Ein neues Gesetz soll das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung garantieren. Damit würde jedoch die Praxis der künstlichen Befruchtung in Luxemburg zusätzlich eingeschränkt. Ein Dilemma, das laut Experten den ohnehin bestehenden Trend zum „Fertilitätstourismus“ verstärken wird.
„Mikey“: braune Augen, dunkelbraune Haare. Ethnizität: argentinisch-dänisch, Ausbildung: Student, Erwachsenenfoto hinterlegt, ID verfügbar. Einen Mausklick weiter befinden sich bereits Fotos, Stammbäume, Tonaufnahmen und Schriftproben. Noch einen Mausklick entfernt und die Samenhalme der ausgewählten Spenderprofile landen im Warenkorb. Je nach Spermienqualität und Spenderinformationen – vor allem ob anonym oder nicht – variiert der Preis zwischen etwa 120 und 600 Euro pro Halm.
Das Unternehmen „Cryos international“ im dänischen Aarhus ist mit über 1.000 verfügbaren Spenderprofilen und über 65.000 registrierten Schwangerschaften die größte Samenbank der Welt. Kunden aus aller Welt kaufen hier ein, um der Erfüllung des Kinderwunsches ein Stück näher zu kommen. Auch das Kinderwunschzentrum des „Centre hospitalier du Luxembourg“ (CHL) arbeitet mit der dänischen Samenbank zusammen.
„Wir empfehlen unseren Patienten und Patientinnen immer, sich für bekannte Spender zu entscheiden. Und zwar weil uns natürlich bewusst ist, dass es zum Wohl des Kindes ist, später die Möglichkeit zu haben, die Spenderidentität zu erfahren“, sagt die Leiterin der Abteilung für künstliche Befruchtung im CHL, Caroline Schilling. „Sie suchen sich dann drei potenzielle Spenderprofile aus, die wir bestellen und von unseren Biologen untersuchen lassen“, erklärt die Ärztin das Vorgehen. „Wir prüfen die Kompatibilität und versuchen zu vermeiden, dass mehrere Frauen in Luxemburg und der Großregion mit demselben Spendersamen schwanger werden.“
Das Bedürfnis nach Wissen
Samen- und Eizellenspenden sind in Luxemburg legal nicht zu erwerben, deshalb arbeitet das CHL für Spermienspenden vornehmlich mit Dänemark und für Eizellenspenden mit Spanien zusammen. Doch damit könnte nun demnächst Schluss sein.
Ein neues Gesetz soll Kindern nämlich – zumindest dort, wo es möglich ist – den Zugang zu ihrer biologischen Herkunft garantieren. Im Rahmen der Reform des Kindschaftsrechtes, die das Regierungsprogramm der blau-rot-grünen Koalition vorsieht, soll auch der Grundsatz des Rechts von Kindern auf Auskunft über die eigene Abstammung eingeführt werden.
Sollte das Gesetz in der vorgesehenen Form kommen, wird es in Luxemburg de facto keine Möglichkeit mehr geben, auf Samen- oder Eizellenspenden zurückzugreifen.“Marc Stieber, Gynäkologe und Reproduktionsmediziner
Aus kinderrechtlicher Sicht scheint der Gesetzentwurf, den Justizministerin Sam Tanson (Déi Gréng) im Oktober vorstellte, einleuchtend. „Das Unwissen über die eigene Herkunft kann schweres psychisches Leid erzeugen und das Selbstwertgefühl grundlegend angreifen“, heißt es zur Begründung im Text, der in diesem Zusammenhang von „genetischen Waisen“ spricht.
Auch der designierte Ombudsman für Kinder und Jugendliche unterstreicht die Schutzbedürftigkeit des Kindes. Charel Schmit sieht in dem Gesetzesentwurf „einen Fortschritt, um das auch in der UN-Kinderrechtskonvention formulierte Recht auf Informationen zur eigenen Herkunft erfüllen zu können.“ Auch wenn Luxemburg die Konvention bereits 1993 unterschrieben hat, sei genau dieser Punkt einer von vier Vorbehalten, die das Großherzogtum bezüglich der internationalen Konvention immer noch habe. „Wir fordern seit Jahren die Aufhebung der Vorbehalte, das Wohl des Kindes muss auch bei künstlicher Befruchtung an erster Stelle stehen“, sagt der neue Ombudsman.
Zunehmende Flucht ins Ausland
Die Möglichkeiten der künstlichen Befruchtung jedoch würde dieses Gesetz weiter einschränken. Anonyme Spenden wären illegal und auch nicht-anonyme Spenden in den allermeisten Fällen unzulässig. Viele Samen- und Eizellenbanken, wie auch der Luxemburgische Kooperationspartner „Cryos International“ machen die Identität des Spenders erst mit der Volljährigkeit des Kindes zugänglich. „Es ist richtig, dass nur das Kind und dies ab der Volljährigkeit, bei uns die Informationen zur Identifizierung des Spenders erhalten kann“, heißt es von „Cryos International“ auf Nachfrage von Reporter.lu. Daran werde sich in naher Zukunft auch nichts ändern.
Der Gesetzentwurf zum Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung möchte Eltern jedoch dazu verpflichten, Informationen zur Identität des Spenders bereits in den ersten drei Monaten nach der Geburt des Kindes beim zuständigen Ministerium zu hinterlegen. Arzt und Patient sollen dafür verantwortlich gemacht werden, dass die im Artikel 20 des neuen Gesetzes geforderten Informationen zum Drittspender vor Beginn der Behandlung verfügbar sind. Ansonsten drohen Geldstrafen von bis zu 50.000 Euro und Haftstrafen von bis zu einem Jahr.

„Sollte das Gesetz in der vorgesehenen Form kommen, wird es in Luxemburg de facto keine Möglichkeit mehr geben, auf Samen- oder Eizellenspenden zurückzugreifen“, meint Marc Stieber, Gynäkologe und langjähriger Experte im Bereich der Reproduktionsmedizin. „Die Politik wäre gut beraten, sich mit den Betroffenen auszutauschen, anstatt im Alleingang Gesetze auf den Weg zu bringen, die in der Praxis völlig am Ziel vorbeischießen.“
Für den Gynäkologen wäre die logische Konsequenz einer solchen Gesetzgebung, dass sich noch mehr Patienten als ohnehin schon im Ausland behandeln lassen. „Sie kommen schwanger zurück, entbinden hier und keiner weiß, dass das Neugeborene durch künstliche Befruchtung entstanden ist“, sagt Marc Stieber. „Das macht eine Dokumentation und damit die Zurückverfolgung der Herkunft definitiv unmöglich.“
Steigende Ungleichheiten
„Gesetzlich zu verlangen, dass jedes Kind das Recht auf Informationen zu seinen biologischen Wurzeln hat, ist in der Praxis schlicht unmöglich“, sagt auch Caroline Schilling. „Was ist etwa mit dem Recht jener Kinder, die bei einem Seitensprung entstehen?“, fragt die Ärztin etwas provokant. Schließlich könne niemand dazu gezwungen werden, sein Kind über die eigene Herkunft aufzuklären. Ihrer Meinung nach stärkt das Gesetz nicht das Recht des Kindes, sondern verschärft nur ohnehin bestehende Ungleichheiten. Zwischen fruchtbaren und unfruchtbaren Menschen, zwischen gleichgeschlechtlichen und heterosexuellen Paaren, aber auch zwischen reichen und ärmeren Patienten.
Sie fordert die Überarbeitung zumindest jener Artikel des Gesetzentwurfs, die die künstliche Befruchtung betreffen. „Wir haben in Luxemburg weder eine Samenbank, noch verfügbare Eizellenspenden, wir sind auf den europäischen Markt angewiesen“, unterstreicht Caroline Schilling. Nicht-anonyme Eizellen zu erwerben, sei nahezu unmöglich, und auch bei den nicht-anonymen Spendersamen, sei die Verfügbarkeit geringer. Die Folge: Deutlich höhere Preise, längere, für viele nicht hinnehmbare Wartezeiten und in letzter Konsequenz das Ausweichen aufs Ausland.
Künstliche Befruchtung in Luxemburg
Die Abteilung und das Labor für künstliche Befruchtung im CHL haben ihre Tätigkeit Ende 2004 aufgenommen. Die Nachfrage nach künstlicher Befruchtung ist über die Jahre kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2019 wurden im CHL 309 Inseminationen, davon 75 mit Spendersamen, durchgeführt. Die Erfolgsrate lag bei 16 Prozent. In-Vitro-Behandlungen gab es 630, mit einer Erfolgsquote von 31 Prozent. Darüber hinaus wurden 460, zu einem früheren Zeitpunkt eingefrorene Embryos eingepflanzt, hier lag die Schwangerschaftsrate bei 27 Prozent. Der Durchschnittsbetrag, den die Krankenkasse im Jahr 2019 für eine künstliche Befruchtung erstattete, lag bei 2.260 Euro pro Versuch. Das entspricht 90 Prozent der Kosten. Der Altersdurchschnitt der Frauen, die sich künstlich befruchten ließen, lag 2019 bei 37 Jahren, 26 Prozent waren über 40 Jahre alt. Hatten die Patienten bisher die Wahl zwischen zwei Kinderwunschzentren im Land, hat die „Clinique Bohler“ ihre Abteilung zu Beginn dieses Jahres geschlossen.
In der Sitzung der parlamentarischen Justizkommission vom 7. Oktober weist die Justizministerin selbst darauf hin, dass der Gesetzentwurf die künstliche Befruchtung mit Drittspenden in Luxemburg unmöglich machen könnte: Im Falle der künstlichen Befruchtung sei zu befürchten, dass es in Zukunft keine Spenden mehr geben würde, heißt es in dem Bericht zur Sitzung.
Dies scheint die Regierung jedoch hinnehmen zu wollen. Der Wille, mit dem Entwurf das nationale Recht an Anforderungen und Standards des internationalen Rechts anzupassen, wiegt in diesem Fall wohl schwerer. Reproduktionsmediziner nennen diese Argumentation scheinheilig, da es gerade im internationalen Vergleich weitreichende Unterschiede zu Luxemburg gibt. Luxemburg fehlt es nicht nur an eigenen Infrastrukturen, wie einem Spenderdatenspeicher oder einer Samenbank, die es ermöglichen würden, künstliche Befruchtung mit Drittspenden in einem legitimen Rahmen weiterhin zu gewährleisten. Es ist auch mit Irland das einzige Land in Europa, das keine Gesetzgebung für künstliche Befruchtung hat.
Europaweit unterschiedlich gehandhabt
Ein weiteres Problem: Die Gesetzgebungen der EU-Mitgliedstaaten zur künstlichen Befruchtung stehen sich diametral gegenüber. Im Vergleich scheinen Belgien und Spanien mit die freigiebigste Gesetzgebung zu haben. Italien hingegen hat sehr restriktive Regeln zur künstlichen Befruchtung. Darüber hinaus gibt es gravierende Unterschiede in der Beurteilung ethischer Grundsätze.
Sie kommen schwanger zurück, entbinden hier und keiner weiß, dass das Neugeborene durch künstliche Befruchtung entstanden ist. Das macht die Zurückverfolgung der Herkunft definitiv unmöglich.“Marc Stieber, Gynäkologe und Reproduktionsmediziner
Die europäische Gesellschaft für humane Reproduktionsmedizin und Embryologie (ESHRE) steht in ihrer Stellungnahme dem Fertilitätstourismus gespalten gegenüber. Für die Autonomie der Patienten und für das Gleichheitsprinzip bei den Behandlungschancen begrüßt die Gesellschaft das europäische Recht, sich im Ausland behandeln lassen zu können, auch wenn dadurch womöglich gegen nationale Gesetze verstoßen wird. Andererseits warnt sie vor mangelnden Sicherheits- und Gesundheitsstandards in einigen Ländern, insbesondere in Bezug auf die Anzahl der eingepflanzten Embryos, die Qualität der Spenden und die potentielle Ausbeutung von Menschen.
Wie und ob es in Luxemburg mit der künstlichen Befruchtung durch Drittspenden weitergehen wird, kann heute noch nicht gesagt werden. Die Gutachten zum Gesetzesprojekt für das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung lassen auf sich warten. Währenddessen loten Betroffene ihre Möglichkeiten im Internet aus. Auf dem freien Markt der Samen, Eizellen, Embryos und Leihmütter. Wird der unerfüllte Kinderwunsch unerträglich, ist das heimliche Ausweichen auf Nischen im Ausland für viele die letzte Perspektive.