Luxemburg hinkt in der Gleichstellungspolitik seinen Nachbarn hinterher. Besonders in Führungsgremien sind Frauen stark unterrepräsentiert. Obwohl Studien belegen, dass Quotenregelungen funktionieren, setzen Politik und Wirtschaft weiterhin auf Freiwilligkeit. 

Es ist ein Resultat, das sich nicht sehen lassen kann: Nur 28 Prozent Frauen sitzen in den Verwaltungsräten der 20 größten Arbeitgeber des Landes. Das ergeben Recherchen von REPORTER. Weitet man die Berechnungen auf alle börsennotierten Unternehmen aus, ist das Ergebnis noch schlechter. Hier beläuft sich der Frauenanteil nur auf knapp 14 Prozent, so eine Studie des Europäischen Instituts für Gleichstellungsfragen.

Der Befund ist alles andere als neu. Luxemburg gehört nicht zu den Vorreitern in Sachen Gleichstellung – weder in der Politik noch in den Führungsgremien der Wirtschaft. Im Global Gender Gap Report 2020 vom Weltwirtschaftsforum belegt Luxemburg den 51. Platz, gleich nach Bulgarien und Bangladesch und knapp vor Kap Verde.

Geschlechterquoten wirken – auch in der Wirtschaft

Mehrere Länder, die in diesen Statistiken vor dem Großherzogtum abschneiden, tun dies nicht aus Zufall. Einige haben bereits vor Jahren eine Geschlechterquote eingeführt. „Geschlechterregeln wirken tatsächlich, und zwar umso mehr, je strikter sie ausgelegt sind“, sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe „Gender Economics“ am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin.

Die Forscherin hat in ihrer Studie ausgewählte europäische Länder seit 2003 verglichen und das Funktionieren von Quoten belegt. Fortschritte sind am geringsten in Ländern, die keinerlei Regelungen vorschreiben, mittelmäßig in Ländern, die freiwillige Richtlinien haben und am größten in Ländern mit Quoten.

Beispiel Norwegen: 2003 führt das Land als erstes in Europa eine verbindliche Quote ein. Seitdem hat sich der Frauenanteil in den Führungsgremien von Unternehmen verdoppelt, von 20 Prozent auf 41 Prozent. In Norwegen drohen den Betrieben bei Nichterfüllung der Quote nicht nur hohe Geldstrafen, sondern ultimativ die Zwangsauflösung des Verwaltungsrates. „Wenn es ein Land wirklich ernst meint mit der Gleichstellung, muss es harte Sanktionen für den Fall der Nichterfüllung geben,“ sagt Katharina Wrohlich.

Luxemburg will Parität, aber nicht zwangsweise

Das sieht die Luxemburger Regierung anders. „Das aktuelle Arbeitsprogramm der Regierung sieht kein Mandat für eine gesetzliche Regelung im Bereich der Geschlechtergleichstellung in Führungspositionen vor“, heißt es hierzu aus dem Ministerium für die Gleichheit zwischen Frauen und Männern. Priorität des Ministeriums sei es aber, die Repräsentanz von Frauen in Führungsgremien weiterhin durch gezielte Maßnahmen und Aktionen zu unterstützen. Die Politik trägt damit den Verbänden aus Wirtschaft und Industrie Rechnung, die sich prinzipiell alle gegen eine verbindliche Quotenregelung aussprechen, sich aber für freiwillige Fortschritte einsetzen.


Allerdings will die Regierung zumindest in einem Bereich konkrete Verbesserungen erreichen. Im Koalitionsprogramm verpflichten sich die Regierungsparteien, für mindestens 40 Prozent Frauenanteil bei den vom Staat gestellten Sitzen in Verwaltungsräten zu sorgen. Das mag bis jetzt nicht überall geklappt haben, doch trägt durchaus seine Früchte.

Der Verwaltungsrat der Post zum Beispiel, setzt sich aktuell aus 16 Mitgliedern zusammen: Acht Vertreter vom Staat, sechs gewählte Personalvertreter und zwei unabhängige Mitglieder. Der Staat hält bei seinen Mandaten das Paritätsverhältnis ein. Die Belegschaft jedoch wählte sechs Männer und keine Frau in den Aufsichtsrat. Dadurch erreicht das Aufsichtsgremium der Post eine Frauenquote von gerade einmal 31 Prozent.

Quoten als notwendiges Übel oder Mittel zum Zweck

Allerdings sind unter den Gegnern einer weiter reichenden Regelung auch einige Frauen – auch eine Frau, die den Staat als Aktionär in Unternehmen vertritt. „Ich bin kein Fan von Quoten“, sagt Dominique Faber, erste Regierungsrätin aus dem Familienministerium und einzige Frau unter den Verwaltungsratspräsidenten der 20 größten Unternehmen Luxemburgs. „Ich habe mich immer schwer getan mit Diskriminierung, negativer, aber auch positiver“, so die Präsidentin des öffentlich-rechtlichen Unternehmens Servior. „Gar kein Problem“, nennt sie die Tatsache, dass in ihrem Verwaltungsrat außer ihr nur Männer sitzen. „Wir sind schließlich hier wegen unserer Erfahrung und Kompetenz und nicht wegen unseres Geschlechts.“

„Es sind immer noch überwiegend diese ‚old-men-networks‘, die über die Zusammensetzungen der Verwaltungsräte entscheiden“, sagt dagegen Tina Koch, Vizepräsidentin der „Femmes socialistes“ und Präsidentin der Abteilung für Gleichheit beim OGBL. Um diesem, sich selbst erhaltenden System entgegenzuwirken, brauche es zusätzlich zu gezielter Frühförderung, auch eine Quotenregelung für Verwaltungsräte in der Wirtschaft, fordert Tina Koch. „Wir brauchen hierfür leider eine Gesetzgebung“, sagt sie.

Eine verbindliche Frauenquote für die Wirtschaft sorgt seit Jahrzehnten für kontroverse Diskussionen. Auch Befürworter von Quoten sind meistens keine „Fans“, sondern sehen Quoten eher als notwendiges Übel. Oder zumindest als „Mittel zum Zweck, um klassische Vorurteile bezüglich Genderrollen infrage zu stellen und aufzuzeigen, dass Frauen die gleichen Verantwortungen zuzutrauen sind“, so etwa Carole Thoma, Parteisprecherin von Déi Lénk.

Arbeitgeber sind gegen gesetzliche Regelungen

Die entscheidende Frage ist demnach nicht das Mögen oder Nicht-Mögen von Quoten, sondern: Braucht es sie, um Parität in Verwaltungsräten herbeizuführen oder lässt sich dies auch auf freiwilliger Basis erreichen?

Post: 11 Männer, 5 Frauen. CFL: 11 Männer, 4 Frauen. Cactus: 4 Männer, 2 Frauen. Arcelor Mittal: 14 Männer, 1 Frau. BGL BNP Paribas: 16 Männer, 5 Frauen: Ein Blick in die Verwaltungsräte der fünf größten Arbeitgeber des Landes lässt durchaus Tendenzen erkennen und gibt Aufschluss über den Erfolg von freiwilligen Bemühungen und verpflichtenden Maßnahmen. Doch die Wirtschaftsvereinigungen sind weiterhin skeptisch, obwohl ihnen die suboptimale „Gender Balance“ natürlich bewusst ist.


„Die UEL ist nicht für die Einführung von paritätischen Quoten auf Aufsichtsratsebene. Alle Initiativen zur Förderung von Frauen in Aufsichtsräten sind willkommen und wirksam, aber auf freiwilliger Basis“, sagt Nicolas Buck, Präsident der „Union des entreprises luxembourgeoises“ (UEL). Er sieht einen alternativen Schwerpunkt darin, „mehr Frauen in die Geschäftsführung zu bringen“, da später automatisch ein „Trickle-Down-Effekt“ auf der Aufsichtsratsebene folge, da „die Führungskräfte oder Unternehmer von heute die Aufsichtsratsmitglieder von morgen“ seien, so Buck.

Michèle Detaille, Präsidentin der Fedil, vertritt einen ähnlichen Standpunkt: „Ich bin gegen Quoten, weil ich der Meinung bin, dass die Unternehmen bereits ausreichend in alle Richtungen reguliert sind“, sagt die Präsidentin der „Stimme der Industrie“. Es sei wichtiger, die Diversität innerhalb des Unternehmens, einschließlich des Managements, zu fördern, um so zu ermöglichen, „Frauen in Verwaltungsräten zu haben, die aus dem Management kommen und echte Macht über die Leitung des Unternehmens haben“, so Detaille. Wie dies ohne Verpflichtungen geschehen soll, sagen die beiden Wirtschaftsvertreter jedoch nicht.

„Trickle-Down-Effekt“ noch lange nicht am Ziel

Am Beispiel der BIL lässt sich der von UEL und Fedil bevorzugte Ansatz veranschaulichen: „Diversity“ sei ein integraler Bestandteil der Unternehmensführung der BIL, heißt es aus der Kommunikationsabteilung. 2016 wurde eine Charta eingeführt, 2019 überarbeitet. Um mehr Frauen in die Führungsebenen zu integrieren, werde mit „Talent Pools“ im Bereich Rekrutierung und interner Beförderung gearbeitet. Veränderungen in der Zusammensetzung der Belegschaft sprechen laut der Bank für Fortschritte: So habe der Frauenanteil im oberen Management 2012 noch bei 24 Prozent gelegen, während er heute bereits bei 30 Prozent liege.

„Eine Priorität kann jedoch nur einem Kandidaten eines unterrepräsentierten Kriteriums, zum Beispiel das Geschlecht, eingeräumt werden, wenn dieser Kandidat ebenso qualifiziert ist wie ein Kandidat des anderen Geschlechts“, heißt es aus der BIL, bei der heute mit Jing Li übrigens nur eine Frau im 13-köpfigen Verwaltungsrat vertreten ist. Der Frauenanteil liegt damit bei unter acht Prozent

„Es gibt noch viel Arbeit“, sagt Danièle Picard, Coach für Manager und Mitglied der „Fédération des Femmes Cheffes d’entreprises“. Die Tatsache, dass Frauen in Führungspositionen unterrepräsentiert sind, werde sich nicht alleine durch den Lauf der Zeit verändern. Sie sehe es bei ihrer täglichen Arbeit: Auch heute seien es die Frauen, die „mehrere Bälle gleichzeitig spielen“ müssten. Mit der Vereinbarung von Karriere, Kindern, Haushalt und Familienpflege hätten sehr wenige Männer zu kämpfen. Frauen jedoch würde genau diese Zerrissenheit auch heute noch maßgeblich davon abhalten, Verantwortung zu übernehmen.

Arbeitszeiten, Mentalitätswechsel und Vorbilder

Als konkrete Maßnahme fordert Danièle Picard staatliche Betreuungsstrukturen für Kinder, die rund um die Uhr geöffnet haben, „damit Frauen sich ihre Tage und Abende autonomer einteilen können“, so die Managerin. Viel wichtiger sei aber die konsequente Arbeit an einem radikalen Mentalitätswechsel. „Wir sind wirklich noch sehr weit weg von einer gelebten Gleichberechtigung“, sagt Danièle Picard. Ein Punkt, in dem ihr auch Nicolas Buck Recht gibt: Förderung von Frauen sei nur durch „flexible Arbeitszeitgestaltung und eine aufgeschlossene Unternehmenskultur möglich“, so der UEL-Präsident.

Die Lösung ist demnach auf jeden Fall eine politische. Wenn schon keine Gesetze, dann brauche es mehr Frauen als Vorbilder, wie die neuseeländische Premierministerin Jacinda Ardern, sagt Danièle Picard. Gerade im Amt, wurde die beliebte Regierungschefin schwanger. Was hier bei uns besonders in Führungspositionen weiterhin als Karrierebremse schlechthin angesehen werde, feierten die Neuseeländer als Symbol der Emanzipation und des Fortschritts.

„Wenn es nicht anders geht, kommt sie auch mit Baby ins Parlament“, so Danièle Picard. In Interviews darauf angesprochen, wird Jacinda Ardern folgendermaßen zitiert: „Ich glaube, ich bin vielleicht einfach eine der Ersten, die etwas tut, was noch nicht viele vor mir getan haben. Aber eines Tages wird dies ganz normal sein.“ „Eines Tages“ wird in manchen Ländern freilich früher, in anderen deutlich später sein.


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