Es klingt wie ein Roman, ist aber ein nüchternes Sachbuch: Der Franzose Maxime Renahy spionierte für den französischen Auslandsgeheimdienst DGSE in Luxemburg und Jersey. Sein Buch ist eine Reise in die dunklen Ecken der Fondsindustrie.
Ernster Blick, ruhige Stimme, präzise Antworten: Maxime Renahy überzeugt sein Gegenüber mühelos davon, dass er weiß, wovon er spricht. Das gilt für reiche Kunden, deren Investmentfonds er verwaltete. Es gilt aber auch für den französischen Geheimdienst DGSE.
Der Franzose lieferte zwischen 2007 und 2013 wertvolle Informationen über Risiken für französische Unternehmen, über Tricksereien der Banken und die Finanzkonstrukte hinter Waffendeals. Maxime Renahy arbeitete für die „Direction générale de la sécurité extérieure“ als Spion. Erst auf der Kanalinsel Jersey, dann in Luxemburg.
Der französische Auslandsgeheimdienst lässt den Luxemburger Finanzplatz ausspionieren? Das klingt erst mal unglaubwürdig. Und doch beschreibt Renahy in seinem im April veröffentlichten Buch „Là où est l’argent“ seine geheimen Aktivitäten im Detail. Als Mitarbeiter der US-Bank „State Street“ in Luxemburg kopierte er zwischen Oktober 2010 und Dezember 2011 zahlreiche Dokumente und schmuggelte sie nach Paris.
Dementis bleiben aus
Um es vorwegzunehmen: Es gibt keinen unabhängigen Beleg dafür, dass Maxime Renahy tatsächlich ein Spion war. Dafür aber glaubhafte Hinweise, dass seine Geschichte stimmt. Sicher ist, dass er für State Street arbeitete. Das bestätigte die Bank auf Nachfrage von REPORTER.
„State Street“ in Luxemburg
Die Luxemburger Tochter der US-Bank ist ein lohnendes Ziel für Wirtschaftsspionage. Aktuell ist State Street der größte Verwalter und die größte Depotbank für Investmentfonds in Luxemburg, laut einer Studie. Das Unternehmen mit Sitz in Kirchberg beschäftigt 800 Mitarbeiter. Kürzlich wurde ein Sozialplan für knapp hundert Beschäftigte angekündigt.
Doch die Spionage dementiert die Bank nicht. Nur so viel: „Herr Renahy verließ State Street vor mehr als sieben Jahren. Wir haben eng mit den Aufsichtsbehörden und lokalen Autoritäten in dieser Sache zusammengearbeitet und können dies nicht weiter kommentieren“, so die schriftliche Stellungnahme.
Natürlich gibt es in Luxemburg Spione in großer Zahl.“Maxime Renahy
Im Gespräch mit Journalisten bleibt Renahy entspannt bei der Frage nach Belegen. Er verweist auf die Antwort des französischen Verteidigungsministeriums an die Zeitung „Jersey Evening Post“. Man kommuniziere nie über Personen, die zu den Geheimdiensten gehören oder gehört haben, so die lakonische Stellungnahme. Ein Dementi klingt anders.
„Ich habe Beweise für meine Arbeit“, sagt Renahy nüchtern. Der Verlag „Les Arènes“ habe den Inhalt des Buches während zwei Jahren eingehend prüfen lassen, so der Autor. Ein Blick ins Netzwerk Linkedin und ins Luxemburger Handelsregister offenbart keine offensichtlichen Ungereimtheiten bei den Namen, die im Buch auftauchen.
Spionage unter Freunden
„Natürlich gibt es in Luxemburg Spione in großer Zahl“, sagt der 40-jährige Jurist. „Steuerparadiese sind Knotenpunkte, wo es enorme Mengen an Informationen gibt.“ Für Renahy ist das selbstverständlich, für seine früheren Kollegen nicht. In Jersey sei der Schock groß gewesen, weil sie verstanden hätten, dass er wohl kein Einzelfall ist, sagt er.
Das Pikante: Anders als in Jersey, sei er in Luxemburg nicht der einzige französische Spion gewesen, sagt Renahy. Als er State Street verließ, wollten die DGSE-Offiziere, dass er einen Ersatzmann einschleust. Ob das schließlich gelang, wisse er nicht, schreibt er in seinem Buch.

Doch die Pariser Zentrale interessierte sich nicht nur für den Finanzplatz: Auch EU-Institutionen wie die Europäische Investitionsbank und der Europäische Investitionsfonds standen auf der Interessenliste der DGSE. Renahy suchte Personen in diesen Organisationen, die der Geheimdienst rekrutieren könnte.
„Kein Verfahren in dieser Sache“
Bisher bleibt das juristische Nachspiel für den Ex-Spion aus. Die Luxemburger Justiz befasst sich offenbar nicht mit Maxime Renahy. Ihm wurde keine Klage zugestellt, sagt er im Gespräch mit REPORTER. „Wir konnten kein Verfahren in dieser Sache finden“, bestätigt Justizsprecher Henri Eippers.
In Jersey soll es nun eine Ermittlung der Polizei geben. Eine Verleumdungsklage von State Street sei möglich aber bisher ausgeblieben, sagt Renahy. Mehrere Elemente schützen ihn: Er habe keine Vertraulichkeitsklausel in seinem Arbeitsvertrag mit der Bank unterschrieben. Mit der DGSE habe es keinen Vertrag gegeben, weil er nie Geld für seine Spionagetätigkeit genommen habe. Und schließlich will sich wohl weder Luxemburg noch Jersey mit dem großen Nachbarn Frankreich anlegen.
Jacques Poos auf der „Einkaufsliste“
Jedes Mal, wenn sich Maxime Renahy mit einem der DGSE-Offiziere traf, erhielt er eine sogenannte „liste de courses“. Auf diesem „Einkaufszettel“ standen die Ziele, die die Geheimdienstleute besonders interessierten. Dabei ging es um Waffendeals und besonders die Frage, welche Summen ausländische Rüstungsunternehmen an „Vermittler“ zahlen, um an Aufträge zu kommen. Schließlich wollte Frankreich konkurrenzfähig sein, lautete die Erklärung der DGSE.
Selbst im Supermarkt schnappte ich wertvolle Hinweise auf.“Maxime Renahy
Doch in den Jahren nach der Finanzkrise und inmitten der Eurokrise interessierte sich der französische Staat auch für die Stabilität des Finanzsystems: Wie gefährlich ist die Schuldenkrise Griechenlands? Halten sich die Banken an die strengen Regeln oder tricksen sie via Strukturen in Luxemburg?
Auch die Aktivitäten Chinas am Luxemburger Finanzplatz interessierte die DGSE. In den Fokus der Geheimdienstler rückte dabei vor allem der frühere LSAP-Außenminister Jacques Poos. Dessen Rolle beim Ausbau der chinesischen Aktivitäten machte die DGSE stutzig, schreibt Renahy.
In all diese dubiosen Aktivitäten seien Investmentfonds verstrickt. Die Steuervermeidung der großen Konzerne sei sehr präsent in den Medien, aber es lohne den Blick mehr auf Investmentfonds zu richten. Steuerhinterziehung in großem Stil, Insiderdeals auf der Börse, betrügerische Firmenkonkurse: All das habe er als Fondsverwalter erlebt.
Amateurhafte Sicherheit
Schwierig war das Spionieren in Luxemburg nicht. „Selbst im Supermarkt schnappte ich wertvolle Hinweise auf“, meint Renahy. In Jersey seien die Sicherheitsvorkehrungen in den Büros nach und nach hochgefahren worden – nur Befugte hatten noch Zutritt zu sensiblen Abteilungen. Dokumente in Luxemburg zu klauen, war deutlich einfacher. „Die Luxemburger Banken verarbeiten eine hohe Zahl an Deals und hatten 2010 noch keine ausgefeilten Sicherheitsmechanismen“, schreibt er in seinem Buch.
Ich war wie Kommissar Colombo. Niemand nahm mich wirklich ernst.“Maxime Renahy
Parallel zu seiner Spionagetätigkeit hackte sich die DGSE in die Mailserver der großen Luxemburger Anwaltskanzleien. Der Grund: Die Sicherheitsvorkehrungen waren noch geringer als bei den Banken und Fondsverwalter. Und es handelt sich um ein lohnendes Ziel: „Die Anwaltskanzleien sind wichtige Knotenpunkte in Steuerparadiesen“, erklärt Renahy. Mehr noch als in den Banken laufen dort die Fäden zusammen: Kunden, Verträge und Schemas der komplexen Firmenkonstrukte. Renahy lieferte die Dokumente, die diese Infos ergänzten.
Die Wirtschaftsspionage war verhältnismäßig einfach. Ein Grund: Maxime Renahy arbeitete in der Finanzbranche in der Zeit vor den großen Leaks. Antoine Deltour kopierte tausende Steuerrulings beim Beratungsunternehmen PwC im Oktober 2010. Doch erst im Mai 2012 fiel das auf, als „France 2“ eine Dokumentation über die Steuersparmodelle sendete. Und erst Ende 2014 brach die Affäre Luxleaks mit den Berichten des Journalistenkonsortiums ICIJ richtig durch. Die gleiche Gruppe hatte im April 2013 die „Offshore-Leaks“ veröffentlicht.
Gewerkschaften statt Geheimdienste
2010 war gewissermaßen noch die Zeit der Sorglosigkeit. Außerdem sei seinen Chefs nicht klar gewesen, was er alles wusste. „Ich war wie Kommissar Colombo. Niemand nahm mich wirklich ernst“, erzählt Renahy. So konnte er ungestört spionieren.
Die Skandale liegen quasi auf der Straße. Man braucht sich nur zu bücken.“Maxime Renahy
Gewissensbisse hat er nicht. „All jene, die ihre Geschäfte über Steuerparadiese abwickeln, gehen das Risiko ein, dass Leute wie ich ihre Geheimnisse verraten“, so der Ex-Spion. Doch während er ursprünglich aus patriotischem Pflichtgefühl mit dem Geheimdienst Kontakt aufnahm, wuchs sein Frust über die Jahre. Steuerhinterziehung interessierte weder die DGSE, noch das französische Finanzministerium.
Langsam reifte in ihm der Entschluss, sein Wissen anders zu nutzen: Heute arbeitet er als Freelance-Berater für Gewerkschaften und NGOs, die dubiose Firmenpraktiken aufdecken wollen. Er will den Mitarbeitern helfen, die nach fragwürdigen Deals auf die Straße gesetzt werden.
Knapp 30 Skandaldossiers
Doch auch die Öffentlichkeit soll mehr erfahren: Mit Journalisten wie Denis Robert (bekannt durch die „Clearstream“-Affäre) oder Wissenschaftlern wie Gabriel Zucman („La richesse cachée des nations“) will er Licht in die Offshorewelt bringen. Namen, die man am Luxemburger Finanzplatz nicht gerne hört.
Doch es wird wohl noch unangenehmer werden für die hiesige Finanzwelt. Er habe Dossiers über knapp 30 Affären, die französische Unternehmen aber auch Politiker betreffen und via Luxemburg abgewickelt wurden. Ab September will er zusammen mit Journalisten diese Fälle nach und nach aufarbeiten.
Maxime Renahy ist entschlossen, den Kampf aufzunehmen: „Die Skandale liegen quasi auf der Straße. Man braucht sich nur zu bücken.“