftige des Finanzplatzes über diese Missstände?

Ich habe nichts gegen Luxemburg, um das klarzustellen. Mir geht es darum, ein kleines Stück Gerechtigkeit zu erreichen, wenn Finanzkonstrukte allzu abenteuerlich sind. Es gibt letztlich sehr wenig Personen, die die Deals in ihrer ganzen Illegalität kennen. Ich sage das nicht, um Luxemburg oder Jersey reinzuwaschen. Aber die Arbeitsteilung geht so weit, dass selbst die Mitarbeiter der Banken nicht genau wissen, was dort passiert. Es sind französische, amerikanische oder deutsche Investoren, die alles organisieren.

Mich hat überrascht, dass die Lothringer, die jeden Tag den Zug Richtung Luxemburg nehmen, nie infrage stellen, was sie dort machen.“

Das heißt, jeder macht seinen Job in seiner Ecke und interessiert sich nicht für das große Ganze?

Ja. Mich hat überrascht, dass die Lothringer, die jeden Tag den Zug Richtung Luxemburg nehmen, nie infrage stellen, was sie dort machen. Manche meiner Bekannten haben Posten mit einer gewissen Verantwortung in großen Konzernen in Luxemburg. Zum Teil sind ihre Zuständigkeiten so segmentiert, dass sie keinen Überblick über die ganzen Geschäfte haben. Aber es gibt auch welche, die nicht wirklich hinschauen wollen. Wenn ich Freunden Fragen stelle, dann lautet die Antwort oft: „Max, das interessiert mich nicht. Ich will nicht wissen, was sich dahinter verbirgt.“

Die französischen Dienste haben die Mehrheit der großen Anwaltskanzleien in Luxemburg gehackt.“

Sie zeichnen in Ihrem Buch kein sehr schmeichelhaftes Bild von Luxemburg. Die Banken sind schlecht organisiert, die Anwaltskanzleien passen nicht auf ihre Geschäftsgeheimnisse auf …

Als ich 2010 von Jersey nach Luxemburg wechselte, waren sowohl ich als auch meine Kontakte im Geheimdienst überrascht, wie schwach die IT-Sicherheit der Anwaltskanzleien war. Die DGSE hat schnell verstanden, dass sie ein lohnendes Ziel sind. Sie sind das Herz eines Steuerparadieses, weil dort die Finanzkonstrukte entstehen. Die französischen Dienste haben die Mehrheit der großen Anwaltskanzleien in Luxemburg gehackt und sich so eine riesige Datenbank aufgebaut. Wenn man diese Informationen regelmäßig aktualisiert, dann hat man ein recht genaues Bild, was am Finanzplatz läuft.⁩

Der Luxemburger Finanzplatz könnte ohne die Zustimmung der großen Länder wie Deutschland und Frankreich nicht existieren.“

Welche Aufgaben hatten Sie?

Ich deckte drei Bereiche ab. Ich erhielt eine Liste mit sehr präzisen Fragen, etwa zu Politikern wie Jacques Poos oder zu konkreten Firmenkonstrukten. Dann war ich aber auch ein Späher, der lohnende Ziele meldete, sei es in einer bestimmten Branche oder eine bestimmte Person. Und schließlich gab ich Profile von Franzosen weiter, die für die DGSE interessant wären, um ihr Spionagenetzwerk in Luxemburg auszubauen – auch in europäischen Institutionen. ⁦

Dabei würde man ja annehmen, dass ein französischer Minister alle Infos von EU-Institutionen bekommt, die er möchte … ⁦

Das ist aber offensichtlich nicht der Fall. Ein konkretes Beispiel: Die DGSE schlug mir vor, mich bei der Europäischen Investitionsbank einzuschleusen. Es geht darum, Informationen über Entscheidungen zu sammeln, aber auch diese Entscheidungen zu beeinflussen. Und man sollte auch nicht glauben, dass der französische Staat allmächtig ist. Er braucht kleine Helfer wie mich, die die richtigen Informationen zum richtigen Zeitpunkt beschaffen.

Frankreich verscherbelt seinen wirtschaftlichen Reichtum.“

Insider des Finanzplatzes sagen oft: Ja, Luxemburg wird zur Steuervermeidung genutzt. Aber Frankreich solle sich nicht beschweren, denn sie könnten das Spiel jederzeit beenden. Doch letztendlich ginge es darum, die Champions der nationalen Wirtschaft zu fördern. Deckt sich das mit Ihrer Erfahrung?

⁦Absolut. Der Luxemburger Finanzplatz könnte ohne die Zustimmung der großen Länder wie Deutschland und Frankreich nicht existieren. Nicht nur Konzerne und Milliardäre, sondern auch der französische Staat nutzt Steuerparadiese für vielfältige Zwecke. Frankreich hat also ein Interesse daran, dass Steueroasen weiter in Europa bestehen. Es arrangiert den Wunsch Frankreichs nach wirtschaftlicher Macht. Aber es geht zulasten des Volkes.

In Ihrem Buch beschreiben Sie wie Unternehmen in Frankreich geschlossen oder ins Ausland verlagert werden, aufgrund von Geschäften, die über Luxemburg laufen. Jetzt arbeiten Sie mit Gewerkschaften, Betriebsräten und NGOs zusammen, um solche Fälle aufzuklären. Warum?

⁩Der Staat versäumt es, die Unternehmen zu schützen. Frankreich verscherbelt seinen wirtschaftlichen Reichtum. Wenn der Staat seinen Job nicht macht, dann will ich auf meiner kleinen Ebene, dieses Manko ausgleichen.

Wenn Sie heute zurückblicken: Hat sich ihre Arbeit als Spion des französischen Staates gelohnt?

Ich bereue nichts, weil es die perfekte Schule war. Die DGSE hat mir beigebracht, wo man hinschauen muss und wie man den Dingen auf den Grund geht. Heute kann ich völlig unabhängig und mit legalen Quellen den Beschäftigten unmittelbar helfen. Vorher spionierte ich im Dienste der französischen Konzerne und Milliardäre. Was für mich mit einer etwas naiven patriotischen Idee begann, endete schließlich mit positivem Frust.


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