Der Ukrainekrieg führte auch in Luxemburg zu klaren Fronten. Manche Politiker standen dabei Russland näher als andere. Besonders der ADR-Abgeordnete Fernand Kartheiser machte sich die Sichtweise von Moskau zu eigen und hielt bis zum Beginn der Invasion daran fest.

Rund zwei Wochen, ehe russische Panzer über die ukrainischen Grenzen rollten, diskutierte Luxemburgs Parlament über die Rolle der NATO in der aktuellen Krise. Fernand Kartheiser scherte in der ansonsten sehr einvernehmlichen Debatte aus: „Der Westen hat Russland oft gedemütigt. Wir aber wollen Russland den Platz zuerkennen, der dem Land zusteht“, so der ADR-Abgeordnete am 8. Februar im Parlament. Er betonte zudem, dass eine europäische Sicherheitsarchitektur nur mit und nicht gegen Russland möglich sei.

Im Laufe seiner Rede, die auf ein ausgesprochenes Verständnis der russischen Sicht der Dinge hindeutete, ging Kartheiser aber noch weiter: Der Russland aus dem Westen unterstellte Expansionskurs sei nicht real, sagte der Ex-Diplomat. Der Westen wolle Russland einkreisen. Schließlich sprach der Parlamentarier sich gegen die wenig später beschlossene und verschärfte Sanktionspolitik des Westens aus. Solche Strafmaßnahmen seien „nicht nur ineffizient, sondern auch kontraproduktiv“, so Fernand Kartheiser damals.

Eine Motion im Sinne Moskaus

Am 24. Februar begann Russlands Invasion der Ukraine. Der Westen zeigte sich weitgehend geschlossen in der Reaktion auf den russischen Angriffskrieg. Luxemburg beteiligt sich ebenfalls an den Sanktionen der EU gegen Moskau und liefert Waffen an die ukrainische Regierung. Auch Kartheiser passte seine Position an und verurteilte den Völkerrechtsbruch von russischer Seite. Die ADR sei auch dafür, Flüchtende aus der Ukraine unbürokratisch aufzunehmen, „solange sie es brauchen“.

Man könnte demnach meinen, Fernand Kartheiser sei nur ein weiterer Politiker, der sich in der russischen Führung geirrt hat. Doch im Fall des ADR-Politikers hatte die russlandfreundliche Haltung durchaus Methode. Ein Blick in die Vergangenheit gibt Aufschluss darüber, wie der rechtskonservative Politiker nicht nur Verständnis für Russlands Politik aufbrachte, sondern immer wieder die Argumentation des Kremls in die Luxemburger Debatte einbrachte.

A considerable part of the general public feels that there is unjust treatment of Russia as compared to the authorities in Kiev.“Fernand Kartheiser 2016 laut „Penza News“

Im Dezember 2015 brachte Fernand Kartheiser eine Motion in die Abgeordnetenkammer ein. Der damalige Kontext: Nach der Krim-Annexion und dem Kriegsausbruch im Donbass 2014 hatten die USA und die EU mehrere Sanktionsrunden gegen Russland verhängt. Einige russlandfreundliche Politiker in der EU standen diesen Sanktionen von Anfang an kritisch gegenüber, so auch Kartheiser. Die Sanktionen seien unnütz und schädlich für den Ausbau der Demokratie in Russland, heißt es in der Motion. Auch der luxemburgische Finanzplatz und der Agrarsektor würden unter ihnen leiden.

Außerdem brauche man Russland, um in Syrien und im Irak gegen den „Islamischen Staat“ vorzugehen, so eine realpolitische Begründung für die ablehnende Haltung der ADR. Auch der Status der Krim sei „neutral und objektiv“ neu zu bewerten. Der Text lässt sich demnach als Versuch werten, die russische Erzählung einer freiwilligen Sezession der Halbinsel auch in Luxemburg salonfähig zu machen. Schließlich forderte die ADR die Regierung auf, die Sanktionen aufzuheben – wenn es sein muss, auch im Alleingang.

Applaus in den russischen Medien

Obwohl die Motion mit 56 Stimmen abgelehnt wurde, wurde das Engagement der ADR in Russland mit Wohlwollen registriert. Die Regionalzeitung „PenzaNews“ widmete den prorussischen Bewegungen in Europa gleich mehrere Artikel. Auch Fernand Kartheiser wird darin über weite Strecken zitiert. Die ADR selbst bezeichnete eine der Veröffentlichungen auf ihrer Webseite als „sehr guten Artikel“.

Im Interview mit dem russischen Medium sprach Kartheiser von einem Glaubwürdigkeitsproblem des Westens. „Wesentliche Teile der Öffentlichkeit“ könnten die „ungerechte Behandlung“ Russlands gegenüber der Ukraine nachvollziehen, so der ADR-Politiker. Er unterstützte auch die These, wonach der sogenannte „Euromaidan“ – das blutige Aufbegehren gegen den russlandfreundlichen ukrainischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowytsch – vom Westen gesteuert gewesen sei. Kartheiser legitimiert zudem Zweifel am Abschuss des Flugs MH-17, eines Passagierflugzeugs, das mutmaßlich von pro-russischen Separatisten abgeschossen wurde.

Der ADR-Abgeordnete bekräftigte in der russischen Presse auch, dass die EU „in einem Prozess der raschen Destabilisierung sei“. Dies wegen des Brexit, der allgemeinen Sicherheitslage und der „illegalen Migration“. Seine erhoffte Lösung: „In vielen Ländern gibt es neue Parteien, die erstaunliche Wahlerfolge erzielen können. Die Rezepte der vergangenen 40 Jahre werden nicht genügen, um Europa einen Neubeginn zu erlauben. Es ist Zeit für fundamentale Veränderung.“ Fernand Kartheiser wiederholte ähnliche Aussagen noch 2019 gegenüber dem staatstreuen russischen Medium „Sputnik“ – dessen Inhalte sind aber seit dem Verbot der Plattform in der EU nicht mehr abrufbar.

Rechtspopulistische Gemeinsamkeiten

Mit solchen Aussagen stand die ADR in den vergangenen Jahren jedoch nicht alleine da. Im Juni und Juli 2016 gingen in den italienischen und österreichischen Parlamenten Texte ein, die mitunter dieselben Forderungen beinhalteten wie die besagte Motion der ADR einige Monate zuvor. Im italienischen Senat forderte der „Lega Nord“-Vertreter Paolo Tosato „die Aufhebung sämtlicher Sanktionen gegen die Russische Föderation“. Einen Monat später tat es ihm der österreichische FPÖ-Abgeordnete Johannes Hübner in einem Entschließungsantrag gleich. Die „Talking points“ sind quasi identisch. Auch die FPÖ verwies, wie Kartheiser, auf die Schäden, welche die lokale Landwirtschaft durch die Sanktionen zu erleiden hätte.

Es ist einfach so, dass Menschen in verschiedenen Ländern unabhängig voneinander zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen. Das soll es ja geben.“Fernand Kartheiser, ADR-Abgeordneter

Das Brisante daran: Nach einer Recherche des Magazins „New Lines“ waren die Anträge, die in die österreichischen und italienischen Volksvertretungen eingebracht wurden, von Russland selbst in Auftrag gegeben worden. Hinter den parlamentarischen Initiativen soll die Mediengruppe „Tsargrad“ stehen, die von Konstantin Malofejew kontrolliert wird. Der russische Oligarch ist bekannt für seine ultra-orthodoxen Ansichten und gilt als vehementer Befürworter einer imperialistischen russischen Außenpolitik.

Zu den doch sehr ähnlichen Texten, die in den österreichischen und italienischen Parlamenten eingereicht wurden, meint Fernand Kartheiser auf Nachfrage von Reporter.lu: „Es ist einfach so, dass Menschen in verschiedenen Ländern unabhängig voneinander zu ähnlichen Schlussfolgerungen gelangen. Das soll es ja geben“. Er betont auch, dass die ADR Mitglied der „European Conservatives and Reformists“ (ECR) sei und so nichts mit der Lega Nord oder der FPÖ zu tun habe. Allein deshalb habe es „keine Koordination mit ihnen in diesen Fragen gegeben“, so der ADR-Abgeordnete in einer schriftlichen Stellungnahme.

Fernand Kartheiser beschwichtigt auch, was seine Beziehungen zur russischen Führung angeht. Der Austausch der ADR mit der russischen Botschaft gehe etwa nicht „über die absolut legalen und diplomatischen Aktivitäten hinaus“. Kein Diplomat oder Lobbyist habe versucht, die Programmatik oder parlamentarische Stellungnahmen der ADR zum Ukrainekonflikt zu beeinflussen.

Bettels inopportuner Russlandbesuch

Auch andere Luxemburger Politiker haben jedoch die nötige Zurückhaltung im Umgang mit Russland vermissen lassen. 2019 noch empfing die Regierung den damaligen russischen Premier Dmitri Medwedew und unterzeichnete einige wirtschaftliche Abkommen. Am 1. Oktober 2021 besuchte Premierminister Xavier Bettel (DP) seinerseits, zusammen mit seinem Ehemann und dem französischen Moderator Stéphane Bern, eine Hochzeit in Sankt Petersburg. Es war keine gewöhnliche Vermählung, sondern die erste royale Hochzeit in Russland seit über 100 Jahren. Großfürst Georgi Romanow ehelichte Viktoria Romanovna.

Was für viele bloß ein Event für Hochglanzmagazine war, kam anderen Medien – wie dem „Luxemburger Wort“ – suspekt vor. Auf der Gästeliste tummelte sich nämlich nicht nur der Adel, sondern auch ein gewisser Konstantin Malofejew. Auch Alexander Dugin, Ex-Vorsitzender der „National-Bolschewistischen Partei Russlands“ und Vordenker der extremistischen „Neuen Rechten“ in Russland, war unter den Hochzeitsgästen. Sein Buch „Grundlagen der Geopolitik“ gilt als Drehbuch für die Invasion der Ukraine und eine neue Konfrontation mit dem Westen.

Was Xavier Bettel dazu bewogen haben könnte, eine solche Einladung anzunehmen, als die Bedrohung der Ukraine durch Russland schon längst nicht mehr abstrakt war, wird sein Geheimnis bleiben. Aus dem Staatsministerium hieß es auf Reporter.lu-Nachfrage bloß: „Bei dieser Veranstaltung hat es sich um ein privates Engagement von Herrn Bettel gehandelt. Die Gästeliste war nicht im Voraus bekannt“.

Keine versuchte direkte Einflussnahme

Im Rahmen dieser Recherche hat Reporter.lu sämtliche Fraktionen im Parlament angeschrieben, um nach versuchter oder tatsächlicher russischer Einflussnahme zu fragen. Bis auf die DP-Fraktion haben alle geantwortet. Von der grünen Fraktionschefin Josée Lorsché hieß es, dass die Grünen in dieser Legislaturperiode keinen Kontakt zur russischen Botschaft gehabt hätten, mit Ausnahme von Neujahrswunschkarten. Auch Martine Hansen (CSV) gab an, nichts von solchen Einflussnahmen zu wissen.

Yves Cruchten von der LSAP antwortete, weder als Abgeordneter noch als Fraktionschef „und erstaunlicherweise auch nicht als Präsident der außenpolitischen Kommission im Parlament“ persönlich von der russischen Botschaft kontaktiert worden zu sein. Die einzige Initiative von dieser Seite sei ein Brief im Jahre 2014 gewesen, als er im Europarat für die Sanktionen gestimmt hatte: „Darin stand, dass ich anscheinend nichts verstanden hätte“, so der Fraktionsvorsitzende der LSAP.

Der Sozialist wehrt sich im Übrigen auch gegen Anschuldigungen, wonach die LSAP-Fraktion durch die ehemaligen Minister Etienne Schneider und Jeannot Krecké, die in russischen Aufsichtsräten saßen, besonders beeinflussbar wäre: „Ich kann das komplett ausschließen. Ich habe in 20 Jahren LSAP-Mitgliedschaft nie ein einziges Wort gehört, das auf so etwas auch nur hindeuten könnte“.

Der Ex-Abgeordnete von Déi Lénk, David Wagner, erinnert sich auch an keine konkrete Einflussnahme von russischer Seite, nur an eine Einladung, um sich über das CETA-Abkommen auszutauschen. Damals war Wagner noch Assistent des ehemaligen Abgeordneten Justin Turpel: „Generell kann man sein politisches Gewicht daran messen, wie viele Lobbys einen umschwärmen. Bei Déi Lénk sind das definitiv nicht viele“, meint der frühere Parlamentarier im Gespräch mit Reporter.lu.

Die kritische Einstellung seiner Partei gegenüber Sanktionen sei generell darauf zurückzuführen, dass diese oft ihr Ziel verfehlen, egal ob gegen Russland oder andere Länder. Auch habe die NATO-kritische Haltung seiner Partei eher mit der Ideologie der europäischen linken Bewegungen zu tun, als dass dies ein Hinweis auf russische Einflussnahme wäre.