Das SIGI stellt sich gerne als innovatives Gemeindesyndikat dar. Doch die Arbeitsbedingungen gelten als besonders schlecht. In vertraulichen Gesprächen berichten Insider von unprofessionellem Management, Mobbing und willkürlichen Entlassungen.
„Wenn der Chef sich gerade an einem anderen abarbeitet, kann man froh sein, weil dann hat man zumindest selbst ein bisschen Ruhe“, sagt ein Mitarbeiter des „Syndicat Intercommunal de Gestion Informatique“ (SIGI) im Gespräch mit Reporter.lu. Er ist nur einer von vielen, die von einem schlechten Arbeitsklima und unprofessionellem Personalmanagement beim größten Gemeindesyndikat des Landes berichten.
In Dutzenden von Gesprächen erheben mehrere Mitarbeiter und ehemalige Angestellte des SIGI zum Teil schwere Mobbingvorwürfe gegen die Chefetage des Gemeindesyndikats. Die Namen der Betroffenen sind der Redaktion bekannt. Aus Angst vor möglichen negativen Folgen wollte allerdings niemand öffentlich aussagen. Einige zogen ihre Aussagen im Laufe der Recherchen für diesen Artikel sogar vollständig zurück. Selbst ehemalige Mitarbeiter bevorzugten es, anonym zu bleiben, weil manche von ihnen eine Geheimhaltungsvereinbarung unterzeichnen mussten.
Allesamt berichten sie von einem „Klima der Angst“, das es der Direktion erlaube, ohne größeren Widerstand ihre mitunter umstrittenen Projekte durchzusetzen. Wer nicht Schritt hielt, flog raus oder wurde so lange genötigt, bis er oder sie aufgab und von sich aus kündigte. In den letzten eineinhalb Jahren hat das SIGI so fast 40 von insgesamt 140 Mitarbeitern verloren – darunter sind allerdings auch einige externe Berater, deren kurzfristige Verträge nicht verlängert wurden.
Mobbingvorwürfe gegen Direktion
Im Fokus der Kritik stehen SIGI-Direktor Carlo Gambucci und einige seiner Kollegen in der Geschäftsleitung. Dabei geht es nicht nur um den kontroversen Führungsstil, kostspielige Prestigeprojekte und die intransparente Funktionsweise des Gemeindesyndikats, über die Reporter.lu vergangene Woche berichtete. Ein weiterer Grund, warum viele Gemeinden sich stärker als in der Vergangenheit für die Vorgänge beim SIGI interessieren, ist das Personalmanagement.
Die Angestellten arbeiten gerne hier. Doch über der Arbeit liegt der Schatten von Carlo Gambucci.“
Eine Mitarbeiterin des SIGI
Als Hauptgrund für das schlechte Arbeitsklima nennen alle Gesprächspartner einvernehmlich einen Namen: Carlo Gambucci. Manche Kritik zeugt dabei von einem generellen unprofessionellen Umgang mit der Belegschaft. „Äußert man sich kritisch über ein Projekt, wird das gleich als persönliche Attacke aufgefasst“, sagt etwa ein ehemaliger Mitarbeiter gegenüber Reporter.lu. Der Direktor sei zudem für seine Stimmungsschwankungen und cholerischen Ausfälle berüchtigt. Es komme regelmäßig vor, dass er während Sitzungen die Nerven verliere und Mitarbeiter persönlich beleidige. Die Sitzung würde dann etwa mit einem Satz wie „Ich kann dein Gesicht nicht mehr sehen, geh!“, enden, so der frühere Angestellte des SIGI.
Manche der Vorwürfe sind Informationen von Reporter.lu zufolge sowohl bei der Personaldelegation als auch bei der „Mobbing asbl“ gelandet. Eine Gesprächsanfrage an die Personaldelegation blieb bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. In mindestens einem Fall ist ein Gerichtsverfahren anhängig. Da es jedoch in den wenigsten Fällen Zeugen gab, wurden die meisten Vorwürfe nicht weiterverfolgt.
Die hohe Anzahl an Aussagen, die Reporter.lu über die letzten Monate von unterschiedlichen Mitarbeitern und ehemaligen Angestellten sammelte, belegt jedoch das Ausmaß der Unzufriedenheit und der Missstände beim SIGI. Zudem erhärten die Erfahrungsberichte den Verdacht des mutmaßlichen Machtmissbrauchs durch die Führungsetage.
Keine Anlaufstelle für Betroffene
Dabei ist Direktor Carlo Gambucci nicht allein in der Schusslinie. Auch Personalchef Franck Vernier ist für seinen Führungsstil und seine bedingungslose Loyalität zu Carlo Gambucci berüchtigt. Doch damit verkleinert sich in den Augen der Betroffenen auch der Kreis jener Personen, die die Missstände im Personalwesen beheben könnten.
Von der Politik können die Betroffenen ebenfalls wenig erwarten. Bei Beschwerden sind die Angestellten gehalten, sich an die Direktion zu wenden. Eine direkte Kontaktaufnahme zum „Bureau“ oder „Comité“ des SIGI wird zwar nicht offiziell untersagt, gilt intern jedoch als Vertrauensbruch gegenüber dem Direktor. Einige wandten sich laut Informationen von Reporter.lu dennoch an das „Bureau“, dem die Geschäftsführung unterstellt ist – allerdings ohne Erfolg. „Ich wurde nie mit Kritik am Management konfrontiert, sondern habe im Gegenteil oft Lob und Bewunderung für die gute Arbeit erhalten“, behauptet denn auch Yves Wengler, Vorsitzender des „Bureau“, auf Nachfrage von Reporter.lu.

Guy Reeff, ehemaliger Direktor des SIGI, tauscht sich noch gerne mit einigen ehemaligen Mitstreitern aus. Der Kontakt zu den aktuellen Mitarbeitern läuft über die privaten E-Mail-Adressen und Handynummern. „Sie sagten mir, ich sollte ihnen nicht über die E-Mail-Adresse des SIGI schreiben“, sagt Guy Reeff im Gespräch mit Reporter.lu. Einige hätten ausdrücklich die Sorge geäußert, dass ihre Kommunikation von der Direktion kontrolliert werden könnte.
Tatsächlich gab es laut übereinstimmenden Quellen innerhalb des SIGI Bestrebungen, den gesamten E-Mail-Verkehr der Belegschaft zu überwachen. Der damalige Datenschutzbeauftragte wies die Direktion jedoch darauf hin, dass dies ein eklatanter Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung sei. Die Sorgen der Belegschaft sind trotzdem nicht ganz unberechtigt. Während der Recherche von Reporter.lu zu den Vorgängen innerhalb des SIGI wurde der Belegschaft etwa verboten, mit Journalisten zu reden.
Entlassener Datenschutzbeauftragter
Das „Comité“, der erweiterte Vorstand des SIGI, wird hingegen über die Vorfälle kaum informiert und steht in der Regel auch nicht im Kontakt mit der Belegschaft. „In einer Gemeinde erfährt man, welche Probleme bestehen, bei einem Gemeindesyndikat ist das schwieriger, weil man das Personal nicht sieht“, sagt ein Lokalpolitiker und Mitglied des „Comité“. Dabei hätte in den letzten Jahren vor allem ein Fall die Politiker aufhorchen lassen müssen. Im Dezember 2020 entließ Personalchef Franck Vernier nämlich den Datenschutzbeauftragten des SIGI. In einem Gemeindesyndikat, das für die informatische Verarbeitung von personenbezogenen Daten der Gemeinden zuständig ist, handelt es sich um einen Posten mit großer Verantwortung.
Die Mission des Datenschutzbeauftragten sorgte jedoch regelmäßig für Konflikte zwischen ihm und dem Direktor. Ob dies der Grund für die Kündigung war, lässt sich jedoch offiziell nicht nachvollziehen. Tatsächlich nannte das SIGI im Entlassungsschreiben nämlich keinen Grund. Der Fall ist bezeichnend, da man als Datenschutzbeauftragter arbeitsrechtlich einen besonderen Schutz genießt. Für die Erfüllung seiner Tätigkeit als Beauftragter darf er laut der Datenschutzgrundverordnung nicht abberufen werden. Der Betroffene hat die Entscheidung angefochten. Nun muss die Justiz entscheiden, wie weit der Schutz für Datenschutzbeauftragte reicht und ob die Kündigung rechtens ist.
Outsourcing eines Gemeindesyndikats
Seit Carlo Gambucci 2008 Direktor des SIGI wurde, setzt das Syndikat zudem verstärkt auf Berater. Sie ersetzten nach und nach die Beamten und machen inzwischen die Hälfte der Belegschaft aus. Die Begründung: Das technische Niveau der Dienstleistungen mache es notwendig, auf fachkundige Spezialisten zurückzugreifen. Eine solche projektbezogene Arbeit sei in der Branche absolut üblich und ermögliche es, „auch zeitlich begrenzte Aufgaben auszuführen“, erklärt Carlo Gambucci gegenüber Reporter.lu.
Als Berater wurde auch Christian Crucifix beschäftigt. Der ehemalige Direktor von „Siemens Business Services“ arbeitete in drei verschiedenen Funktionen für das SIGI. Im Auftrag von Carlo Gambucci förderte er die Ausschreibungskultur innerhalb des SIGI. Das Syndikat schreibt regelmäßig Aufträge aus, um Rahmenverträge mit Dienstleistern abzuschließen. Allein ein Auftrag für die kommenden vier Jahre hat einen Gesamtwert von rund 30 Millionen Euro. Insgesamt wurden seit 2014 Rahmenverträge im Wert von rund 61,5 Millionen Euro abgeschlossen. Rund 30 Dienstleister haben die Zuschläge erhalten.
Ich wurde nie mit Kritik am Management konfrontiert, sondern habe im Gegenteil oft Lob und Bewunderung für die gute Arbeit erhalten.“Yves Wengler, Präsident des SIGI
Auch im Budget schlagen sich die Beraterkosten nieder. Das SIGI gibt rund 15,4 Millionen Euro im Jahr für sein Personal aus. Davon entfallen 8,1 Millionen Euro, also mehr als die Hälfte, auf die sogenannte „consultance externe“. Insgesamt verfügt das interkommunale Syndikat, das sich aus Beiträgen der Gemeinden – also aus Steuergeldern – finanziert, aktuell über einen Jahresetat von 24 Millionen Euro.
Die Rahmenverträge erlauben dem SIGI vor allem mehr Flexibilität im Personalmanagement. Entspricht die Leistung eines externen Mitarbeiters nicht den Erwartungen, wird bei dem Unternehmen ein Austausch beantragt. Recherchen von Reporter.lu ergaben zudem, dass mindestens in einem weiteren Fall ein Kandidat sich auf eine Stelle beim SIGI bewarb, um danach einen Arbeitsvertrag mit einer Beraterfirma vorgelegt zu bekommen. Die Praxis, zuerst einen Vertrag über eine Zweitfirma anzubieten, ist offenbar weit verbreitet. „Jetzt weiß ich, dass das eine Abzocke war, um gegebenenfalls jemanden auch leichter zu entlassen“, sagt ein Mitarbeiter.
Gewerkschaft schaltet sich ein
Auch aus diesem Grund versucht der OGBL nun einen Kollektivvertrag für die Angestellten des SIGI auszuhandeln, wie die Gewerkschaft gegenüber Reporter.lu bestätigt. Bisher ist es ihr allerdings nicht einmal gelungen, die Verhandlungen zu beginnen, weil das SIGI den Vertreter der Personaldelegation für die Zeit der Verhandlungen nicht freistellen will. Die Situation ist verfahren und droht bereits vor dem Start der eigentlichen Verhandlungen in einem Mediationsverfahren zu enden. Dabei sollte der Kollektivvertrag auch für bessere Arbeitsbedingungen sorgen.

Die vielen Kündigungen in kurzer Zeit führt der Direktor des SIGI seinerseits auf die Pandemie zurück. Die „great resignation“ sei schuld, dass sich ein Teil der Mitarbeiter vom SIGI abgewandt habe, so Carlo Gambucci auf Nachfrage von Reporter.lu. Doch das SIGI hat auch immer wieder Schwierigkeiten, die freigewordenen Stellen neu zu besetzen. „Es gibt einen Mangel an IT-Ressourcen und der Markt ist generell angespannt“, meint der Direktor.
Hinzu kommen aber eben auch andere Kündigungsgründe, die hausgemacht scheinen. Intern taugt die hohe Personalfluktuation längst zum „Running gag“. „Jetzt gehöre ich zu den Alteingesessenen“, hieß es etwa von einem Mitarbeiter, nachdem er ein Jahr lang beim SIGI gearbeitet hat. Doch auch in der ganzen Informatikbranche hat sich das SIGI einen zweifelhaften Ruf erarbeitet. Einerseits kennen die Konkurrenzunternehmen aus der Privatwirtschaft die Missstände beim Gemeindesyndikat ganz genau. Andererseits sind es aber auch sie, die den Zuschlag für Ausschreibungen von Beratern für bestimmte Projekte des SIGI erhalten.
Ein Befreiungsschlag für die Mitarbeiter
Die Geschäftsführung des SIGI ist jedoch erprobt im Umgang mit den wiederkehrenden Kritikpunkten. Bereits 2013 wurden die Zustände im Syndikat öffentlich thematisiert. Bereits damals wurde die „Fédération Générale de la Fonction Communale“ (FGFC) mit diversen Beschwerden konfrontiert. Die Gewerkschaft erwirkte eine Umfrage über die Zufriedenheit des Personals. Die Direktion des SIGI willigte jedoch nur ein, wenn die Antwortgeber nicht anonym bleiben und unzufriedene Mitarbeiter bei Bedarf zu einem persönlichen Gespräch vorgeladen werden könnten. Das Vorgehen sei bezeichnend gewesen und habe die Ergebnisse verfälscht, sagt der Vize-Präsident der FGFC, Claude Reuter, im Rückblick.
Ich würde sagen, dass es heute zehnmal schlimmer ist als damals.“Ein Mitarbeiter des SIGI
Vier Jahre später geriet das SIGI erneut in die Schlagzeilen. Mit geleakten internen Dokumenten wurde dem Direktor eine persönliche Bereicherung auf Kosten des Syndikats unterstellt. Auch damals ging es bereits um den umstrittenen Führungsstil von Carlo Gambucci. Mehrere Mitarbeiter des Syndikats hätten infolge der Berichte ihre Kündigung eingereicht, hieß es laut „RTL“. „Ich würde sagen, dass es heute zehnmal schlimmer ist als damals“, sagt ein Angestellter des SIGI im Gespräch mit Reporter.lu.
Noch vor einem Jahr schaltete sich auch der OGBL beim SIGI ein. Damals ging es um die Anerkennung der geleisteten Überstunden während der Pandemie. Diese waren für manche Mitarbeiter gestrichen worden. Die Gewerkschaft protestierte vor dem Gebäude, während im Gebäude Gemeindevertreter über die Produkte des SIGI informiert wurden. „Ich habe das persönlich als keine schöne Vorgehensweise empfunden“, sagt Carlo Gambucci dazu. „Jedes Mal, wenn Sozialwahlen anstehen, wird auf uns geschlagen, um ein paar Stimmen zu gewinnen“, beschwert sich der Direktor. Zu den Vorwürfen des Mobbings und dem allgemeinen Arbeitsklima wollte Carlo Gambucci sich auf Nachfrage von Reporter.lu jedoch nicht weiter äußern.
„Die Angestellten arbeiten gerne hier. Doch über der Arbeit liegt der Schatten von Carlo Gambucci. Ich verspüre eine Machtlosigkeit ihm gegenüber“, sagt eine Mitarbeiterin am Ende eines Gesprächs. Öffentlich über die Missstände zu reden, habe ihr erstmals das Gefühl gegeben, sich langsam aus dieser Machtlosigkeit zu befreien.
