Lesen, Mathematik und Hör-Verstehen werden bereits in der Grundschule digital erlernt. Dafür brauchen Kinder allerdings auch zu Hause zunehmend Zugang zum Computer. Doch längst nicht jede Familie kann sich diesen nächsten Schritt der Digitalisierung der Schule leisten.

„Man ist quasi dazu verpflichtet, einen Computer zu Hause zu haben“, sagt Jacques Schroeder*. Einen solchen hatte seine Familie bis vor Kurzem nicht. E-Mails schreiben oder im Internet surfen funktionierte auch über das Smartphone.

Das änderte sich aber als die Tochter die Schule wechselte. Sie besucht nun das „Cycle 3“ einer Schule in Beckerich. Dort wird in den Schulstunden viel auf dem Tablet gearbeitet und den Kindern so der Umgang mit digitalen Medien näher gebracht. Allerdings nicht nur in der Schule. „Wir mussten uns einen Laptop anschaffen, damit sie ihre Hausaufgaben erledigen kann“, so der Vater. Bestimmte Übungen werden auf einer Online-Plattform erledigt, die für Lehrer und Schüler zugänglich ist.

Als Eltern muss man investieren, damit das Kind überhaupt seine Hausaufgaben machen kann.“Patrick Remakel, Präsident Lehrergewerkschaft SNE

War der Computer bis dahin ein Hilfsmittel, wurde er jetzt zu einem Muss. Die Familie entschied sich zunächst für ein gebrauchtes Modell. Die Elternteile leben getrennt voneinander – ein Laptop war die bessere Lösung. Ansonsten hätten sowohl Vater als auch die Mutter jeweils einzeln in einen Heim-PC investieren müssen.

Digitalisierung und soziale Ausgrenzung

Für manche Familien ist ein Computer, Laptop oder Tablet finanziell ein großer Schritt. „Wir hatten auch keinen Computer zu Hause und mussten erst einen kaufen“, sagt auch Conny Schneider*. Ihr Sohn besucht die 5. Klasse in Mersch und macht seine Hausaufgaben mittlerweile zu einem Großteil in digitaler Form. Auch hier: Eine Vorgabe der Schule. Kostenpunkt für den Computer zu Hause: rund 1.000 Euro.

Viel Geld, das die Eltern auf den Tisch legen müssen. „Wir hätten auch einen günstigeren nehmen können, wollten aber lieber jetzt investieren, damit unser Sohn eine Weile davon Gebrauch machen kann“, so die Mutter. Was aber, wenn eine Familie das nötige Geld dafür gar nicht hat? Oder wenn ein Elternteil alleine dafür aufkommen soll?

Fest steht: Die meisten Haushalte in Luxemburg haben einen Computer zu Hause – oder können sich einen leisten. Doch es sind eben nicht alle.

Wird dies aber als Selbstverständlichkeit angesehen, entsteht eine soziale Ungerechtigkeit. Es wird unbewusst Druck auf diejenigen ausgeübt, bei denen es nicht so ist. Bei den betroffenen Eltern, weil sie ihren Kindern die gleichen Chancen bieten möchten wie alle anderen Eltern. Und bei den Kindern, weil sie ihre Aufgaben natürlich genau so erledigen wollen wie alle anderen Kinder.

6,2 Millionen Euro für iPads in der Schule

Politisch ist die Schule auf Digitalisierung programmiert. Der Umgang mit neuen Technologien ist fester Bestandteil des Schulprogramms. Umso unverständlicher ist die Situation, wenn man sie mit der in den Secondaire-Klassen vergleicht. Dort können Schüler, die Teil der sogenannten iPad-Klassen sind, ihre Geräte problemlos mit nach Hause nehmen.

Zum sogenannten „Tablet-Kit“, das die Schüler des Secondaire bekommen, zählen ein iPad (32 Giga, Wifi), ein Apple Pencil und eine Schutzhülle mit Tastatur. Im Jahr 2018 lag der Preis für ein solches Kit bei 442 Euro, im Jahr 2019 bei 439 Euro. In den vergangenen zwei Jahren hat der Staat rund 14.100 iPads der Marke Apple für das Secondaire gekauft. Das Budget dafür: 6,2 Millionen Euro.

Wie kommt dieser Unterschied zwischen Grundschule und Secondaire dann überhaupt zustande? Es ist eine Frage der Verantwortung. Die Secondaire-Klassen unterliegen der Obhut des Bildungsministeriums. Die Grundschulklassen der der Gemeinden.

„Es hängt davon ab, wem das Gebäude gehört“, erklärt Luc Weis, Leiter des Script (Service de Coordination de la Recherche et de l’Innovation pédagogiques et technologiques). „Derjenige, der für das Gebäude verantwortlich ist, der kümmert sich auch um das Material. Dazu gehören auch Tablets oder Computer.“

Grundschullehrer haben „Lernmittelfreiheit“

Zahlen dazu, wie viele Computer oder iPads in den Grundschulen zum Einsatz kommen, gibt es demnach keine. Und nicht nur das: Welches Kind damit arbeitet – und welches vielleicht nicht – ist komplett willkürlich.

Bisher gibt es keine Regelung, ob eine Grundschulklasse mit Computer oder Tablet arbeiten muss. Geschweige denn, ob Schüler zur Erledigung ihrer Hausaufgaben über den digitalen Weg angehalten werden. Es ist den Lehrkräften selbst überlassen. Ist ein Lehrer Technik-affin und die Gemeinde gewillt, in Tablets zu investieren, arbeiten die Kinder damit. Sieht der Lehrer keinen Bedarf, auf digitale Geräte im Unterricht zurückzugreifen, wird nicht damit gearbeitet.

Für die Lehrer des Fondamental gelte „Lernmittelfreiheit“, so Luc Weis vom Script. Sie entscheiden, wie sie das Programm aufbereiten und wie Schüler ihre Hausaufgaben oder andere vorbereitende Übungen erledigen sollen.

Nur eine Minderheit hat wohl ein Problem

Dass der Umgang mit digitalen Medien auch im Jahr 2020 nicht in allen Haushalten normal ist, sieht das Ministerium nicht wirklich als Problem an. Vermutlich sei nur eine Minderheit der Familien betroffen – wenn überhaupt. Zumindest habe man noch nichts von solchen Fällen gehört, so Luc Weis. Um das zu untermauern, beruft er sich auf Statistiken, laut denen etwa 95 Prozent der Haushalte in Luxemburg einen Internetzugang haben.

Damit hat er Recht. Doch erstens gäbe es dann immer noch die fünf Prozent ohne Internetzugang. Und zweitens trifft das nicht den Kern des Problems. Nachdem die Schulbücher kostenlos sind, müssen manche Eltern nämlich jetzt in digitale Geräte investieren, damit ihr Kind seine Aufgaben erledigen kann.

Man kann ja nicht davon ausgehen, dass jeder einen Computer zu Hause hat.“Claude Stephany, „Service Ecole“ Stadt Luxemburg

„Ein Großteil der Bevölkerung hat sicherlich Zugang zu einem Computer oder Laptop. Das dürfte unseres Erachtens nach kein allzu großes Problem in Luxemburg sein“, so Luc Weis. Er weist aber auch darauf hin, dass eine Familie immer mit dem Lehrer nach Alternativen suchen kann, falls die nötigen Möglichkeiten nicht zur Verfügung stehen sollten.

Statistisch gesehen ist der Zugang tatsächlich kein „großes“ Problem. Allerdings zeigen die Statistiken auch, dass die Menschen mittlerweile zur privaten Nutzung häufiger auf das Smartphone zurückgreifen als auf den Computer. Laut Statec nutzen 25- bis 54-Jährige zu 83 Prozent das Smartphone zu privaten Zwecken – und nur je 61 Prozent Laptop oder Computer. Der Computer wird dagegen vorrangig auf der Arbeit genutzt.

Digitale Aufgaben auf die Schule beschränken

Beim „Service Schoul“ der Gemeinden Luxemburg und Esch nachgefragt, zeigt man sich vor allem über eines überrascht: Dass die Schüler überhaupt Hausaufgaben auf Computer oder Tablet erledigen. „In Esch wird nur in der Schule auf den digitalen Geräten gearbeitet“, so Chantal Schoettert, Leiterin des „Service Scolaire“ in Esch.

Ähnlich sieht es Claude Stephany vom „Service Ecole“ der Stadt Luxemburg: „Die Schulen müssten eine Kaution für die Geräte beantragen, wenn die Schüler sie mit nach Hause nehmen“, sagt er. Und: „Wenn die Kinder sie nicht mit nach Hause nehmen, dann würden die einen vielleicht anderen gegenüber benachteiligt. Man kann ja nicht davon ausgehen, dass jeder einen Computer zu Hause hat.“

Die Maisons Relais bieten den Kindern nur in Ausnahmefällen die Möglichkeit, Hausaufgaben auf dem Computer zu erledigen. In einer schriftlichen Antwort des Roten Kreuzes heißt es, dass Kindertagesstätten zwar für das richtige Umfeld sorgen, damit die Kinder ihre Hausaufgaben machen können. Sie müssen allerdings nicht das entsprechende Material – sei es Hefte, Stifte oder Computer – zur Verfügung stellen.

Einzelfälle sollen Ernst genommen werden

Kritisch sieht diese Ungleichheit natürlich auch die Lehrergewerkschaft SNE. „Als Eltern muss man investieren, damit das Kind überhaupt seine Hausaufgaben erledigen kann“, sagt Patrick Remakel. „Es kann nicht sein, dass da solche sozialen Ungerechtigkeiten entstehen. Die Schule sollte genau das Gegenteil bewirken“, so der SNE-Präsident.

Auch das SNE geht nicht von einem Massenphänomen aus, dennoch müssten auch Einzelfälle ernst genommen werden.

In einer neuen Info-Broschüre gibt das „Centre de Gestion Informatique de l’Education“ unterdessen Richtlinien für Lehrer und Gemeinden, wie viele Computer oder Tablets in Grundschulklassen sinnvoll sind. Von digitalen Geräten für zu Hause ist keine Rede.

* Namen wurden von der Redaktion geändert.